Leonardo DiCaprio kratzt und beißt sich in Alejandro González Iñárritus "The Revenant" durch die tiefsten Wälder Amerikas. Der Film war nicht nur für DiCaprio, sondern wird auch für die Zuschauer zur Herausforderung.
Emmanuel Lubezkis Kamera zeigt lange auf die im Wind wehenden Baumwipfel. Erst langsam findet sie Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), einen Siedler, der einer Handelsexpedition den Weg durch unerforschte amerikanische Wälder zeigt. Als Glass fernab seiner Gruppe von einem Bären attackiert wird, erklärt sich John Fitzgerald (Tom Hardy) bereit, auf ihn aufzupassen, bis Hilfe kommt. Für eine Belohnung natürlich. Kaum sind sie alleine, lässt Fitzgerald Glass halb eingebuddelt zum Sterben zurück. Doch der überlebt und macht sich, von Rachegelüsten getrieben, auf die Suche nach Fitzgerald.
Wenn’s dann nicht mehr um den Film geht
Um "The Revenant" ranken sich wilde Gerüchte. Die Schauspieler reden vom härtesten Dreh, den sie je erlebt haben und die Crew soll revoltiert haben. Iñárritu und Lubezki haben es sich in den Kopf gesetzt, nur bei natürlichem Licht zu filmen (naja fast) und das hat den Dreh so weit nach hinten geworfen, dass man dem Winter von Kanada nach Argentinien nachfahren musste. Besonders heftig traf es DiCaprio, der in unzähligen Interviews davon spricht, welche Herausforderung der Film für ihn gewesen sei. Schlafen im Pferdekadaver, Essen einer echten Leber und Märsche durchs arschkalte Wasser, all das ließ er über sich ergehen. Alejandro González Iñárritu gab ihm nicht einmal die Möglichkeit zum Method Acting, sondern hat ihn alles einfach wirklich durchleben lassen. Nur der Bär war CGI.
Was bleibt ist ein Leonardo, der die Kälte, die Schmerzen und den Hass wunderbar zeigt. Er hat ja gar keine andere Wahl, wenn er sich in einen Fluss werfen und hunderte Meter gegen das Ertrinken kämpfen muss. Das Problem bei der Sache ist nur, dass er nicht in der Figur verschwindet, wir beobachten immer DiCaprio. Anders ist das bei Tom Hardy, der sich in seinen Charakter verbeißt. Schwer verständlich wie immer brabbelt er vor sich hin, ein Tuch verdeckt seinen geskalpten Kopf. Bei Glass spürt man Hass und Rache, während Fitzgerald von Angst getrieben wird. Angst vorm Erfrieren, vor Indianern und davor arm zu bleiben. Es sind die animalischen Gefühle, die vorantreiben.
Alejandro G. Iñárritu verkauft seine Filme immer als große Kunstwerke. Beim Oscargewinner "Birdman" war ich noch seiner Meinung, aber "The Revenant" ist ein einfacher Film, ein Vanity project, das sich durch einen harten Dreh auszeichnet. Eine tiefe philosophische Aussage kann man sich zwar einreden, es als Frage nach der Menschlichkeit sehen, aber das ist es nicht. Muss es auch nicht. Jeder Charakter wird von einem Urinstinkt beherrscht und das funktioniert für den Film ausgezeichnet. Es nervt aber etwas, wenn Iñárritu das Konzept als künstlerische Meisterleistung präsentiert.
Lubezkis Blick für das schöne Bild?
Die Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki verlangt neben DiCaprio nach der meisten Aufmerksamkeit. Die Bilder sind dank der magischen Stunde in ein natürliches Blaugrau getaucht, das einem die Kälte tief in die Knochen treibt. In schneebedeckten Wäldern ist der Atem der Darsteller nur dann nicht zu sehen, wenn die Linse so knapp dran ist, dass sie beschlägt. Die Kamera, sie ist immer da und sie ist immer nah. Mal bewegt sie sich so schnell wie angreifende Indianer, meistens schleicht sie selbst um die Darsteller. Sie wirkt nie hektisch oder unbeabsichtigt. Zielsicher finden Lubezki und Iñárritu die schönsten Bilder, jedes einzelne fürs Einrahmen designt. Doch da liegt auch das Problem, wenn einem die Kunst so vor Augen geführt wird, dass man die Geschichte von Hugh Glass vergisst.
Gemütlich schaut anders aus
Kann "The Revenant" als Film überzeugen? Es ist ein cineastisches Erlebnis, das man sich nicht durch eine Raubkopie oder ein schlechtes Kino versauen lassen will. Der Film ist nicht einfach und bestimmt nicht für jeden. Nach zweieinhalb blutig brutalen Stunden ist man komplett mitgenommen vom Geschehen und man fühlt die Kälte und die Schmerzen. Das Essen einer rohen Leber ist für den Zuschauer genauso grindig, wie für Glass. "The Revenant" ist schön aber in erster Linie intensiv. Wird einem beim Anblick von Blut schlecht, sollte man beim Trailer bleiben. Auch wenn Alejandro González Iñárritu seine tiefe Aussage nicht rüberbringt, ist "The Revenant" ein Film voller animalischer Kraft, bei dem die Zuschauer am Ende sagen werden: „Das war heftig, aber schön.“
"The Revenant" läuft bereits in österreichischen Kinos.