»Mehr als nur Gemüseanbau« – Die umkämpfte Freifläche in Neu Marx

Mitten in der Stadt, zwischen Beton und Verkehr, pflegen Hobbygärtner*innen in Neu Marx seit zehn Jahren eine grüne Idylle und leben dabei Freiraum sowie Gemeinschaft. Doch der DIY-Garten soll weichen – für eine neue Eventhalle. Wir sprechen mit der Gärtnerin Petra Springer über Anfang und Ende eines geteilten Rückzugsortes.

© Natalie Schießwald

Das Projekt hier gibt es seit 2015. Wie kam es zustande und wie bist du dazugestoßen?

petra springer: Es taten sich damals Leute zusammen, die gemeinschaftlich einen Garten gründen wollten. Cordula Fötsch vom Verein Gartenpolylog half ihnen bei den ganzen bürokratischen Sachen – einen Verein zu gründen und so weiter. Am Anfang hatten sie fast gar nichts, nur so einen Erdhaufen, ein bisschen altes Holz und den Zaun rundherum. Die Gärtner*innen schufen in akribischer Arbeit ein Paradies. Sie beschütteten den Beton mit Erde und machten ihn zur Wiese. Nach zehn Jahren schaut das alles wunderschön aus, aber am Anfang war hier nichts. Ich selbst stieß dann vor sechs Jahren dazu. Ich kümmere mich um den Kompost und arbeite mit Mikroorganismen, damit hier alles gut gedeiht.

Der Garten ist gemeinschaftlich organisiert. Was bedeutet das genau?

Du hast Rechte im Garten – etwa, dass du ihn gemeinschaftlich nutzen oder mit der Familie am Grillplatz feiern kannst. Aber du hast auch Pflichten. Jede Partei hat eine Woche im Jahr Gießdienst. Es sind über dreißig Parteien, denen unterschiedliche Teile gehören. Dann gibt es noch einen großen Allgemeinbereich, der ebenfalls von Einzelnen betreut, aber gemeinschaftlich genutzt wird. Die ganzen Flächen rundherum gehören der Allgemeinheit – die Himbeeren, die Brombeeren und so weiter. Es gibt Zeiten, zu denen sich sehr viele Leute gleichzeitig hier im Garten befinden, weil alle gerne da sind. Gerade, wenn es überall anders recht heiß ist, ist es im Schatten zwischen den Pflanzen angenehmer.

Jetzt wird das Gelände platt gemacht und bebaut. Was sind die Konsequenzen für euch?

Es ist für viele sehr schlimm. Ein Platz, der zehn Jahre so grün bebaut wurde und damit eine Oase mitten in der Stadt ist, geht verloren. Das kann nicht von heute auf morgen ersetzt werden. Es hat schließlich auch zehn Jahre gedauert, bis das so gewachsen ist. Das ist ja mehr als nur Gemüseanbau. Das ist ein sozialer Treffpunkt. Es gab hier jahrelang Mittwochsrunden mit Grillerei. Wer mitmachen wollte, konnte mitmachen. Aber wir haben eben auch den Luxus, dass wir unsere eigenen Salate, Kräuter, Kohlrabis, Radieschen, Erbsen und so viel Verschiedenes mehr anbauen können.

Petra Springer ist seit 2019 im Garten aktiv. Die Arbeit dort habe für sie etwas Meditatives. (Bild: Natalie Schießwald)

Wie verliefen die Gespräche mit der Stadt?

