Der Alterungsprozess schreitet bei mir rapide voran. Da gibt es leider nichts mehr zu beschönigen.
Geheimratsecken werden größer, Resthaar langsam grau und irgendwie kommt mir vor, dass auch der Hass weniger wird. Was konnte ich mich etwa früher schön echauffieren. Über Himbeerjoghurt zum Beispiel. Nussbrot. Basisdemokratie. Ja, Panik. Menschen, die für »How I met your Mother« schwärmen. Oder Artikel irgendwelcher frischen Journalistenschulabsolventen, die protzig als Ich-Reportage angelegt sind und unerträglich groß portionierte Scheißhaufen an Mittzwanzigerweisheiten inkludieren. Alles nur noch unter Anstrengungen möglich. Und auch das Trinken ist nicht mehr das, was es einmal war. Ich vertrage zwar mehr Alkohol, baue ihn aber derart langsam ab, dass ich gar nicht mehr richtig nüchtern werde. Denn mehrere Biere oder zumindest eine ordentliche Flasche Wein alle zwei Tage, lautet meine Devise. Wenn ich also wieder zu trinken beginne, bin ich meistens noch restfett.
Falls jetzt jemand bei sich denkt, »Ach Gottchen, das ist ja schrecklich, wie soll denn das auf Dauer gut gehen und funktionieren?«, möchte ich mich für das entgegengebrachte Mitgefühl sehr herzlich bedanken, aber auch betont wissen, dass man es sich getrost sparen kann. Ich bin nämlich geübt darin meine Gehirnkapazitäten nicht vollends auszuschöpfen und dennoch Topleistungen zu erbringen. Da bin ich echt ein Wunder und wurde schon von vielen Menschen genau beobachtet, die in Erfahrung bringen wollten, was mich denn zu so einem Supertyp macht. Ohne Befund. Ich sag dann immer, dass das Geheimnis wohl darin liegt, dass ich im Stande bin, das hohe Niveau, welches ich so an den Tag lege, lediglich vom Ausmaß meiner Selbstverliebtheit und Geilheit übertreffen zu lassen.
Vor allem die Geilheit ist es, die jetzt im Alter immer schlimmer wird. Ich dachte ja – so wie es in den Lehrbüchern geschrieben steht – sie ließe mit den Jahren nach, in meinem spezifischen Fall ist das aber eine glatte Lüge. Ich hab da deswegen auch schon überlegt, vielleicht dem Esoterikshop bei mir im Haus einen kleinen Besuch abzustatten. »Tarot, Rückführung, Clearing« prangt in fetten, roten Lettern am Schaufenster. Vielleicht kann dort mein Problem gelöst werden und ich komme meiner Libido, meinem Eros auf die Spur. Viel Hoffnung hab ich aber nicht, denn ich bin mir sicher, dass in diesem Laden andere Dinge vor sich gehen. Und ich denke jetzt nicht an ausgedehnte Duschorgien mit Granderwasser, bei denen dann alle Teilnehmer in Tränen ausbrechen. Nein, nein, ich denke vielmehr in Richtung Geheimprostitution.
Denn bis spät in die Nacht brennt dort drinnen immer Licht. In Kombination mit dem roten Samtvorhang, der niemals zur Seite gezogen wird, hat das etwas von einem Puff. Und die Besitzerin, wollen wir sie Wanda nennen, strahlt durchaus das Selbstbewusstsein aus, das man kriegt, wenn regelmäßig Menschen bereit sind, viel Geld in Spezialinteressen zu investieren, die sonst niemand zu stillen vermag. Nur zur Info: Die Dame ist mit dem Wörtchen »matronenhaft« wahrlich nur unzutreffend beschrieben. Auf 185 cm Körpergröße kommen gut 160 Kilogramm Gewicht, meist sehr Blick anziehend in engen Leggins verpackt. Noch nie im Leben hab ich einen derartig riesig dimensionierten „Camel Toe“ gesehen. Ihre Vulva scheint aus Stoff verschlingenden Monstern zu bestehen. Die hat sicher Skylla und Charybdis in der Unterhose und die geben wohl erst dann Ruhe, wenn man »Rückführung« wörtlich nimmt und versucht ganze Köpfe an ihnen vorbei zu schieben. Hui, hab ich das jetzt eben wirklich geschrieben? Aber gelegentliche Ausfälligkeiten und kleine Vergriffe im Ton und in Gedanken gehören auch zum Alterungsprozess dazu. Das ist völlig normal, so wie das ständige erwähnen kleiner Wehwehchen und Krankheiten. Der versehrte Körper übernimmt jetzt nämlich das Kommando. Hypochondrie war gestern. Ich kann es kaum erwarten, endlich auch einmal über Prostatabeschwerden oder geilen Erlebnissen mit kleinen Fischen, die einem im Wasser die Psoriasis vom Leib knabbern erzählen zu können und dann ein prosaisches Sachbuch darüber zu schreiben.
Hab ich schon erzählt, dass ich sehr empfindlich auf Luftbewegungen geworden bin? Als ich unlängst im Zug unter einer Klimaanlage einschlief, bin ich mit Halsschmerzen aufgewacht und hatte in der mit Abstand heißesten Woche des Jahres einen ordentlichen HNO-Katarrh. Es ist übrigens durchaus von Vorteil, wenn man währende einer Hitzewelle nicht jeden Geruch wahrnimmt. Und es ist nicht minder irritierend, wenn der Geruchssinn wieder langsam zurückkommt. »Igitt, was riecht den da so komisch«, dachte ich, um nach intensiver Kontrolle festzustellen: »Shit, dass bin ja ich.« Und irgendwie war ich dann doch froh, dass es nicht der modrige Geruch des Alterns war, sondern nur ein kleines Knötchen Hundekot im Schuhprofil.