Übers Ritzen und Pecken
Wann ich zum letzten Mal gelacht habe, wurde ich unlängst gefragt. Als mir wieder einmal durch den Kopf ging, dass die indogermanische Wurzel des Adjektivs „heiß“ „koid“ lautet, war meine Antwort. Das fiel mir übrigens in einem Tattoo-Studio ein, als mir der Chef-Tätowierer das chinesische Zeichen für „Sonne“ (= ri) zeigte. Ha, ha. Heiß, koid. Ein echter Brüller ist das zwar nicht, aber ich suchte den Laden letztlich auch nicht zum Lachen auf, sondern vielmehr, um in Erfahrung zu bringen, welche Schriftzeichen bei der Kundschaft momentan besonders hoch im Kurs stehen. Denn man kann im Gespräch mit jemandem, der an exponierten Körperstellen mit fernöstlichen Sprachsymbolen zutätowiert ist, ziemlich viele Punkte machen, wenn man weiß was sie bedeuten. Ein lässiges „Hallöchen, du hast ja Glück, Leben, Liebe in deinen Nacken geritzt“ zur rechten Zeit fallen gelassen, kann direttissima Türen in Herzen öffnen.
Allerdings ist die Bedeutung der Zeichen oft gar nicht die, die man glaubt drauf stehen zu haben. Die Herren und Damen Tätowierer arbeiten nämlich manchmal recht schlampig und so ergeben die Schriftzeichen für einen, der sie tatsächlich lesen kann, oft gar keinen Sinn oder heißen ganz was anderes. Obwohl ich kein Wort Chinesisch spreche, traue ich mich das jetzt mal kühn zu behaupten und speise das aus folgender Begebenheit: Ich wurde einmal Zeuge, als eine japanische Touristengruppe von einem wilden Lachanfall erfasst wurde, als ein ziemlich auftrainierter Prolo an ihnen vorbei ging. Ed-Hardy-Shirt, Dolce & Gabbana-Jeans und diese ekelhaft schmalen, spitz zulaufenden Sneakers von Lacoste hatte er an. Weil Japaner ja sehr höfliche Touristen sind, sich beispielsweise selten mit zum Hitlergruß erhobener Hand am Heldenplatz fotografieren lassen, war es umso offensichtlicher, dass hier verlacht wurde. Ich fragte also nach. In heiterer Freundlichkeit wurde mir dann erklärt, dass der Muskelmann auf seinem durchtrainierten Oberarm übersetzt „Bulgarischer Joghurt“ tätowiert hatte. Da lachte ich gerne mit und dachte den ganzen restlichen Tag blöderweise immer an Bukkake.
Da lob ich mir wirklich das bereits erwähnte Zeichen für Sonne. Das ist nämlich relativ simpel und man erkennt es leicht wieder, weil es irgendwie einem Kühlschrank ähnelt. Ein Tätowierer kann da kaum etwas falsch machen. Und ich auch nicht, weswegen ich in meinen Gedanken nun immer wieder Situationen durchzuspielen versuche, in denen der superkühle Anmachspruch „Ja, seh’ ich denn da ein bisschen Sonne herausblitzen?!“, angewandt wird. Ich vertreibe mir mit solcher Art Spielchen nämlich oftmals Zeit zwischen zwei E-Mails. Das Wörtchen „superkühl“ schnappte ich übrigens am Schienenstrang des öffentlichen Personennahverkehrs auf. Das fällt in letzter Zeit dort öfters und scheint ein extrem heutiger Ausdruck für Gefallen, Zustimmung und Affirmation zu sein. Heutig ist übrigens so Bobo-Musikjournalisten-Sprech, das Gegenteil wäre gestrig. Gerne verwendet wird in diesen Kreisen auch suprig, für Dinge die superkühl sind. Wie dafür entsprechende Schriftzeichen im Chinesischen wohl aussehen mögen, klären wir ein anderes Mal. Nur so viel: Ich weiß es nicht, es ist mir schlicht und ergreifend aber auch Wurst.
Weniger Wurst ist mir, dass ich bei meinem Fantasie-Spielchen nicht wirklich weiterkomme und irgendwie ständig bei Scarlett Johansson lande. Es gibt zwar wahrlich Schlimmeres, aber die Actrice hat halt keine chinesische Sonne tätowiert, sondern auf ihrem Unterarm einen bunten Sonnenuntergang prangen. Dieses Tattoo wird übrigens oft unter einer dicken Schicht Make-up versteckt, weil das die Filmrollen häufig so erfordern. Meine sich ständig wiederholende, einfältige Fantasie läuft deswegen auch darauf hinaus, dass Scarlett nach einem anstrengenden Drehtag im angeregten Gespräch mit mir immer schwitziger wird, und diese Make-up-Schicht über ihrer Tätowierung langsam und von ihr unbemerkt abblättert. Wenn der Zeitpunkt reif ist, blicke ich ihr dann tief in die Augen und sage mit verspielter Koketterie, die Lust auf mehr macht: „Ja, seh’ ich denn da ein bisschen Sonne herausblitzen!?“ Aus Gründen der Diskretion verzeihe man mir bitte, dass ich weitere, in mir sehr lebhaft wütende Bilder verschweige. Nur so viel, ich habe seit immer schon einen ziemlichen Linkshänderinnenfetisch, und ich bin überzeugt, dass der sensible, emphatische Lefty Scarlett Johansson in jeder Frage sein Handwerk versteht. Drum pflege ich in Beziehungen stets auch die Scarlett-Klausel rein zu reklamieren. Sie sei kurz umrissen: Scarlett. Ich. Sex. Ja. Kein. Seitensprung. Es wird wohl in diesem Leben nicht passieren. Und im nächsten vielleicht auch nur dann, wenn sie zufällig als nymphomanes Krötenweibchen ins gleiche Sumpfgebiet wie ich rein reinkarniert. Bis dahin muss ich mir also ihre Unterschrift, die ich eigens gegoogelbildersucht habe, schmachtend anstarren.
Alleine das „S“ im Schriftzug macht mich schon ganz kirre, weil es mit Erotik aufgeladen zu sein scheint. Dabei halte ich Graphologie für großen Humbug. Denn nehmen wir – anderes Beispiel – die Signatur von Barack Obama, übrigens ebenfalls ein Linkshänder, her. Viel Vertrauen macht mir der Otto nicht, den er unter die wichtigen Dokumente setzt. Als tag an der Straßenecke, ja. Aber unter einer (im schlimmsten Fall) Kriegserklärung? Dass der Chef von der Welt ein bisschen wie ein Volksschüler unterschreibt, finde ich sogar so lustig, dass ich darüber zum vorletzten Mal gelacht habe. Auch, weil mir der Chef-Tätowierer erzählt hat, dass er das Obama-Autogramm im letzten Jahr sieben Mal gepeckt hat.