Gefühl und Deutsch-Rap waren lange nicht wie Faust und Auge. Casper hat vor zwei Jahren die Nachdenklichkeit salonfähig gemacht. Während dieser heute nur mehr Pop machen will, rettet ausgerechnet ein junger Österreicher das junge Genre: Gerard.
Die Produktionen kamen aus dem nahen Umfeld: »Wir hatten immer wieder Anfragen von Produzenten, aber ich wollte so wenig Einflüsse von außen wie möglich. Mit Fid Mella, Nvie Motho, Mainloop und Clefco bin ich außerdem gut befreundet, das macht das Arbeiten leichter.« Außerdem stand DJ Stickle mit Rat zur Seite, den Gerard noch aus Oberösterreich kennt. Stickle war gemeinsam mit Steddy für den Erdrutscherfolg von Caspers »XOXO« verantwortlich und produzierte auch Chakuzas Album »Magnolia«, mit dem sich der ehemalige Streetrapper von der Straße abwandte. Beide, Steedy und Stickle, gelten seither als die »Golden Boys« im Land der aufgehenden Gefühle. Auf »Blausicht« produzierte Stickle allerdings nur die zweite Single »Manchmal«. Wenn Blau klingen könnte, würde »Blausicht« wohl blau klingen.
Es klingt rund, elektronisch, einmalig, ist trotzdem überaus vielseitig. Zwar schlägt es bisweilen in eine zeitgeistige Kerbe, mit schweren Worten und einer wuchtigen Atmosphäre, die Pathos-Falle wird aber immer gekonnt übersprungen. Beats, die aus Regentropfen gesampelt sind, Harmoniewechsel und kleine Ausreißer, wie das von Fid Mella produzierte »Wie neu« verleihen dem Album eine Lockerheit und halten die musikalische Spannung. »Blausicht« nimmt sich ernst, ohne dabei aber die Bedeutungsschwere zu erzeugen, mit der so manches Gefühlsrap-Album der jüngeren Vergangenheit die Hörer erdrückte. »Natürlich haben wir versucht, ein zeitgemäßes Album zu produzieren«, sagt Gerard. »Aber es war uns wichtig, dass wir uns nicht anbiedern. Eine Gitarre zum Beispiel sucht man auf dem Album vergeblich.«
Endstation Pathos
Aber wie viel Gefühl verträgt Deutsch-Rap? Nach den Erfolgen von Caspers »XOXO« und Prinz Pis »Rebell ohne Grund« vor zwei Jahren begannen sich die Tracks und Themen zu ähneln und zu wiederholen. Deutsch-Rap kullerte erstmals seit Curse wieder eine dicke Träne über die von der Straße vernarbte Wange. Die Bildsprache wurde immer gewaltiger, die Beats epochaler und überhaupt dachten dann alle zu viel über sich selbst nach. Die Hörer wurden immer jünger, während der Pathos gewaltig an Glaubwürdigkeit und Relevanz kratzte. Für die verlorene Liebe, Unsicherheit und die schwere Kindheit haben fast alle eine Lösung parat, die sich ebenfalls wie ein roter Faden durch die Songs und Alben zieht: Sie müssen raus. Egal wie. Ob laufen, rennen, fliegen oder fahren. Hauptsache weg von dort, wo sie gerade sind.
