Die Schule für Dichtung in Wien hat einen neuen Leiter. Der Comiczeichner Nicolas Mahler übernimmt das Ruder von Autor und Radiomacher Fritz Ostermayer. Im Gespräch erzählen die beiden von ihrer Sicht auf die Schule für Dichtung, erläutern, warum sie ein Labor für Experimente bleiben sollte, und fragen sich, ob es früher mehr dichtende Rampensäue gegeben hat.
Möchtet ihr vielleicht beide kurz erzählen, was euer Zugang zur Schule für Dichtung war?
Fritz Ostermayer: Also in meinem Kopf war die Schule für Dichtung zum Zeitpunkt, als ich vor elf Jahren dort angefangen habe, ein zwar ehrwürdiger, aber altvaterischer und hippieesker Verein.
Nicolas Mahler: Also so fängst du ein seriöses Interview an. (beide lachen)
Ostermayer: Damals habe ich sogar in meiner Radiosendung eine Glosse gegen die Schule für Dichtung geschrieben. Ich dachte mir: »Das kann doch nicht sein! Längst gab es New Wave, gab es Dekonstruktion und so weiter. Und die haben immer noch nur die Beatniks im Schädel.« Wie ich dann hergekommen bin, ist das ja von heute auf morgen passiert. Nach dem Tod von Christian Ide Hintze war ich innerhalb einer Woche neuer Leiter. Ich wurde angefragt und habe mir dann tatsächlich zwei, drei Tage Bedenkzeit erbeten, weil ich mir gedacht habe: »Warum ich?« Na wohl, weil ich so goschert dahergeredet habe. Das war schon ein Vertrauensvorschuss – aber den kann man ausnutzen. Tabula rasa wollte ich trotzdem nicht machen. Wer bin ich denn, dass ich hier herkomme und alles Hippieeske loswerde? Aber ich habe deutlich andere Schwerpunkte gesetzt.
Wie war dein Zugang zur Schule für Dichtung, Nicolas?
Mahler: In den frühen 90ern habe ich die Anfänge mitbekommen – mit Nick Cave, Falco und so weiter. Da war ich nicht viel älter als 20.
Ostermayer: Das war natürlich beeindruckend.
Mahler: Ja, war es. Deswegen war die Schule bei mir durchaus positiv besetzt, aber im Anschluss habe ich sie aus den Augen verloren. Ich bin dann das erste Mal wieder in Kontakt gekommen durch eine Klasse, die die Zeichnerin Line Hoven gemeinsam mit der Schriftstellerin Teresa Präauer gehalten hat. Das ist wahrscheinlich eh ganz typisch, dass man zu so etwas kommt, wenn es irgendwie dem eigenen Kosmos entspricht. Zu einer reinen Lesung wäre ich wahrscheinlich gar nicht erst gegangen.
Wie geht ihr damit um, in der Schule für Dichtung auch eine Breite von Lyrik und von Dichtung einzufangen?
Ostermayer: Die Breite ist wichtig. Aber natürlich eine Breite, zu der wir fähig sind. Deswegen habe ich damals gleich einmal eine Hip-Hop-Klasse mit König Boris von Fettes Brot organisiert. Und eine Gstanzl-Klasse mit Attwenger. Mein Zugang war im weitesten Sinn von Populärkultur und Popmusik geprägt. Das habe ich da hineingebracht. Und lyrisches Sprachspiel, das auch ins Lächerliche, ins Groteske, ins Komische gehen kann. Mir ist das deutlich näher als Lyrik, die tief empfunden ist, die aus dem Innersten herausschöpft. Es ist mir in der Kunst immer unsympathisch, unheimlich oder verdächtig, wenn jemand das Innerste nach außen stülpen will. Da habe ich schon einen Narzissmusverdacht. Das ist ein bildungsbürgerlicher Topos, der mich nicht interessiert.
Hat so etwas deiner Meinung nach keinen Platz in der Schule für Dichtung?
Ostermayer: Oh ja, in der Schule für Dichtung muss durchaus auch etwas Platz haben, zu dem ich gar keinen Zugang habe. Dann kommt halt einmal im Jahr Anne Waldman und führt die Beatnik-Tradition weiter.
Mahler: Das sehe ich auch so. Ich hätte eher etwas dagegen, herzukommen und das Ganze nach dem eigenen Interesse zusammenzuhauen. Man erkennt schon Dinge, die funktionieren, auch wenn man sich nicht so richtig dafür begeistern kann. Aber wenn sie sich gut etabliert haben, kann man sie ja erweitern oder ergänzen.
Auf der Website der Schule für Dichtung habe ich gesehen, dass 60 Prozent der Teilnehmer*innen weiblich sind. Jetzt sitze ich hier mit zwei männlichen Leitern zusammen …
Ostermayer: … wann ist also Zeit für die erste Frau? Wer sagt denn, dass wir nicht bei einer Frau angefragt haben?
Mahler: Auf die erste Anfrage habe ich ja auch gesagt, dass es eine Frau sein muss, und habe ein paar Vorschläge gemacht. Wie ich dann erfahren habe, dass die Lehre auf der Sprachkunst ohnehin sehr weiblich ist, habe ich mir gedacht: »Naja gut, warum nicht?« Es scheint sich schon etwas zu wandeln. In meiner Wahrnehmung gibt es sehr viele Autorinnen, obwohl dann doch wieder ein Großteil der Neuerscheinungen von Männern ist.
Hat die Schule für Dichtung eurer Meinung nach einen politischen Anspruch? Oder vielleicht einen sprachpolitischen?
