DJ Hell ist eine globale Marke. Er produziert Musik, legt dreimal die Woche auf, fördert mit seinem Label Gigolo Records junge Künstler und designt zwischendurch Mode. Eine Ikone im Gespräch.
In der örtlichen Werkzeugmaschinenfabrik als Schlosserlehrling unter der Nummer 8240 ausgebildet. Im Altenmarkter „Cafè LiBella“ musikalisch zu gehen begonnen. Dann in die Stadt, den Mittwoch im Münchner „Tanzlokal Größenwahn“ bespielen. Und schließlich raus, die Welt erobern. Zehn Monate im Jahr fliegt er um den Planeten, um deutsche Elektronik-Kultur in die Welt zu bringen, um den Menschen Techno „anzubieten“, wie er gerne sagt. Nur in den apodiktischen Ruhemonaten Jänner und August nimmt er sich raus aus dem ewigen Wanderzirkus, regeneriert, entschleunigt, besinnt sich.
Heute nicht. Heute steht sein Name in Großbuchstaben in der ersten Zeile des arg gebeutelten Grazer Springfestival-Lineups. Keine Stunde nach seiner Landung am Thalerhof steht er auf der Bühne der Postgarage. Zu Anfang seines Sets sind vielleicht vierzig Leute in der großen Haupthalle, am Ende ist sie rappelvoll. Nach dem Auftritt ist Hell bereit zum Interview und bittet im kleinen, engen Backstagebereich neben der Bühne zu Tisch.
Das Wodka Bull seines Sitznachbarn vibriert, wenn Igor Cavalera auf der wenigen Meter entfernten Bühne in sein Mixhell-Schlagzeug drischt. Ständig gehen Leute aus und ein. Es ist wahnsinnig ungemütlich hier. „Ich meide Backstage-Bereiche meistens. Was soll ich hier tun? Ich trink‘ nicht, ich rauch‘ nicht, ich häng‘ auch nicht ab“, wird er später sagen. Wieder öffnet sich die Tür zur Bühne, man versteht kaum sein eigenes Wort. So rufen wir einander zwischen Tür und Angel Fragen und Antworten zu. Ein tiefnächtliches Gespräch über den Sinn des (DJ-)Lebens:
Weisst du, welche Party gerade im Cafè LiBella steigt?
In Altenmarkt?
Ja.
Ü30-Party.
Genau, die „Thirty Plus – Ü30 mit Stil“-Party mit DJ Simon. Warum weisst du das so genau?
Das haben die dort schon öfter gemacht. Die feiern gerade dreißigjähriges Jubiläum und ich war vor Kurzem in der Gegend und habe die Großwandplakate gesehen.
Also kommst du jetzt gerade aus deiner Heimat?
Ja, ich komme aus München. Morgen fliege ich nach Ibiza, am Samstag spiele ich tagsüber in München auf einem Festival, am Abend in Berlin und zur Afterhour geht’s nach Leipzig.
Kannst du diesem ewigen Reisens heute eigentlich noch irgendetwas Positives abgewinnen?
Das Reisen hat natürlich einen geringen Glamour-Faktor. Ich habe vor Kurzem eine Fernsehdiskussion verfolgt und da hat ein kluger Mensch gesagt: „Diese ganze Fliegerei und Reiserei ist zunehmend entwürdigend.“ Das fand ich so interessant, weil es das mit einem Wort so genau definiert: diese ganze Flugenhafensituation, Check-Ins, Sicherheitskontrollen, Warteschlangen, Bustransporte, die Gepäckbänder, diese Menschenabwicklung … Es ähnelt immer mehr Tiertransporten.
Gibt es einen gemeinsamen Spirit, eine Art Zeitgeist, der in allen Nachtclubs dieser Welt herrscht, der es für dich egal macht, ob du in Graz, Ibiza oder Tokio spielst?
Es ist immer anders – jede Nacht, jede Party, jedes Set, jeder Moment. Ich wusste auch nicht, was mich heute erwartet. Natürlich gibt es einen anderen Spirit in anderen Ländern, weil oft völlig andere Zugänge zu dieser Musik bestehen. Ich würde New York da nie mit Tokio, Graz oder Berlin vergleichen.
