Das neue Bilderbuch-Album kommt und alle werden es lieben. Warum das so ist und ob Musikjournalismus immer gleichgeschalteter wird, haben wir Linus Volkmann und Jonas Vogt gefragt.
Müsste sich Musikjournalismus anders finanzieren, um wieder breitere Meinungen zu publizieren?
Linus Volkmann: Was heißt »breitere Meinungen«? Momentan ist der Trend ja, dass es diesen immer gleichförmigeren, etablierten Musikjournalismus gibt. Der nach wie vor am Tropf der großen Acts, der Musikindustrie und dem Kanon hängt (Stichwort: 10 Casper-Titelbilder in Deutschland) und dass aber auch zunehmend gar kein Geld mehr da ist – und Musikjournalismus Hobby (Blogs) oder Feuilleton-Thema wird. Man kann alles sagen und machen – man darf nur nicht mehr erwarten, dass einen die Musikindustrie noch mitschleift. Musikjournalismus als willfähriger Putzerfisch der Majorlabels. Das ist bald Geschichte. Keiner macht dann mehr Geld, dann können alle sagen, was sie wollen. Die Frage ist eher, warum tun das trotzdem so wenige – auch ohne ökonomische Abhängkeiten?
Jonas Vogt: Das ist eine müßige Diskussion. Wo soll diese Finanzierung herkommen. Außerdem bezweifle ich ja ohnehin, dass früher alles besser war.
Wie kann man das sonst noch lösen? Kann man etwas gegen diese »Selbst-Gleichschaltung« der (Musik-)Medien tun?
Linus Volkmann: Ich persönlich bin ausgeschieden aus der Redaktion von Deutschlands auflagestärkstem Musikmagazin. Und ich kann sagen, ich vermisse diese den wirtschaftlichen Umständen geschuldete »Gleichschaltung«, die ich auch die letzten Jahre zunehmend so empfunden habe, nicht. Ansonsten: Einfach geil abliefern. Es gibt eh nichts mehr zu verteilen vom Kuchen. Also holt euch eure Würde und die Analyse zurück, Musikjournos!
Jonas Vogt: Ganz einfach: Wenn man eine andere Meinung hat, soll man sie aufschreiben. Die Leser sind oft schlauer als wir denken. Sie können eine Meinung weitgehend als das identifizieren, was sie ist: eine Meinung, die gut oder schlecht begründet sein kann.
Wie reagieren deiner Meinung nach Musiker, Labels, Agenturen bezüglich der Zusammenarbeit mit Musikjournalisten auf diese Entwicklung im (Online-)Musikjournalismus?
Linus Volkmann: Durch das Zusammenwachsen und den notwendigen Kooperationseifer der Musikmedien haben die Künstler und Plattenfirmen natürlich auch mehr Einfluss auf die Berichterstattung. Kaum ein Covermotiv geht mehr in den Druck, ohne dass es der Künstler und sein Management nicht abgenickt haben. Oder im Zweifelsfall ändern ließen. Das ist verständlich. Wen man mehr Einfluss nehmen kann, wäre man blöd, es nicht zu tun. Aber dem Musikjournalismus selbst, seinem Image und Erscheinungsbild tut das nicht gut.
Jonas Vogt: Ich glaube nicht, dass die das so wahrnehmen. Du hattest auch früher schon Bands, die schwerer an die Kritiker zu bringen waren. Bands, die schwer an die Leute zu bringen waren. Und Bands, die alle geliebt oder gehasst haben.
Im Gegensatz zu Pre-Social-Media-Zeiten, als Musikjournalisten dem Klischee nach vor allem für ihresgleichen, ihre eigene soziale Gruppe, geschrieben haben, löst sich das seit ein paar Jahren auf. Braucht es für die breite, "uninformierte" Masse einfachere / positivere Meinungen?
Linus Volkmann: Die Frage wirkt so beschissen elitär und der Vulgär-Kulturpessimismus ist so durchschaubar. Ich beantworte das nicht! Tja, das muss man auch aushalten können. Ich plädiere für mehr Bock auf Dissenz.
Jonas Vogt: Es braucht aufgrund der oben beschriebenen Mechanismus wahrscheinlich extremere Meinungen, aber deshalb nicht zwingend positivere. Mit sehr positiv formulierten Meldungen erzeugt man Likes. Das können manche Medien – The Gap gehört dazu – extrem gut, und dasist auch sehr cool. Aber wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, sieht man, dass Likes und Zugriffszahlen von Artikel maximal grob korrelieren. Wenn ich »Das Flex ist gerettet!« titele, liken das 200 Leute, aber es liest kaum jemand, weil man die essentielle Meldung ja bereits hat. Titele ich »Es gibt Neuigkeiten in Sachen Flex«, ist es genau umgekehrt.
Unsere Jubel-Coverstory zu Bilderbuch gibt es hier. Den ausführlichen Artikel zu Klicks und Rudeljournalismus im Musikbereich gibt es hier.