Ostermayer: Ich sehe den nicht mehr so, wie ihn die Gründungsväter und -mütter gesehen haben. Dass zum Beispiel die Kleinschreibung ein politischer Akt wäre. Es war der Wunsch, dass es ein politischer Akt ist. Aber ich habe es nie so gesehen, dass es tatsächlich einer ist. Wir haben es einfach durchgezogen, weil es Tradition ist. Wenn du diese Tradition kippen würdest, Nicolas, würde mir das gar nichts ausmachen. Es gibt heute in der Schule für Dichtung diesen Notwendigkeitszwang nicht mehr, sich auf den Balkon zu stellen und da runterzuproklamieren. Die Sache mit dem Balkon auf die Mariahilfer Straße ist bei uns eher ein ironisches Zitat. Wir nennen das ja auch »Depeschen aus dem Elfenbeinturm«.
Mahler: Wann hat sich da zuletzt wer hingestellt und runtergeschrien?
Ostermayer: Das war vor circa einem Jahr. Eine Zeit lang gab es das jeden ersten Werktag des Monats. Aber dann sind wir draufgekommen, dass es sehr viele wollen und nur die wenigsten können. Sehr sensible Dichter*innen und Poet*innen schaffen das von da oben nicht. Du musst eigentlich eine Rampensau sein, um das Publikum, die Laufkundschaft irgendwie an dich zu binden oder kurze Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dazu brauchst du eine Frechheit, eine Marktschreier*innen-Mentalität.
Mahler: Aber hat es früher mehr dichtende Rampensäue gegeben?
Ostermayer: Maybe. Aber vielleicht sammelt die Schule für Dichtung auch die Anti-Rampensäue. Ich weiß es nicht. Man muss dann halt immer die Rampensäue aus verwandten Disziplinen suchen – und das ist meistens Musik. Das hat immer funktioniert. Der Nino aus Wien hat zum Beispiel runtergeschrien. Auch wenn der normal eher ein Leiser ist, aber da ist es gegangen. Es braucht Menschen, die Bühnenerfahrung haben. Lydia Haider war perfekt, die hat gleich runtergepredigt.
Die Comicleute sind ja eher …
Mahler: … nach innen gekehrt.
Ostermayer: Draußen zu implodieren, wäre auch interessant. Es gibt ja auch einen festen Krach, wenn man implodiert.
Aber als, um das böse I-Wort zu verwenden, Institution …
Ostermayer: Aber kleingeschrieben!
Ja! Kleines I. Als institution hat man ja schon immer ein bisschen Gewicht in einer Szene. Allein, dass das Institut für Sprachkunst nicht zuletzt auf die Schule für Dichtung zurückzuführen ist, heißt ja was. Wie geht ihr mit diesem Stellenwert um? In welche Diskurse wollt ihr euch da überhaupt begeben?
Ostermayer: Für mich war da nie eine große Relevanz nach außen. Eher bin ich froh, dass die Schule für Dichtung nach wie vor ein kleines gallisches Dorf sein kann und trotzdem finanziell unterstützt wird von Bund und Stadt. Weil sie einen spielerischen, experimentellen Zugang zu Literatur – fernab jeder Angst des Scheiterns – aufweist. Für mich ist es etwas ganz Wertvolles, dass man gemeinsam mit den Spielleiter*innen schaut, was aus mir rauskommen kann. In vollkommenem, vielleicht sogar interesselosem Wohlgefallen. Ohne Verwertungslogik.
Mahler: Ich finde es ja wirklich entspannend, dass es das Institut für Sprachkunst gibt. Wenn es das nicht gäbe, müsste man hier den Begriff »Dichtung« wahrscheinlich viel enger fassen. Da könnte ich dann nicht kommen und ein paar Leute zum Zeichnen holen. Jetzt mach ich das mal, bis mir jemand eins auf den Deckel gibt. Ich glaube, die Schule für Dichtung kann da ein Labor sein. Wenn man zum Beispiel viele Klassen anbietet, die in Richtung Comic gehen, wäre das vielleicht auch der erste Schritt für das Institut für Comic an der Angewandten oder so. Und dann kann man hier etwas Neues machen. Sobald etwas etabliert ist, macht man nicht mehr dasselbe im Kleinen, sondern brütet eben wieder was anderes aus.
Ostermayer: Das Punk-Institut für die verschiedensten Disziplinen! Und irgendwann bist du vielleicht zu gelangweilt, zu alt oder zu gesettelt für Punk. Und dann machst du halt das Seriösere. Aber wichtig ist, dass hier ein Labor, ein Sprungbrett für alle bestehen bleibt.
Sind das deine Pläne als neuer Direktor, Nicolas? Mehr Comicleute an der Schule für Dichtung?
Mahler: Naja, das ist naheliegend, weil ich da den Einblick habe und die Leute kenne. Aber natürlich habe ich nicht vor, eine Zeichenschule draus zu machen. Das wird ohnehin spannend, wie die Kursleiter*innen mit Bildarbeit und Textarbeit umgehen. Gerade in der knappen Zeit. Und es wird auch spannend, wer teilnimmt. Sind das Leute, die zeichnen oder die sich das mal anschauen und gar nicht zeichnen können? Aber das ist das Gute am Comic: Selbst wenn man schlecht schreibt und schlecht zeichnet, kann es trotzdem ein super Comic sein. Comic kann man nicht mit den normalen literarischen Maßstäben messen. Oft ist das unliterarisch Geschriebene sogar besser, als wenn ich Literatur schreibe und die dann bebildere.
Das aktuelle Kurs- und Veranstaltungsprogramm der Schule für Dichtung ist unter www.sfd.at abrufbar. Nicolas Mahler wird im März sein erstes Programm als deren Leiter bekannt geben.