Hoffnung trotz Weltuntergang – »Ich möchte zur Milchstraße wandern!« am Volkstheater Wien

Letzten Freitag hat Jan Philipp Gloger mit der Inszenierung einiger Texte des in Buchenwald ermordeten Schriftstellers Jura Soyfer seine Zeit am Volkstheater eröffnet. Dabei hat er es geschafft, einen unterhaltsamen und mitreißenden Abend zu gestalten, der sein Publikum ernst nimmt. Wer genau dieses Publikum ist, wird sich noch zeigen.

© Marcella Ruiz Cruz

Vor dem Theater der rote Teppich, Kameras, Leute, die sich erkennen und begrüßen – und etwas, das mich an ein menschengroßes Ohr erinnert und mich anpeilt. Auf Karton geschriebene Fragen hält es mir hin: Wer das »Volk« des Volkstheaters sei, welche Unterschiede es zur Voges-Intendanz gäbe. »Das werden wir jetzt sehen«. Damit ab hinein ins Volkstheater. Visuell hat sich erst einmal wenig verändert. Die Programme sind etwas dicker und voller spannender Texte zum Stück und Autor – und kosten jetzt auch wieder etwas. Dann geht es auch schon los.

»Wir sind eine Kulturstadt. Manchmal vergessen wir’s nur.«

»Ich möchte zur Milchstraße wandern!« ist ein Abend, der drei von Jura Soyfers Stücken und noch ein paar weitere seiner Texte umfasst. Mehrere Rahmen liegen um die Handlung. Der Schauspieler (Andrej Agranovski), der sich für den Zustand des Theaters entschuldigt, als würden wir uns auf einer kleinen Wiener Kellerbühne aus Soyfers Zeit befinden. Das steht im Kontrast zur Größe des Volkstheaters, das durch eine aufgebaute »Nudelbrett«-Bühne und mehrere rote Vorhänge etwas verkleinert wird – etwas mehr Volksstück.

Die zweite Klammer, die sich öffnet, ist die des Tanzes der Planeten und der unzufriedenen Sonne (Alicia Aumüller), die kurzerhand einen Kometen (Samouil Stoyanov) schickt, um die Erde von ihrer Plage Mensch zu befreien. Es startet eine skurrile, bittere Szene nach der anderen, in der Professor Guck (Sissi Reich) sich als einziger um das Fortbestehen der Erde kümmert. Ohne große Textänderungen wirken Soyfers Worte auch heute pointiert und aktuell: der kapitalistische Wahn, der den Weltuntergang zum Ausverkauf gestaltet. Neben dem Weltuntergangs-Schlager samt Unter-Welt-Gang, ignoranten und überbürokratischen Politikern sowie dem an Elon Musks Space-X-Rakete angelehnten Bühnenbild (Bühne: Marie Roth) kommt das Ensemble in all seinen Facetten zum Glänzen. Musikalisch begleitet werden sie dabei von Kostia Rapoport.

Das Bühnenbild von »Ich möchte zur Milchstraße wandern!« ist spacig. (Bild: Marcella Ruiz Cruz)

»Geh’n ma halt a bisserl unter«

Die verschiedenen Stücke und Texte gehen fast nahtlos ineinander über. Es ist jedoch spürbar, wie viel beim mittleren »Astoria« herausgekürzt wurde, um in der Zeit zu bleiben. Dabei sind auch einige der Alltagssexismen des Textes gestrichen worden, worüber ich nicht traurig bin. Vermisst habe ich allerdings die Erkenntnisse, die Hupka (Tjark Bernau) dabei macht. Von jenem Beamtenapparat, der der Stolz des (fiktiven) astorischen Staates ist, erzählt zwar der Butler James (Andrej Agranovski), aber sehen tun wir ihn nicht.

Nach einer kurzen Detour zur »Nazirede mit einigen Schönheitsfehlern« und der »Geschichtsstunde im Jahre 2035«, landen wir in der toten Stadt des Vergessens, »Vineta«. Atmosphärisch ein kompletter Wechsel, Licht auf der Bühne dunkel und gelb, Monotonie und Unbehagen liegen in der Luft. Jonny (Maximilian Pulst) läuft im Kreis durch die Jahre. Der rote Faden zieht sich weiter: Die Frage der Hoffnung und der Hoffnungslosigkeit. Wofür Leben? Worauf hoffen? Die Space-X-Rakete ist eine Fehlkonstruktion, doch wird die Erde im letzten Moment verschont. Eine Liebeserklärung des Kometen an diesen Planeten, auf dem wir leben. Eine Liebeserklärung Soyfers, bevor er 1938 im KZ Buchenwald an Typhus starb.

Krisen thematisieren. Und aushalten.

Es ist schön zu sehen, dass Gloger sein Publikum denken lässt, Bezüge zur Gegenwart unter anderem durch Kostüme (Justina Klimczyk) zeigt, aber nicht vorbuchstabiert. Staatennamen und Krisen wurden in »Astoria« nicht modernisiert, es geht nicht darum, wer gut und böse ist. Es geht um Konflikte generell, die leider etwas so Menschliches sind, dass Texte aus den 1930ern sie ohne große Übersetzung behandeln können. Das ist die Kraft dieses Abends.

(Bild: Marcella Ruiz Cruz)

»Ich möchte zur Milchstraße wandern!« hatte am 12. September 2025 Premiere. Die Inszenierung läuft noch bis 12. Oktober 2025. Mit diesem Wochenende eröffnet das Volkstheater seine Saison 2025/26 unter der neuen Intendanz von Jan Philipp Gloger.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...