Intimitätskoordination ist in der Filmbranche eine recht neue Erscheinung. Dabei begleiten geschulte Vertreter*innen des Berufs die Abteilungen Schauspiel und Regie bei der Erarbeitung intimer Szenen. Was es zu beachten gibt und welchen Stellenwert der sensible Umgang mit persönlichen Grenzen einnimmt, erzählen uns die Intimitätskoordinatorin Cornelia Dworak sowie die Schauspielerin Pia Hierzegger.
Zeiten des progressiven Umbruchs erfordern stabile Maßnahmen, anderenfalls droht dieser nichts weiter zu sein als ein gut gemeinter, letztlich aber folgenloser Fingerzeig. Dass solche Maßnahmen in Bezug auf körperliche und seelische Übergriffe in der Film- und Fernsehbranche nötig sind, ist nicht von der Hand zu weisen – wie zuletzt die Schilderungen der Regisseurin Katharina Mückstein erneut belegten.
Die vergangenen Jahre zeigten der Weltöffentlichkeit das drastische Ausmaß: Zwischenmenschliche Begegnungen, Alltag am Filmset und patriarchale Machtstrukturen können zu Übergriffen und Machtmissbrauch führen. Insbesondere das weite Feld sogenannter »intimer Szenen«, etwa Sexszenen, ist davon betroffen. Noch bis vor einigen Jahren wurde die Ausführung intimer Momente vor der Kamera recht frei gehandhabt – eben nach dem Motto, mal sehen, was geschieht. Spontan intim sein war das Credo zahlreicher Regisseur*innen, aber auch (vornehmlich männlicher) Schauspieler*innen.
Sensible Szenen
Noch bevor der Fall Weinstein Schlagzeilen machte, initiierten andere, zumeist Frauen, einen Gedankengang, der schließlich zu konkreten Maßnahmen führte. Eine Pionierin auf dem Gebiet der Intimitätskoordination ist die Britin Ita O’Brien. Auf Basis eigener Untersuchungen stellte sie im Jahr 2014 eine Art Richtlinie auf, wie mit intimen Szenen umzugehen sei. Noch ist der Beruf aber nicht überall angekommen. Eine der wenigen Vertreter*innen des Fachs in Österreich ist Cornelia Dworak. Sie ist die einzige Stuntkoordinatorin des Landes und wurde zu sensiblen Szenen gerufen, noch bevor es die Bezeichnung Intimitätskoordination überhaupt gab.
An ihrem Werdegang wird ein zentraler Gedanke des Berufs deutlich: Intime Szenen sollen nämlich wie professionelle Stunts betrachtet werden – und als solche einer genauen Choreografie folgen. Vorbereitung ist Voraussetzung, erzählt Dworak – und beschreibt ihren Alltag als Intimitätskoordinatorin wie folgt: »Ich führe Gespräche mit Produktion und Regie, um meine Arbeitsweise zu erklären und zu verstehen, welche Geschichte erzählt werden soll. Ebenfalls wichtig zu klären ist die Auflösung der Szene, also in welchem Stil diese gefilmt werden soll. Der Filmstil beeinflusst maßgeblich, welche choreografischen oder kostümtechnischen Möglichkeiten ich habe, um zum Beispiel bestimmte Körperteile zu verdecken. Mit all der gesammelten Information führe ich dann Einzelgespräche mit den Schauspieler*innen und spreche hier schon über die Szene, Regiewünsche, meine Arbeitsweise, ihre Ideen, Fragen, Bedürfnisse, ihre Grenzen und mit welchen Mitteln ich sie bei ihrer Arbeit unterstützen kann.«
Safer Spaces schaffen
Während bei typischen Kampfszenen jeder Bewegungsablauf minutiös geplant wird, ließen intime Szenen eine solche Herangehensweise lange Zeit vermissen. Den vorbereitenden Gesprächen mit Regie, Produktion und Schauspieler*innen folgen Proben. Dabei werden Bewegungsabläufe und Berührungen geplant, jeweils innerhalb klar abgesteckter Grenzen erarbeitet. Doch auch andere Berufsgruppen am Set sind von der Arbeit von Intimitätskoorinator*innen betroffen: »Ich führe je nach Notwendigkeit Gespräche mit diversen Departments, wie etwa Kostüm, Maske, Kamera oder Ausstattung, damit am Drehtag auch alles vorbereitet ist. Am Drehtag selbst checke ich mit den Schauspieler*innen ein, kläre, ob es noch Fragen zur Szene oder Choreografie gibt bzw. ob sich Grenzen verschoben haben. Gerne steige ich mit den Darsteller*innen vor Dreh mit einem körperlichen Warm-up ein und wiederhole den szenischen Ablauf rein technisch. Ich achte darauf, dass während des Drehs ein closed set eingehalten wird. Das heißt: ein kleines Team am Set und beschränkt zugängliche Videoausspielung.«
Beim Dreh selbst ist es laut Dworak Aufgabe der Intimitätskoordination, die Regie mit desexualisierter Kommunikation zu unterstützen, Anpassungen an die Darstellenden zu kommunizieren und darauf zu achten, dass choreografische Absprachen eingehalten werden. Dem Ende der Dreharbeiten folgt im Regelfall ein Gespräch mit den Darsteller*innen, bei dem Erfahrungen ausgetauscht werden.
