Das arrivierte Musikmagazin Pitchfork wird in GQ eingegliedert und die Website von Vice bekommt keine neuen Inhalte mehr. Warum uns der Untergang von etablierten Popkulturmedien Sorgen machen sollte.
Hui! So viel Platz! Da muss ich mich erst mal dran gewöhnen. Aber ein bisschen strecken und dehnen, dann geht das schon. Willkommen also im neuen Refugium der The-Gap-Leitungsetage! An dieser Stelle werden Manuel Fronhofer, Herausgeber, und ich, Bernhard Frena, Chefredakteur, zukünftig unsere Meinungen kundtun. Denn Meinungen zu haben und diese zu verbreiten, ist nicht unwesentlich, wenn man sich dazu berufen fühlt, ein Magazin herauszubringen. Also haben wir uns gedacht, wir nehmen uns den Platz einfach, denn auch das gehört dazu: entscheiden, was Platz haben soll und was eben nicht. Und dem, was dann Platz hat, Raum geben und eine Form. Einiges an Arbeit, die da hinter den Kulissen passiert.
Lernen zu meinen
Aber es ist uns wichtig, diese Arbeit zu machen. Nicht nur, weil wir Meinungen haben, sondern auch, weil wir eben anderen Menschen mit frischen Meinungen, frischen Blickwinkeln einen Platz geben möchten. Solchen, die sich schon recht sicher sind, was diese Meinung ist, wie sie zu ihr kommen und wie sie sie fundieren. Aber auch solchen, die sich das alles erst aneignen, noch experimentieren, noch ausprobieren. Als Magazin können wir jungen Journalist*innen eine Struktur bieten – organisatorisch, redaktionell, aber nicht zuletzt auch finanziell. Ein Standardspruch von mir ist immer, dass viele angehende Kulturjournalist*innen bei uns ihren ersten bezahlten Auftrag im Metier bekommen. Darauf bin ich schon ein bisschen stolz, denn – und das klingt jetzt vermutlich etwas großkotzig – es geht hier um nicht weniger als die Zukunft des Kulturjournalismus.
Dass der Printjournalismus stirbt, ist ja jetzt kein neues Thema. Sicher, einerseits wird er schon seit Jahren (wenn nicht Jahrzehnten) totgesagt und will doch nicht so recht sterben. Andererseits ist aber kaum zu leugnen, dass Magazin um Magazin, Zeitung um Zeitung langsam aber sicher dicht machen muss. Netzjournalismus wird hier gerne als Ausweg angeführt. Warum nicht auf Online wechseln? Wäre das nicht zeitgemäß? Zukunftssicher? Könnte etablierter, qualitativer Journalismus hier nicht eine neue Blütezeit erfahren?
Daran lässt mich nicht zuletzt das jüngste Schicksal einer Onlinepublikation zweifeln, das vermutlich die meisten überrascht hat: Pitchfork, eines der prominentesten Musikmagazine weltweit, herausgegeben von Condé Nast, einem der größten Medienkonglomerate weltweit, wird zukünftig in das Männermagazin GQ eingegliedert. Entlassungen natürlich inklusive. Dass das auf vielen Ebenen ein Unsinn ist, sollte klar sein. Und dass es de facto das Ende von Pitchfork bedeutet, wohl auch. Das war ein Magazin, das scheinbar alles richtig gemacht hat: ein genuines Online-Medium mit hochwertigem Journalismus, solider Leser*innenschaft und kultureller Relevanz. Und trotzdem wird es geschlossen. Schon erschreckend: Condé Nast – ein Unternehmen mit fast zwei Milliarden Euro Jahresumsatz – sieht anscheinend keinen Wert mehr in einem eigenständigen Musikmagazin. Offensichtlich weder einen finanziellen noch einen fürs Publikationsportfolio. Für solch ein Unternehmen gilt eben nur hyperkapitalistische Verwertungslogik – Sentimentalität oder gar Qualität sind irrelevant.
Abgewertete Popkultur
Daran schließt sich die Frage an, was so eine Schließung für den Musikjournalismus, für den Popkulturjournalismus heißt. In erster Linie bedeutet es natürlich mal weniger Jobs im Kulturjournalismus – für englischsprachige Journalist*innen zwar, aber immerhin. In zweiter Linie bedeutet es aber auch den Wegfall einer etablierten Struktur. Es bedeutet freie Journalist*innen, die eine regelmäßige Einnahmequelle weniger haben, und junge Journalist*innen, die einen Einstiegsweg verlieren. Und in letzter Linie bedeutet es eine Abwertung des Popkulturjournalismus als Ganzes, wenn avancierter Musikjournalismus plötzlich nur noch ein untergeordneter Teil von Gentlemen’s Quarterly ist.
Jetzt kann natürlich der berechtigte Einwand kommen, dass dies nur ein Beispiel unter vielen sei. Gibt es denn nicht eine Vielzahl an anderen jüngeren innovativeren Online-Popkulturredaktionen? Könnten diese den Verlust etablierter Strukturen nicht auffangen und neue Wege für junge Journalist*innen bieten? Könnten sie nicht Popkulturjournalismus relevanter für eine vernetzte Gegenwart machen als je zuvor? In der Theorie vielleicht, aber in der Praxis scheint mir die Rechnung – wortwörtlich – nicht aufzugehen. Zu oft basiert die Mitarbeit an neuen Onlinemagazinen auf finanzieller (Selbst-)Ausbeutung. Zu oft gibt es kaum redaktionelle Betreuung, kaum unterstützende Strukturen. Zu oft ersetzt Algorithmus-Teesatzlesen eine bewusste und eigenständige Linie. Aus Journalismus wird so »Content«, der kommerzielle Plattformen befüllt. Plattformen, die privaten Firmen gehören, die die dort geltenden Regeln nach eigenem Gutdünken festlegen. Pressefreiheit? Papperlapapp. Da müssen Kämpfe neu ausgefochten werden, die eigentlich schon seit Generationen gesettelt schienen. Grab the pitchforks!
Wenn also Journalismus in gefestigten Strukturen nach und nach verschwindet, weil er zu viel kostet, zu viel Arbeit ist, zu wenig Return on Investment bietet, und sich neue Strukturen nicht rechtzeitig etablieren können, dann wird Journalismus früher oder später seinen gesellschaftlichen Stellenwert verlieren. Dann entscheiden nur noch die Marketingetats der Unternehmen, worüber berichtet werden kann. Nur noch die undurchsichtigen Algorithmen, was Aufmerksamkeit verdient. Keine schönen Aussichten für fundierte Meinungen, für eine Diversität an Perspektiven und für eine kritische Gesellschaft.
Zum Zeitpunkt der Publikation wurde auf pitchfork.com noch veröffentlicht und die vorerst letzten Artikel auf vice.com stammten vom 22. Februar 2024.