Ich wartete damals vier Jahre lang auf meinen eigenen Garten hier, bis 2019. Die ersten Male, als ich herkam, hieß es: »Für ein Jahr noch, dann kommt die Halle.« Dann kam aber Corona, und so blieben wir weitere fünf Jahre hier. Die Stadt Wien, der Dr. Ludwig, ist anderer Meinung als beispielsweise der Bezirksvorsteher. Der kennt den Garten, kommt gerne her und freut sich, wenn wir ihn zweimal im Jahr zur Grillerei einladen. Die Leute vom Bezirk suchen auch nach einem Platz, wo der Garten hinübersiedeln könnte. Das ist natürlich ein Mordsaufwand. Und wer weiß, wo das dann ist. Die Stadt Wien und die Wiener Standortentwicklung sind anscheinend auch bemüht, ein Areal zu finden, wo die Gärtner*innen wieder neu anfangen könnten. Aber neu anzufangen ist etwas anderes als das fortzusetzen, was wir hier schon aufgebaut haben.

Also bis jetzt gibt es noch kein alternatives Gelände?

Wir wissen leider noch nichts. Es wird noch Gespräche geben. Ich weiß, es gibt andere, die sich dem nicht beugen wollen, dass hier alles wegkommt. Andere Vereine werden einen Protest starten. Ebenso wie Anrainer*innen, die nicht wollen, dass 20.000 zusätzliche Autos im Parkhaus Platz suchen. Man muss sich das vorstellen: Das ist hier eine komplett verkehrsberuhigte Zone. Auf dem Platz dort bringen Eltern ihren Kindern Radfahren bei, Leute spielen Tennis gegen die Wand oder gemeinsam Cricket. Man kann nicht sagen, das sei ein ungenutzter Platz. Seit Jahren ist der Cirque du Soleil für eine bestimmte Zeit hier. Und es gibt gleich in der Nähe die Marx Halle und die Arena. Klar, eine Großstadt braucht eine Veranstaltungshalle, so wie die Stadt Wien sie sich wünscht. Aber bitte doch in der Seestadt Aspern oder irgendwo an einem ähnlichen Ort. Nicht hier mittendrin.

Neben der Gemeinfläche haben alle Beteiligten ihren eigenen Fleck im Garten. (Bild: Natalie Schießwald)

Generell dauert es in Wien ja lange, bis man einen Gartenplatz bekommt.

Weil es viel zu wenige Gemeinschaftsgärten gibt. Das ist das Problem. Wenn du einen eigenen Platz haben willst, ist es schwierig. Bei einem Schrebergarten hast du eine noch längere Warteliste und brauchst heutzutage viel Geld. Aber es gibt Gemeinschaftsprojekte, es gibt den Verein Gartenpolylog im Internet, dort findet man Gärten, freie Plätze und Menschen, die einen Garten gründen möchten. Ich kann das gut nachvollziehen, dass man gerne etwas tut. Für mich ist das keine Arbeit, sondern eine meditative Gschicht. Und ich halte es auch für wichtig, dass die Kinder das Gärtnern in der Stadt sehen. Damit sie mitkriegen, dass das Essen nicht aus dem Automaten kommt, sondern aus dem Garten.

Wie verändert sich das Gärtnern durch die Klimakrise?

Stark. Man kann nicht mehr so gärtnern wie vor dreißig Jahren. Im Frühling ist die Zeitspanne sehr kurz, man kann nicht mehr nach den Eisheiligen anfangen, zumindest nicht hier in der Stadt. Ich baue mittlerweile im August Sachen an, die ich früher im Frühling angebaut habe. Es sind heutzutage aber andere Pflanzen bei uns möglich. In Wien kannst du ohne Weiteres Melonen anpflanzen, die herrlich werden. Das Wichtigste ist jedenfalls, wie unheimlich viel Wasser Pflanzen brauchen. Du kannst deinen Garten wochenlang gießen – dann regnet es einmal und die Pflanzen machen einen enormen Sprung. Es ist kaum zu glauben, wie sich das Volumen durch den Regen in einer Nacht verdoppelt. Das kannst du nicht ergießen.

Die Initiative St. Marx für alle organisiert derzeit Proteste gegen die Eventhalle. Nähere Infos unter www.st-marx.at.

DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)
DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)
DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)
DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)
DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)
DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)
DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)
DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)
DIY-Garten Neu Marx (Bild: Natalie Schießwald)

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