Mehr als Flamenco – Ein Blick in Spaniens Musikszene

Spanische Musik findet sich weltweit in den Charts und begeistert Fans auf allen Kontinenten. Von Flamenco bis Trap, von Indie bis Reggaeton – kaum eine Szene ist so vielfältig und dynamisch. Das Waves-Vienna-Gastland 2025 im Porträt.

© Adobe Stock

Flamencorhythmen pulsieren in der warmen Luft. Aus einem Club dröhnt treibender Reggaeton. Irgendwo erklingt das leise Klimpern von Gitarrensaiten. Das sind die Bilder, die sofort in den Kopf kommen, wenn man an Musik aus Spanien denkt – und doch kratzt diese Vorstellung nur an der Oberfläche dessen, was das Land musikalisch zu bieten hat. Die Kultur Spaniens ist geprägt von einer Vielzahl von traditionellen Musikstilen und Tänzen. Flamenco, Pasodoble, Bolero – um nur ein paar zu nennen. Obwohl diese Gattungen nach wie vor eine Rolle spielen, hat sich das spanische Musikrepertoire über die Jahre stark erweitert. Dies bietet einen Nährboden für innovative Klänge.

Wenige kennen Spaniens Musikszene vermutlich so gut wie César Andión. Immerhin bringt er mehr als 35 Jahre Erfahrung in der Musikbranche mit. Derzeit ist er für PR, Talent-Management sowie Export bei Live Nation Spain zuständig und er leitet dort auch das Exportprogramm »The Spanish Wave«. Im Gespräch erzählt er uns, dass er regelmäßig eine Vielzahl von Mails und Anrufen erhalte: Was kommt als Nächstes aus Spanien? So laute die Frage, die ihm dann häufig gestellt wird. »Ich denke, dass es aktuell ein großes Interesse an spanischer Musik gibt. Sie ist frisch, spannend und anders«, meint Andión.

Besonders hebt er die weiblichen Stimmen des Landes hervor, die urbane Crossover-Musik prägen – etwa die Andalusierinnen Judeline oder Maria José Llergo. Deren Mischung aus Flamenco, Pop und Elektronik begeistere über die Landesgrenzen hinaus ein internationales Publikum. Doch auch im Indie könne sich Spanien sehen lassen. Alcalá Norte und Arde Bogotá sind Bands, die es vom Underground in den Mainstream geschafft haben. Inzwischen füllen sie Arenen in ihrer Heimat ebenso wie Venues in Mexiko und Südamerika.

Kaum verwunderlich, weil die kulturellen Verbindungen zu den ehemaligen Kolonien bis heute stark sind: »Spanien ist europäisch, aber unser größter Markt ist Lateinamerika«, so Andión. »Es ist ein einzigartiges Land, weil es eine Brücke zwischen diesen Regionen bildet.« Auch der ursprünglich puerto-ricanische Reggaeton, der die Welt im Sturm erobert hat, beeinflusst spanische Popkünstler*innen. Ähnlich populär ist in Spanien das Genre Latin Pop. Die Sängerin Rosalía erzielte damit etwa große Erfolge. Und wem der Name Enrique Iglesias nichts sagt, der erinnert sich spätestens dann an den Sänger, wenn die Zeile »I can be your hero, baby« aus dem Autoradio tönt.

Spanisches Sprungbrett

Doch, um sich als Artist in der so unüberschaubaren wie diversen Musikszene Spaniens zu etablieren, braucht es ein Sprungbrett. Hier kommt »The Spanish Wave« ins Spiel, jenes Exportprojekt, das César Andión betreut. Es fördert junge Artists, die am Talenthorizont Spaniens aufleuchten. Eines der Hauptziele des Projekts sei es, Verbindungen innerhalb Europas auszubauen. Dafür setze er sich seit sechs Jahren ein, so Andión – etwa mit der Teilnahme an zahlreichen Showcase-Festivals oder der Durchführung von Musikkonferenzen. Acts können sich selbst aktiv bei »The Spanish Wave« bewerben. »Die Open Calls sind eine tolle Möglichkeit, zu sehen, was passiert. Wir hören uns alles an.«

Emotionale Tiefe

Eines der »The Spanish Wave«-Talente ist Los Acebos. Für Alberto Rodríguez Carrasco, der hinter dem Projekt steckt, sind Showcase-Festivals wie Waves Vienna entscheidend, um überhaupt Sichtbarkeit zu erlangen. Sein Sound sei von spanischer Intensität geprägt. Das klingt in der Praxis dann nach einer Mischung aus geballter Rockenergie und akustischer Intimität. Das derzeitige Wachstum der spanischen Musikszene sehe er als guten Moment, um sich als Band an US- oder UK-Sounds anzunähern und gleichzeitig im lateinamerikanischen Markt Fuß zu fassen: »Ich glaube, man kann durchaus einen traditionell amerikanischen oder britischen Sound anstreben – aber ihn mit all der emotionalen Tiefe verbinden, die die spanische Kultur zu bieten hat«, fasst er seine Sicht zusammen.

Die Valencianerin Sandra Monfort ist vermutlich eine der innovativsten Interpret*innen der neuen Rootsmusik Spaniens. Ihr Auftritt im Rahmen von Waves Vienna ist das einzige Konzert, das sie dieses Jahr außerhalb ihrer Heimat geben wird. Sie singt auf Katalanisch und Spanisch, kombiniert spanischen Folk mit urbanem Flair. An der spanischen Musikszene schätze sie besonders, dass sich die Artists von der reichen Kultur inspirieren lassen und ohne Scheu traditionelle Elemente in ihre Songs einbauen. Spanische Musik werde aber fälschlicherweise oft mit Flamenco gleichgestellt: »Dabei ist Flamenco nur eine von vielen traditionellen Musikrichtungen, die wir auf der Halbinsel haben – und es gibt zahlreiche andere Stile und Formen, die genauso spannend sind.«

Positivere Resonanz

Ohne die Unterstützung eines Majorlabels sei es kaum möglich, allein vom Musikmachen zu leben, ist Monfort überzeugt. Und ihr Musikerkollege Rodríguez Carrasco berichtet, dass junge Bands ihre Projekte in den ersten Jahren meist selbst finanzieren und lange nach Partner*innen in der Industrie suchen müssten, die an sie glauben. César Andión sieht darin nicht unbedingt eine Besonderheit Spaniens, solche Hürden gebe es überall. Er nehme heute vor allem eine deutlich positivere Resonanz auf spanische Musik wahr als noch vor fünfzehn Jahren, sagt er. Sein Wunsch für die Zukunft: ein starker, vereinter europäischer Musikmarkt. Ein Markt, in dem Spanien – das erkennen auch Außenstehende – sicherlich seinen Platz finden würde.

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