Doch wie reagieren die unterschiedlichen Abteilungen auf den vergleichsweise neuen Beruf? Dworak zufolge trifft man die meisten Widerstände dort, wo noch unklar ist, wie sie arbeite: »Wenn ich meinen Arbeitsprozess, die Techniken und die Möglichkeiten der Unterstützung erkläre, ist die Reaktion meist sehr positiv. Als Darsteller*in erfährt man, dass ein Raum für offene Kommunikation geschaffen wird und persönliche Grenzen abgesteckt werden.«
Kreative Freiheit durch Grenzen
Nicht alle sind jedoch glücklich über die Strenge, die der Beruf scheinbar mit sich bringt. Manche Regisseur*innen fürchten den Verlust von Spontaneität oder die Aufgabe unvorhergesehener Kreativität. Die österreichische Schauspielerin Pia Hierzegger ist dahingehend optimistisch: »Wenn es klare Regeln gibt, können Kreativität und Genialität noch immer Platz haben. Es werden normalerweise beim Drehen ja auch vorgegebene Sätze gesprochen. Vielleicht hilft es sogar, interessantere intime Szenen zu entwickeln.« Cornelia Dworak stimmt zu: »Die kreative Freiheit beginnt in Wahrheit dort, wo eine Grenze aufgezeigt wurde. Meist entstehen genau dadurch neue Ideen, die aus den üblichen Mustern ausbrechen.«
Selbst hat Pia Hierzegger bisher noch nicht mit Koordinator*innen wie Cornelia Dworak gearbeitet. Noch immer ist der Beruf in Österreich eher eine Seltenheit. Priorität Nummer eins sei es, ein Bewusstsein für das Feld zu schaffen. Dworak erfährt aus vielen Gesprächen von Übergriffen, beschreibt aber auch einen langsam stattfindenden Wandel, der die Notwendigkeit von Intimitätskoordination erkennt. »Wie immer liegt der Grundstein in der Ausbildung. Egal ob für Regie, Produktion oder Schauspiel. Grenzen müssen schon in der Ausbildung thematisiert und respektiert werden. Filmschaffende brauchen Schulung, wie sie Grenzen als Chance sehen und kreative Alternativen erarbeiten können. Erst wenn es keine Stigmatisierung mehr gibt, als kompliziert zu gelten, wenn man Grenzen kommuniziert, können wirklich freie Entscheidungen getroffen werden und Zustimmung aus voller Überzeugung erfolgen.«
Notwendiger Wandel
Bei alldem darf außerdem nicht vergessen werden, wo die Wurzel des Übels liegt. Übergriffe sexueller Art sind kein exklusives Problem der Filmbranche, sondern das Ergebnis tiefsitzender gesellschaftlicher Missstände. »Ein neues Berufsfeld ändert noch nicht die Gesellschaft, lenkt aber den Blick auf mögliche Probleme und macht alle Beteiligten sensibler für das Thema. Außerdem ist Struktur und Klarheit immer wünschenswert und hilft Missverständnissen vorzubeugen«, meint Hierzegger.
Und auch Cornelia Dworak glaubt, dass das Thema Intimitätskoordination uns alle betrifft, egal in welcher Branche man zu Hause ist, denn: »Achtsamkeit im Umgang mit anderen Menschen und offene Kommunikation über Grenzen sollte auch im privaten Leben geschult und thematisiert werden. Eine freie Zustimmung kann nur dann erfolgen, wenn keine negativen Konsequenzen aus der Entscheidung resultieren.«
Eine reguläre Ausbildung zum*zur Intimitätskoordinator*in gibt es in Österreich bisher nicht. Vertreter*innen des Berufsfelds bieten aber immer wieder Workshops und Informationsabende an. Dennoch dürfte es noch etwas dauern, ehe Intimitätskoordination zum Standard am Filmset wird.