Brauchen deine Freundschaften einen Frühjahrsputz? – An Tag 2 seines Blogs aus dem Silicon Valley serviert uns Wolfgang Ainetter eine Story in der Story. Mit einem Gastauftritt von Kurt Kuch.
Seit mittlerweile 25 Jahren arbeite ich als Journalist. In meinem Leben habe ich vermutlich an knapp 7.000 Redaktionssitzungen teilgenommen. Doch so eine Konferenz wie hier in Mountain View, Silicon Valley, habe ich bislang noch nie besucht.
Mein zweiter Tag bei OZY, dem vielleicht besten Online-Magazin der Welt. Samir, der OZY mit CNN-Legende Carlos Watson vor knapp zwei Jahren gegründet hat, leitet die Sitzung. Der Finanzmann war Partner bei Goldman Sachs in New York, bis er DIE „Challenge“ suchte. In Zeiten, in denen viele den Journalismus totschreiben, sagt ausgerechnet ein Investmentbanker: „I believe in good journalism.“ So etwas nennt man wohl „to swim against the tide“ – gegen den Strom schwimmen.
Wer eine Redaktionssitzung bei OZY besucht, braucht kein Lehrbuch über die Kunst der Motivation zu kaufen. Sieben Redakteure sagen zu Beginn, welche drei Storys ihnen in der vergangenen Woche am besten gefallen haben. Wer als Edelfeder (verzeihen Sie mir bitte diesen antiquierten Print-Ausdruck) gekürt wird, bekommt lauten Applaus.
Mehr Applaus
Danach nennt ein Social-Media-Profi die Top-5-Geschichten mit den meisten Klicks, Shares, Likes, Retweets und Favorites. Wieder tosender Beifall für die jeweiligen Erfolgsautoren. Ich habe den Eindruck, dass hier keine Show abgezogen wird, sondern man sich gegenseitig die Anerkennung gönnt. „If we are one team, we make the impossible possible“, sagt ein Editor, der per „Google Hangout“ aus New York zugeschaltet ist.
„Hangout“, Skype und Smartphones ersetzen bei OZY fast zu hundert Prozent das gute alte Festnetztelefon. Im Großraumbüro gibt es nur noch ein einziges, und dieses wirkt auf dem Schreibtisch der Assistentin wie ein Museumsstück.
Direkt daneben die neue Welt: Alexandra. Ich bin ein Fan von ihr, wie von allen guten Infografikern. „Wer überzeugend Infografiken publiziert, hat ein höheres Ansehen“, schrieb „Die Zeit“ einmal. Das gilt auch oder gerade für ein Online-Magazin. Leider genießen die zuständigen Mitarbeiter in vielen Redaktionen nicht das Ansehen, das sie verdienen. OZY tickt auch hier anders. Jonathan, der Chefredakteur, lobt Alexandra für ihre animierten „infographics“ über die steigenden Verteidigungsetats in Russlands Nachbarländern. Er drückt ihr als Dankeschön ein Kuvert in die Hand. Jeder weiß, dass darin eine Prämie steckt. Spontaneous applause again.
Schließlich spricht Samir, der im Silicon Valley den Ruf als Finanzgenie genießt, über soziale Strategien, Marketingmaßnahmen, Investoren und Zukunftspläne – „company secrets“, die ich hier nicht ausführen werde.
Wann gab es das letzte Mal Lob vom CEO?
Sein Schlusswort: „Thanks to all of you. Wir haben in den letzten sechs Monaten soviel erreicht, dass wir alle stolz sein können.“ Sprich: 10 Millionen treue Leser und ständige OZY-Zitierungen in den US-Leitmedien. Falls Sie, werte Leserinnen und werte Leser, Journalisten sind: Wann bekamen Sie das letzte Mal Lob von einem CEO?
Die Ressorts ziehen sich jetzt in die Besprechungszimmer zurück und konferieren im kleinen Kreis mit den Kollegen in New York und Washington. Bis ins kleinste Detail wird Story für Story besprochen.
„Wolfgang“ (sprich: „Wulfgäng“), sagt Chefredakteur Jonathan plötzlich, „tell us your funniest story.“
Aus meiner Ideenliste lese ich „story number 24“ vor – soviele Vorschläge musste ich den OZY-Chefs liefern, um das begehrte Internship zu bekommen.
ONE WEDDING AND TWO FRIENDSHIP FUNERALS:
ARE YOUR FRIENDSHIPS IN NEED OF A SPRING CLEAN?
Sometimes a friendship can end unexpectedly. Imaging having a quiet lunch with your spouse, looking forward to a good friend’s wedding party in a couple of days, and your wife is delighted about the beautiful evening dress you have just bought her.
Suddenly your smart phone rings. It’s the groom. He tells you his bride is crying because of you. You wonder if this is a joke. He explains that 16 people are not coming to the wedding „just because of you“.
It turns out that the appointed master of ceremonies, a well-known radio host, was upset about an article which you once authorized as the editor of a news magazine. The article made some revelations about financial improprieties within a children’s charity that she headed. The revelations were confirmed to be true.
Now the groom tells you that this lady together with 15 other guests will refuse to come to the wedding if you do. „And so it’s all your fault. So please don’t come to our wedding party.“
As you have probably understood this is precisely what happened to me a few weeks ago. I understood that my good friendship with both the groom and the bride had to be buried. However, I later realized that these „friendship funerals“ were actually fake funerals. Only „dummy friendships“ had been buried.
Every now and then our long lists of friends can be in need of a spring-clean.
„You made my day“, sagt ein junger Editor schmunzelnd. Auch Jonathan lächelt: „Well, a real funny story.“ Nachsatz: „But not for OZY.“
Die Geschichte, die die Hochzeitsgesellschaft spaltete, stammte übrigens von meinem Freund Kurt Kuch.
Ein befreundeter Jurist würde mir jetzt folgenden Satz diktieren: Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind rein zufällig. Was Online und Print nämlich nach wie vor vereint, ist die Angst vor Medienanwälten.
AD PERSONAM
Wolfgang Ainetter (hier auf Twitter) war Ressort-Leiter bei der Bild Zeitung, Chefredakteur der Gratis-Zeitung Heute und zuletzt Chefredakteur bei News – als längstdienender Chefredakteur nach dem Gründer. Diesen Sommer über bloggt Ainetter für The Gap über seine Hospitanz bei OZY im Silicon Valley.
WEITERLESEN:br />Erster Teil des Blogs – Die Bewerbung und die Vorgeschichte