Gerard trinkt auf »Blausicht« zuerst einmal einen Kaffee. Raus muss er spätestens bei der ersten Single »Lissabon«, erklärt im Interview aber, dass das keine Flucht, sondern vielmehr die Sehnsucht nach einem Urlaub mit der Freundin ist. Dem Pathos schlägt Gerard jedenfalls ein Schnippchen: Er setzt seine sprachlichen Bilder gezielt ein, und selbst wenn er einmal den Regen anzündet, federt die Produktion das Bild kühl ab. Der Zeigefinger bleibt ebenfalls in der Tasche: »Ich bemühe mich bei meinen Texten, nicht zu predigen. Ich erzähle einfach meine Geschichten und wer möchte, kann sich einklinken«, so Gerard. Die Stärke der Erzählungen ist ihre Relevanz. So schafft es »Blausicht« auch bei Spätzwanzigern, einen Nerv zu treffen. Gerards Reimstrukturen halten den Hörer bei der Stange, ohne aufdringlich zu wirken. Die Suche nach Einflüssen ist schwer, endet aber bei »Manchmal« mit einem Aha-Erlebnis: »Ich bin der größte The Streets-Fan. Man kann schon sagen, dass mich Mike Skinner und vor allem seine Art, Geschichten zu erzählen, beeinflusst hat.«
Wien, die Welt und der letzte Schluck Kaffee
Das Jus-Studium, für das er Thalheim bei Wels verlassen hatte, konnte Gerald Hoffmann nicht so beeindrucken. Der Entschluss, Aktenkoffer und Gerichtssäle für Mikrofon und Studio einzutauschen, fiel ihm nicht schwer: »Ich wusste immer, dass ich dort nicht hingehöre, dass das nicht meine Welt ist. Und diese Welt ließ mich das auch spüren. Einmal musste ich kurz lachen, als mir auf einer Party ein Mädchen begeistert von ihrem Gerichtsjahr erzählte. Ich bin jetzt endlich dort angekommen, wo ich hinwollte. Das kann ich, das mag ich.« Der 26-Jährige mag auch Wien. Und wenn Wien klingen könnte, würde »Blausicht« wohl auch nach Wien klingen. Das Album ist durchgehend in der Bundeshauptstadt entstanden, aufgenommen wurde in Stickles Berliner Studio und das Mischen dann der Erfahrung von Patrick Pulsinger anvertraut. Also auch wieder Wien. Die Stadt, die Clubs, die Welt, letztendlich Glück, wie das für uns funktionieren soll, auch das sind Gerards Themen.
Im Weinhaus Sittl muss bezahlt werden. Gerald Hoffmann lächelt: »Ich bin gespannt, wann und ob sich das alles rechnet. Ich musste Prioritäten setzen, beim Album wollte ich auf keinen Fall Abstriche machen. Deshalb haben wir uns auch für den Weg zu Patrick Pulsinger entschieden.« Dass er dafür mit Band und Kasterln im Auto quer durch Deutschland fahren muss, nimmt er in Kauf. Er hat sich dafür entschieden, unabhängig zu bleiben, ohne Vorschuss, obwohl es gute Angebote gab. »Wenn du einmal am Schreibtisch der Majors weiter runterrutscht, wird es schwierig. Niemand kümmert sich mehr um dich und du bist trotzdem noch auf Jahre vertraglich gebunden. Dann doch lieber Indie«, erklärt Gerard und bezahlt seine Rechnung.
»Nichts« ist der letzte Titel auf »Blausicht«. Gerard hat seinen Kaffee überzuckert, verzieht das Gesicht und schüttet ihn weg. Die Geschichte von einem verstorbenen Freund lässt das Album ausklingen, Nvie Mothos Produktion hallt nach und löst die Schwere klanglich auf. Gerard zieht die Gefühls-Rap-Reißleine und könnte mit seiner blauen Sicht auf Rap ein Genre erden, in dem sich niemand mehr selbst so richtig wähnt. Es waren gute Jahre für Rap aus Österreich, mit Kamp, Skero, Raf 3.0, Nazar, den Vamus, Brenk Sinatra und Chakuza. Gerard unterstreicht die Relevanz mit einem Album, das einer der Höhepunkte der blauen Phase von Deutschrap ist. Kein Kaffee, kein Zucker, Champagner runter, dann nichts wie weg.
»Blausicht« von Gerard erscheint am 20. September bei Heart Working Class. »Hinterland« von Casper erscheint auch.
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