Es hat sich eingebürgert, dass ich einmal jährlich an dieser Stelle Auszüge aus meinem Tagebuch präsentiere.
Wobei, um gleich vorab erschütternd ehrlich zu sein, »eingebürgert« ist nicht das richtige Wort. Bis dato habe ich derart persönliche Notizen nämlich erst einmal und zwar im Vorjahr öffentlich gemacht. Aber es spricht meines Erachtens nichts dagegen, eine Tradition daraus zu machen. Obwohl, dass muss jetzt schon auch gesagt werden und das kreide ich mir auch an, richtig innovativ ist es nicht, einmal im Jahr einen alten Schmäh aufzuwärmen. Das ist wie »Ghostbusters 2« oder »Fletch der Troublemaker 2«, oder überhaupt fast jede Fortsetzung. Außer »Eis am Stiel«. Da wird erst Teil vier richtig mies.
1. Oktober: Bin, wie jeden Ersten des Monats, Geburtstagslisten durchgegangen. So etwas hilft ja mitunter bei Themenfindungen. Treffer! Gerti Senger wird 69. Das beste Alter für eine Sexkolumnistin. Möchte gerne Blumen schicken, glaube aber, dass es ihr mehr Freude bereitet, wenn ich ihr neues Buch kaufe – sie kennt mich ja nicht.
2. Oktober: Bambus-Grapefruit-Duschgel ist gefährlich. Macht bei mir rote Flecken überall. Schlucke Antihistamine und überlege mir dann neue Zotter-Schokoladesorten. Sauerkraut-Vulkanstein, Sanddorn-Red Bull, Matjes-Benzin – bitte mehr davon.
3. Oktober: Aufgeschnappt von zwei ÖBB-Security-Typen:
A: Wie heißt der in Italien noch mal, weißt eh, der mit den Bongo-Bongo-Partys?
B: Ja, ach, Mussolini, oder?
5. Oktober: Steve Jobs ist tot. Ärgerlich, habe zehn Euro verloren, weil ich mit S. gewettet habe, dass er in der zweiten Oktoberhälfte stirbt. Mir kommt vor, dass ich den ganzen Tag verhältnismäßig viele schwarze Rollkragenpullis gesehen habe. Fuck the subjektive Wahrnehmung. Ziehe mir abends zum Wohnungsputzen dann auch noch meine alten New Balance-Laufschuhe an. Schaut irgendwie gacke aus.
7. Oktober: Gerti Senger fertig quer gelesen. »Der Penis ist die Antenne des Herzens«. Ein Satz, der vieles entschädigt und in jedes gute Stammbuch gehört.
9. Oktober: Mit einem Kürbis experimentiert. Allerdings nicht, wie für meinen schon seit Jahren geplanten Artikel »Gemüse im Sextest«. Ich verkochte das Ding zu Auflauf, Suppe und Muffins. Schmeckte unterm Strich alles doch recht fad. Kürbis eben. Zornig ließ ich mich zu einer Hasstirade auf dieses Gemüse hinreißen. Lebensabschnittsdingsbums nannte mich daraufhin »Lord of Gayness«.
12. Oktober: Mir wächst auf der Stirn ein Riesenpickel. Schaut aus, als ob ich ein Horn kriege. Wenn man ganz genau hinschaut, sieht man sogar das Blut pulsieren. Bin deswegen innerlich sehr unruhig und sehr unpässlich. Immer wieder verwirrend, wie sehr mich Äußerlichkeiten aus der Bahn werden.
13. Oktober: Alte Stehsätze auf ihre Richtigkeit überprüft und wirklich, alles ist relativ und eine Frage der Perspektive, denn wie man es auch dreht und wendet, eine Palatschinke ist auch nur ein riesiger Fritatt.
16. Oktober: Fühle mich sehr unpässlich und gönne mir nach Wochen ein Vollbad. Immer nur duschen erträgt ja kein Mensch auf Dauer. Um kein Warmwasser verschwendendes Anti-Nachhaltigkeitsarschloch zu sein, lass ich die Wanne mit dem Wasser sparenden Duschkopf voll laufen. Tja, ich hab’s verstanden. Danach driften meine Gedanken weg und ich denke wieder einmal über Zeitreisen nach.
17. Oktober: Ausgezeichnet geschlafen und – unglaublich – von einer Zeitreise geträumt. Allerdings reiste ich darin nur vier Tage in die Zukunft. 2020 hätte ich mir schon erwartet. Bin aber schon gespannt, ob das Wetter am 21. Oktober warm und trocken ist.
18. Oktober: Beim Frühstück noch eine ausgezeichnete, aber fiese Idee gehabt. Werde ein Bild von meinem Kind morphen lassen, auf dem er 14-jährig zu sehen ist. Das lass ich groß ausdrucken, einrahmen und hänge es an die Wand. Wenn er alt genug ist und von selbst drauf kommt, dass er es ist, der darauf zu sehen ist, rede ich ihm ein, dass er ein Zeitreisender ist. Lebensabschnittsdingsbums nicht sonderlich von der Idee begeistert. Sie hat wohl recht, es wird schön langsam pathologisch.
20. Oktober: Musste mich in der Straßenbahn zusammennehmen. Ein Pärchen spricht miteinander Englisch. Sie aus Wien, im Besitz eines feuchtfröhlichen Lutschgesichtes, das durchaus nach Stimmbandbesamung schreit. Er ein junger Amerikaner, der ein wenig wie ein Mormone auf Abwegen wirkt. Das Problem: Ihr fällt das Wort für Rauchfangkehrer nicht ein. Nun ja: »Black man with the long Bürste« ist jedenfalls nicht die korrekte Umschreibung.
21. Oktober: Der Tag ist trocken, aber leider nicht warm. Muss die Maschine nachjustieren.
23. Oktober: Chefredakteur Martin Mühl versehentlich beleidigt. Er verschaffte mir ein paar Stunden Extra-Abgabezeit. Freudig schrieb ich: »Danke, du bist super. Wenn ich eine Frau wäre und du ein Mann, würde ich dir glatt einen blasen.« Tja, das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
26. Oktober: Mir fällt ein, dass ich zu einer Alice im Wunderland-Hochzeit eingeladen bin. Hutmacher, Hasen, Grinsekatzen werden dort sicher zuhauf anzutreffen sein. Erzähle in einem unbedachten Moment, dass man mich in der Schule manchmal Humpty Dumpty nannte. Lachen, verräterische Blicke auf meine Stirnglatze und das fast verheilte Horn. Super Idee: Verkleide mich als Lewis Carroll.
29. Oktober: Dieses Monat ist wie die Bundeslade. Am besten nicht hinschauen.