Ich gebe zu, dass ich oft anders motiviert bin, wenn ich etwa in New York spiele. Aber wenn ich mir die letzte Party in New York anschaue: eine wahnsinnig schlechte, dilettantische Organisation, Miniatur-Monitor, defektes Mischpult, eigenwillige Leute, eine total unterforderte Musikanlage und um 4 Uhr war Schluss. Da kommt man den langen Weg nach Manhattan, denkt: „Wow, das ist jetzt wieder einmal ein besonderer Auftritt“, steht dann da und denkt sich: „Das kann doch nicht wahr sein: Was ist’n hier eigentlich los? Was ist mit dem New Yorker Nachtleben passiert?“ Da ist die Party heute in Graz um Längen besser und intensiver als meine letzte Show in New York. Das kann man nie voraussehen.
Jetzt ist es so, dass in unserer Gesellschaft DJs oft nur sehr peripher auch als Kulturschaffende wahrgenommen werden. Das Image von den musikalischen Nachtarbeiten ist offen gesagt kein Gutes. Bedauerst du diese gesellschaftliche Stellung?
Nun, ich kann mich nicht beklagen. Meine Kunst wird als Hochkultur verkauft, ich wurde mit dem Goethe-Institut nach Mexiko, Japan oder Kuba eingeladen, um moderne deutsche Musikkultur darzubieten. Aber was natürlich richtig ist, ist, dass DJtum, speziell deutsche elektronische Musik, die weltweit so viel Aufmerksamkeit erregt, kulturell kaum gefördert wird und es da auch eine völlig falsche Wahrnehmung gibt. Speziell bei Leuten, die nie in Clubs gehen, oder auf keinen Fall anspruchsvolle elektronische Musik hören – die hören im Radio David Guetta und Konsorten und denken sich: „Moment mal, das gefällt mir ja gar nicht.“ Das versteh ich ja auch! Ich kämpfe eigentlich mein ganzes DJ-Leben dafür, dass diese Arbeit und die ganze elektronische Musiklandschaft genauer ausgeleuchtet und klarer definiert wird. Was wir heute machen, wird vielleicht erst in dreißig Jahren mehr Wertschätzung bekommen.
Bist du den vorher angesprochenen Kollegen mit den großen Namen und den astronomischen Stundengagen eigentlich in irgendeiner Art böse?
Böse kann ich denen nicht sein, weil ich für diese ganze Entwicklung ja mitverantwortlich bin. Dass das irgendwann aus dem Ruder läuft, war abzusehen. Aber ich selbst bin ja keiner von denen, die jetzt in Las Vegas in den Hotels spielen und sich vermarkten, wie damals die mit den weißen Tigern. Wie hießen die?
Siegfried & Roy.
Ja! Siegfried & Roy, danke. Mittlerweile ist das ein anderer Ansatz, den Avicii oder David Guetta haben. Die haben ein Riesen-Management, Marketing, ein Promotionteam hinter sich. Solche Leute kommen aus dem Nichts und sind plötzlich Headliner auf großen Festivals. Ich kann ihnen nicht böse sein, deren Teams arbeiten einfach sehr professionell.
"Böse" meine ich ja nicht auf einer persönlichen Ebene. Aber wenn du sagst, dass du dein ganzes Leben lang versucht hast, das DJtum auf die Ebene von Hochkultur zu bringen, dann ist ein Mann wie Tiësto nicht förderlich…"
Tiësto war einer der Ersten, der sich bei den Olympischen Spielen eingekauft hat, damals in Athen. Er hatte zur Eröffnungsfeier einen kurzen Auftritt und plötzlich war er Number-One-DJ im „DJ Mag“ in England. Das war der Erste, in den richtig Geld investiert wurde und dann hieß es plötzlich: Das ist der berühmteste DJ der Welt, der hat bei Olympia gespielt und wenn du ihn jetzt haben willst, kostet das 50.000 Euro für 90 Minuten plus Privatjet, plus Sicherheitsleute, plus Tourmanager usw. Hat funktioniert. Heute verdient er zwischen acht und zwölf Millionen im Jahr.
Bist du eigentlich reich?
Ich habe soviel gesehen auf der ganzen Welt und so wahnsinnig tolle Leute kennengelernt. In der Hinsicht bin ich sicher reich beschenkt worden. Bin ich dann reich?
Das ist immer eine Frage der Selbsteinschätzung.
Nein, also auf keinen Fall reich.