Für den ganzen Wahnsinn

DJ Hell ist eine globale Marke. Er produziert Musik, legt dreimal die Woche auf, fördert mit seinem Label Gigolo Records junge Künstler und designt zwischendurch Mode. Eine Ikone im Gespräch.

Du bist ja – vom seltenen Champagner-Konsum abgesehen – bekannt dafür, völlig clean zu leben. Waren Drogen zu irgendeinem Zeitpunkt Thema in deinem Leben?

Ja sicher! Mit 20, 25, 30 war ich auch in einer Experimentierphase und habe diverse Substanzen getestet. Das war für mich eine wichtige Lebenserfahrung. Aber irgendwann, wenn man in einen professionellen DJ-Circle reinkommt, ein Label leitet, sich um andere Künstler kümmert, selber Produzent wird … Irgendwann ist es nicht mehr möglich. Mittlerweile trink‘ ich nicht mal mehr Alkohol, nicht mal mehr Champagner.

„Das Höchste der Gefühle“, sagtest du einmal über dein Privatleben, „ist eigentlich nichts zu hören, keine Musik.“ Wann hast du eigentlich zuletzt getanzt? Nämlich nicht auf der Bühne, sondern als Gast, auf dem Dancefloor?

Muss ich überlegen … Das passiert nicht oft, das geb‘ ich zu. Das muss ein Moment sein, wo etwas Ungewöhnliches passiert, etwas nicht Vorhergesehenes. Oft ist man auch ein bisschen enttäuscht von dem, was angeboten wird. Ich denk‘ auch bei sehr bekannten Leuten, guten Leuten oft: Wie kann der so ein Set anbieten, zwei Stunden lang? Keine Höhen, keine Tiefen, völlig gleichförmig aneinander gereihte elektronische Tanzmusik, überlegt mit wahnsinnig vielen Effekten, sodass man auch gar keine Songs oder Strukturen mehr erkennt. Da denk ich oft: „Wo ist die Bassline? Wo ist die Party? Wo ist der künstlerische Ansatz? Ich geh‘ jetzt weiter!“

Was ist denn für dich eine richtig gute Party?

Am Anfang war die große Headline: Techno ist Musik, die du noch nie zuvor gehört hast. Du gehst in einen Club und der DJ spielte ein Set, von dem du keinen einzigen Track kennst. Das war für mich immer eine gute Party. Das ist heute natürlich nicht mehr möglich, aber für mich sind es ehrlich gesagt noch immer die „old heads“, die mich immer wieder aufs Neue begeistern. Zum Beispiel Derrick May: Er bringt viele ungewohnte Elemente, auch jazzige Sachen. Jeff Mills schafft’s immer wieder, sich aufs Neue zu erfinden. Die ganzen jungen Nachkömmlinge sind oft so begeistert von sich selbst, dass sie gar nicht merken, dass das überhaupt nicht relevant ist, was sie da anbieten.

Legende, Weltstar, Wegbereiter. Das sind nur einige der Titel, auf die man stößt, wenn man deinen Namen recherchiert. Nervt es nicht manchmal, ständig Ikone sein zu müssen? Wärst du manchmal lieber die Nummer 8240 in der örtlichen Schlosserei?

Sehr gut recherchiert, der ist gut. Nein, 8240 wär‘ ich nicht mehr gerne. Das war eine harte Prüfung, sich demütigen zu lassen und in einen Job hineingedrückt zu werden, von dem man weiß, dass man ihn nicht länger machen möchte. Ich habe heute ein Interview im „Spiegel“ gelesen über Pelè und der Journalist meinte, dass Legenden ja meistens nur noch belächelt würden und nichts mehr zu melden hätten, nur mehr über ihr früheres Leben definiert werden. Aber ich bin ja noch aktiver DJ-Hochleistungssportler jedes Wochenende.

Legende ist natürlich auch ein inflationärer Begriff. Was ich meine, ist einfach dieses ständig „Hell“ sein zu müssen…

Es gab mal eine schöne Dokumentation im bayrischen Fernsehen und der Titel des Films war „Fürst Nachtleben“. Das fand ich sehr schön, auf das würd‘ ich mich fast festlegen lassen. „Fürst Nachtleben“ trifft es glaub ich sehr gut, weil ich so viele Erfahrungen im Nachtleben habe, so viel erlebt und gesehen habe. Ich denke nicht in Kategorien, dass ich immer Hell sein muss. Ich hab‘ mich nie verstellt, auch musikalisch nicht. Ich bin so wie ich bin und vielleicht ist das ein Geheimnis des Erfolgs, dass ich nie eine Fake-Show abgezogen habe.

Wenn du heute Abend im Hotel Weitzer in den Badezimmerspiegel schaust, was siehst du? Helmut Geier? Einen DJ, Produzenten? Einfach „Hell“?

Ehrlich gesagt hat sich dieses Hell, Helmut Josef Geier und Fürst Nachtleben schon so vermischt – das switcht man natürlich auch an und aus. Aber wenn ich im Hotel bin, bin ich vielleicht einfach nur müde und denke schon an morgen, wann ich abgeholt werde und ob ich vorher noch frühstücken soll.

Also für ein Bewusstseinschaffen ist, abgesehen von Ihren fix eingeplanten Ruhezeiten im Jänner und August, keine Zeit und auch kein Bedarf?

Im Jänner und August trete ich aus dem Ganzen aus und beleuchte das von außen, schau‘ mir das Ganze als Nicht-Teilhabender an. Ich habe immer versucht, meine Kunst jedes halbe Jahr neu zu definieren, mich neu aufzustellen. Da betätige ich mich natürlich auch viel sportlich, um Kraft und Ausdauer zu bekommen für den ganzen Wahnsinn. Ich habe jetzt eine neue Erfahrung gemacht und zwar in Innsbruck am „Lanserhof“. Das ist eine ganz hervorragende Klinik, in der es darum geht, sich zu regenerieren, zu entschlacken und neue Kraft zu tanken. Da bin ich jetzt einmal im Jahr und das ist echt eine Erlösung.

Ich nehme an, ohne diese zwei Ruhemonate hätte man keine Chance das durchzustehen. Und damit meine ich vielleicht gar nicht physisch, sondern psychisch.

Beides! Vieles wiederholt sich, es gibt extrem viel Routine … Im schlimmsten Fall wird man depressiv und es stellt sich innerhalb kürzester Zeit ein schwerer, bedenklicher Burnout ein. Durch die Zeitumstellungen, die Lautstärke in den Clubs, den Schlafmangel, die unregelmäßige Ernährung – man hat einfach überhaupt keinen Rhythmus. Dafür ist kein Mensch gemacht.

Du sagtest einmal, wenn du mehr Zeit hättest, würdst du weniger reisen und mehr Zeit für dich selbst verwenden. Nun behaupte ich – auch wenn du dich nicht als reich bezeichnest: dein Status würde dir das schon erlauben. Warum bist du immer noch hier, im Hinterzimmer der Grazer Postgarage und wohnst nicht mit Frau und Kindern auf dem Bauernhof am Chiemsee?

Mir würde langweilig werden – zumindest jetzt ohne Familie. Ich glaube, wenn mal einmal auf einer Bühne gestanden ist, zum Beispiel auf der „Love Parade“ vor über einer Million Menschen performt hat, wenn man so viel positives Feedback bekommen und so viel großartige Emotionen erlebt hat, dann ist das nicht so einfach mit dem Abdanken.

Hell, ich bedanke mich.

Das Interview mit DJ Hell fand im Rahmen des stark verkürzten Spring Festivals in Graz statt.

Bild(er) © Lucas Kundigraber
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