»Tomb Raider« ist die willkommene Erzählung der Jugendgeschichte von Lara Croft, die hier erst noch zur toughen Kämpferin werden muss: Die letzten drei Bond-Filme lassen grüssen.
Eine junge Frau sitzt frierend beim Feuer, ringsherum Finsternis. So verängstigt, wie sie dort kauert, wirkt sie beinahe hilflos. Doch der Schein trügt.
»Tomb Raider« erzählt das erste Abenteuer der jungen Archäologin Lara Croft, die in den 17 Jahren ihrer virtuellen Existenz die unangefochten berühmteste Heldin der Videospielgeschichte darstellt. Das neunte Spiel weist schon im Titel und mit dem neuen Artdesign (realistischer Look, normale Proportionen, satte Brauntöne) auf einen Reboot hin. Die Entwickler Crystal Dynamics wollten der einst auf dralle Brüste und nervösen Zeigefinger reduzierten Protagonistin mehr Charakter verpassen. Vom unerfahrenen Mädchen hin zur abgebrühten Killerin, wie wir sie kennen, geht die Entwicklung. Anfangs sitzt sie eingeschüchtert beim Lagerfeuer; schon bald wird sie über Abgründe springen, Gegner erdrosseln und ihnen Pfeile in die Augen rammen. Die japanische Insel Yamatai dient als Schauplatz von »Tomb Raider«, nachdem Lara und ihre Crew Schiffbruch erlitten und sich mit knapper Not dorthin retten konnten. Die anfängliche Entführung inklusive Mordversuch zeigt: hier wartet kein betörend schönes Paradies, das ein finsteres Geheimnis in sich birgt. Und im Gegensatz zu »Far Cry 3« oder der Fernseh-Insel in »Lost« schlägt einem dieser Schauplatz gleich mitten ins Gesicht: es regnet und blitzt und der Wind erhebt sich zum Orkan. Berge, Schluchten, ja sogar die Vegatation selbst wirken bedrückend.
So wie im Kino früher kernige One-Liner für volle Kassen sorgten, waren Videospielhelden ebenso einfach gestrickt und praktisch ohne Fehl und Tadel. Mittlerweile leidet sogar der berühmteste Spion der Filmgeschichte an Selbstzweifeln und wir wissen um seine gar nicht leichte Kindheit. Somit haben James Bond und Lara Croft mehr gemeinsam als Nationalität und Killerinstinkt. Während der Film aber ungestört seine Geschichte erzählt, muss das Spiel auch Aufgaben stellen: Kämpfen, Springen, Klettern, Sammeln, Freischalten – eine Selbstverständlichkeit, die nichtsdestotrotz zeitweilig die Atmosphäre tötet. Mit knapper Not aus der Höhle entronnen, erblickt Lara die Insel in ihrer vollen Pracht, während der Schriftzug »Gallery unlocked« erscheint.
Erdung und Menschlichkeit
Autorin Rhianna Pratchett (Tochter von Terry Pratchett) gab sich sichtlich Mühe, die Protagonistin behutsam zu entwickeln. »It’s scary just how easy it was«, sagt Lara zu ihrem Mentor, nachdem sie ein paar Menschen erschoss, um ihr eigenes Leben zu schützen. Und das erste Reh erlegt sie nur widerwillig, um nicht zu verhungern. In den Zwischensequenzen bleibt sie kleinlaut, während das Gameplay schnell auf Blut setzt: Headshots und lautloses Töten sind schnell elementare Fähigkeiten. Dazu braucht sie nur ihren Bogen, der damit zum Sinnbild ihrer Entwicklung wird. Die zuletzt auch von James Bond bekannte Hinwendung zu Erdung, Realismus und Menschlichkeit geht hier parallel zur Entwicklickung des Helden Jason Brody in »Far Cry 3«: Auch Lara muss ihre Waffentechniken erst lernen und dem Spieler neue Techniken ermöglichen.
Und die Strategie geht auf: Mit dieser Lara kann man ihre Geschichte trotz vorhandener Widersprüche mitleben. Der neue und aktuell beliebte Fokus auf Kämpfe dagegen drängt die einst anspruchsvollen Sprung- und Kletterpassagen an den Rand und macht all die Zweifel und Verletzlichkeit der Heldin vergessen. Sie ist eben doch auch eine Kampfmaschine. Spielerisch ist »Tomb Raider« nicht nur ob seiner polierten Hülle interessant; es vereint praktisch all den Mainstream, der die aktuelle aber langsam zu Ende gehende Spielegeneration definiert: Kill-Confirm (»Call of Duty«), lautloses Töten (»Assassin’s Creed«), Instinktmodus (»Batman«), filmreife Inszenierung (»Uncharted«). Als Gesamtwerk funktoniert das fast schon erstaunlich gut.
Lara Croft steckt gewiss noch in einer Identitätskrise; ein gewisser Charme und ein Quäntchen Charakter sind ihr jedoch nicht abzusprechen. Eine wehrhafte Heldin mit Wiedererkennungswert.
»Tomb Raider« ist bereits für Xbox 360, PC und PS3 erschienen.