Know-Nothing-Gesellschaft 106

Sag es durch die Kirsche

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„Entweder Schokolade oder Kaugummi, beides zusammen geht nicht“, denke ich mir gerade in Richtung einer alten Lady, die vor mir in der Kassenschlange steht und behäbig mit ihren Gichtgriffeln drei Packungen „After Eight“ und andere Konsumgüter aufs Förderband nestelt. Hätte diese Situation früher noch schwerste innere Unruhen in mir ausgelöst, bin auch ich ein wenig altersmilde geworden. Ich vertreibe mir jetzt die Zeit, indem ich zuerst die Kosten meines, dann ihres Einkaufes schätze. Danach rate ich, wie viele Fotos von ihren Enkelkindern wohl in ihr großformatig-sperriges Portemonnaie reingeklebt sind, gehe noch schnell die deutschen Ablautreihen durch und ordne die Elemente des Periodensystems alphabetisch. Actinium, Aluminium, Americium, Antimon, Argon. Die Dame ist noch immer nicht fertig. ARSEN, Astat, Barium, Berkelium … Früher hätte ich höflich, aber bestimmt erklärt, dass sie mit dem kümmerlichen Rest ihres Lebens spielt, heute fällt mir nur ein, dass ich die geriebenen Mandeln für das Schokoladen-Fondant vergessen habe.

Ich wurde nämlich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen und habe mir gedacht, ich bringe mal was Selbstgebackenes mit. Das wäre mal was Neues. Sonst habe ich ja zu solchen Anlässen immer eine schöne Schachtel „Mon Cherie“ dabei. Insbesondere dann, wenn ich die Gastgeber nicht gut kenne oder leiden kann. Apropos.

Vielleicht ist auch das der Grund, warum die erfolgreichste, meist verkaufte und beliebteste Praline seit Anbeginn der Zeitrechung ausgerechnet „Mon Cherie“ ist. Man will mit dieser Grauslichkeit einfach mitteilen, dass man einem den Schuh aufblasen könne. Verachtung durch die Kirsche gesagt. Aber wirklich wissen tu ich das natürlich nicht, verstehen kann ich die Beliebtheitswerte dieser „süßen Versuchung“ aber auch nicht. Ok, dunkle Schokolade ist super. Kirschen, egal ob jetzt aus dem Piemont oder von sonst wo auf der Welt, haben auch ihren Charme. Und selbst das alte Tantengetränk Likör ist prinzipiell nicht zu verneinen, da gibt es schon gute Sorten. Ich zum Beispiel finde Eierlikör nicht so schlimm. Allerdings Schoko, Kirsche und Kirschlikör in einer Praline vereint? – Geh bitte, schleich’ dich! Nur: Verkaufszahlen lügen nicht und selbst als vor einigen Jahren ein niederösterreichischer Bürgermeister eine mit Strychnin vergiftete Kirschpraline vernaschte und zum Pflegefall wurde, war der Umsatzrückgang im Hause Ferrero ein bescheidener und schnell wieder vorbei. Gut, Konsumenten haben prinzipiell ein kurzes Gedächtnis, die Stammkundschaft von „Mon Cherie“ besitzt aber anscheinend gar keines mehr.

Vielleicht sind die durchschnittlichen „Mon-Cherie“-Käufer einfach auch nur sehr alt. Und treu wie ein dummer Hund, weil sie das rosarot verpackte Likörpralinchen, das seit den 50er Jahren am Markt ist, emotional mit den fetten Jahren der Wirtschaftswunderzeit aufgeladen haben, und sich so jetzt immer daran erinnern, dass das Nachkriegsdarben endlich ein Ende hat. Ja sie haben sich sogar daran gewöhnt, dass es „Mon Cherie“ über die Sommermonate nicht zu kaufen gibt, weil Likörbonbonniere an heißen Tagen dazu neigt, matschig und löchrig zu werden und dabei auch noch gerne von einem unschönen grauweißen Belag aus ausgeschwitzten Kakaobutterfetten überzogen wird. In dieser Saison wird dann eben auf andere Scheußlichkeiten im Schoko-Mainstream ausgewichen – auf „After Eight“ zum Beispiel. So wie die langsame Alte da vor mir, die endlich zu bezahlen versucht.

Ich bin aber noch ruhig, die Mandeln fürs Schokoladen-Fondant habe ich zwar vergessen, aber Haselnüsse müssten auch gehen. Da hab ich noch welche zu Hause. Ich weiß auch nicht, warum ich in letzter Zeit plötzlich mit dem Backen angefangen habe. Wobei, eigentlich weiß ich schon, warum ich mir das antue. Erstens kann ich so sicher sein, dass nur die besten Zutaten verwendet werden. Zweitens riecht es in der Wohnung nachher immer gut – ganz ohne Lüften. Und drittens wird man ein wenig bewundert. Backwaren-Do-it-Yourself bringt nämlich auch sexuell was. Wenn meine Kuchen und Torten wie vom Konditor ausschauen und schmecken, denken sich die Damen, die sie dann essen, oft Dinge wie „Wautschi, pumpautschi, wenn der im Bett auch so penible Liebe zum Detail an den Tag legt wie bei seiner Bäckerei, dann brechen endlich goldene Zeiten für meine Klit an.“ Ähnliches gilt auch für sauber geputztes Schuhwerk. Beides weiß ich übrigens aus verlässlicher Quelle. Ein herzhaft-unscheues Mädchen, das mich für homosexuell hielt, nachdem ich bei einem Konzert der schottischen Band We Were Promised Jetpacks etwas länger über die momentan angesagte Sakko-Mode referierte, hat mir das verraten. Das alleine machte mich in ihren Augen aber noch nicht schwul. Ich sagte in meinem Redeschwall auch, dass die Band ein wenig wie Interpol nach dem Wodka-Einlauf klänge und verglich im Laufe meines Monologs dann auch noch den Duft des Jean Paul Gaultier-Parfums „Le Male“ mit der süßen, unbedeutenden Schwere sommerlichen Analverkehrs am nächtlichen Sandstrand von Mykonos.

Oje. Jetzt ist es kurz vor Ende doch noch passiert. Ich kann einfach nicht normal über Schokolade oder so was schreiben, ohne dass ich irgendwann unter die hintere Gürtellinie abgleite. Ich dachte schon, dass ich nach „After Eight“ die Kurve kriege, und bin auch nicht in die Eierlikör-Falle getappt. Aber umsonst. Tut mir leid, auch weil ich jetzt nicht wie geplant enden kann. Ich wollte nämlich den Bandnamen We Were Promised Jetpacks würdigen und dann meiner Enttäuschung Luft und Raum geben, dass es wohl bis 2015 keine Hoverboards geben wird, wie es uns Steven Spielberg dereinst in seiner Trilogie „Zurück in Zukunft“ versprochen hat. Daraus wird jetzt aber nichts. Sorry, mon cherie!

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