Ein schrecklich seichte Textgattung nimmt den Literaturbetrieb und die Feuilletons in Geiselhaft. Dagegen muss etwas getan werden. Eine Polemik.
Die Nullerjahre: Der Beginn des Befindlichkeits-Biedermeier
Der Moment, an dem der Generationentext dann wirklich schlimm wurde, lässt sich relativ genau bestimmen. Es war der 23. Juni 2003, und Neon erblickte das Licht der Welt. Das Magazin, ideal für lange Bahnfahrten zu den Eltern und kurze Phasen des Wachkomas, perfektionierte die Textgattung bis zur Perversion. Die vorangegangenen Generationenporträts versuchten wenigstens noch, universelle Handlungsstränge aus einer Makroperspektive zu erkennen. Damit war es in den Nullerjahren vorbei. Der Generationstext wurde zu dem, was er jetzt ist: ein Vehikel universaler, banaler Gefühlsregungen mittelständischer Studenten, die in ihren 3-Zimmer-WGs nette, gewöhnliche Leben führen. Seitdem herrscht unter den Twentysomethings ein Befindlichkeits-Biedermeier, in dem Gedanken wie »Wann muss ich erwachsen werden?« oder »Was heißt das für meine Beziehung?« schon als die ganz großen Fragen durchgehen. Das sind natürlich alles legitime Gefühle. Aber Texte darüber, dass Entscheidungen in Zeiten von unzähligen Optionen schwierig sind oder dass ein Umzug in eine neue Stadt gleichzeitig Angst und Vorfreude bedeutet, ist halt so kontrovers und prickelnd wie ein Jahresvorrat Vöslauer ohne.
Namhafte Sozialwissenschaftler weisen gerne darauf hin, dass sogar die vielbeachtete Generation Y in Studien eher schwer nachzuweisen ist. Weil aber namhafte Sozialwissenschaftler für gewöhnlich nicht besonders fotogen sind und die langweiligeren Thesen haben, hört niemand auf sie. Sondern lieber auf Leute wie Michael Nast, der gerade mit seinem Buch »Generation Beziehungsunfähig« die Bestseller-Listen stürmt und als »Sprachrohr seiner Generation« gefeiert wird. Nast erzählt jungen Menschen, die ungern die Anstrengungen einer monogamen Lebensweise auf sich nehmen wollen, was sie hören wollen. Und mit diesem trivialen Blödsinn »trifft er einen Nerv«, wie es in den Feuilletons dann gerne heißt.
Nicht falsch verstehen: Natürlich verändern sich Gesellschaften. Es gibt immer wieder demographische, technische und historische Neuerungen, die dafür sorgen, dass sich das Aufwachsen von dem vor 20 Jahren unterscheidet. Aber das passiert viel seltener, als man glaubt. Groß angelegte Wertestudien zeigen, dass eine Abgrenzung von Generationen fast unmöglich ist. Unterschiede treten innerhalb von Alterskohorten auf, darüber hinaus sind sie viel geringer als medial transportiert. Wer also das nächste Mal etwas über eine »Generation XYZ« liest, sollte daran denken, dass es da eher um ein privilegiertes Milieu geht, das Zugang zu den Jobs in Literaturbetrieb und Journalismus hat. Das passt nur leider nicht auf einen Buchtitel.