Boulevardmedien strapazieren Grenzen oder überschreiten sie sogar. Der Blog Kobuk sammelt seit einiger Zeit genau solche Verfehlungen. Höchste Zeit, zwei Protagonisten zu einem Streitgespräch zu laden.
Ökonomisch gesehen befinden sich insbesondere Zeitungen in der schlimmsten Krise seit ihrer Entstehung. Und trotzdem reden wir heute nicht nur über Medienfinanzierung, sondern auch über Qualität und Hygiene. Nicht unschuldig daran dürfte Kobuk sein. Seit 2010 schaut der Blog der österreichischen Medienlandschaft auf die Finger und publiziert öffentlichkeitswirksam Verfehlungen zwischen Anzeigenkonflikt und Verletzung von Persönlichkeitsrechten.
Die so genannten Boulevardmedien stehen dabei natürlich unter besonderer Beobachtung. Wolgang Ainetter kennt sich dort aus. Er war jahrelang Ressortleiter bei der Bild-Zeitung. Im Februar 2011 kehrte er nach Österreich zurück und übernahm nach einem kurzen Gastspiel als Chefredakteur der Gratiszeitung Heute das Ruder beim Magazin News. Wir haben ihn mit Kobuk-Gründer Helge Fahrnberger zusammengebracht. Das Gespräch dauerte 2,5 Stunden und sprang munter zwischen Medienrecht, Ethik und Persönlichem hin und her.
[Ach ja, weil es in dem Gespräch auch um Transparenz gehen wird: Wir haben von der Marke Joya, die Soja-Produkte herstellt und vertreibt, Geld für diese Geschichte bekommen. Das hat uns überhaupt erst ermöglicht, die nötige Zeit zu investieren. Eine redaktionelle Einflussnahme gab es nicht. Dieser Disclaimer ist uns im Übrigen nicht peinlich.]
The Gap: Klassische Einstiegsfrage: Was ist Boulevard?
Ainetter: Ich definiere das weniger über die Geschichten, sondern über die massentaugliche Aufbereitung. Gute Geschichten können sowohl im Spiegel als auch in der Bild stehen. Aber im Boulevard gibt’s die kurzen, verständlichen Sätze und knallige Headlines, die in den Artikel reinziehen.
Fahrnberger: Boulevard- und Qualitätsjournalismus sind sicher keine Antipoden. Es gibt qualitativen Boulevardjournalismus. Allerdings in Österreich kaum.
Gibt es einen Unterschied zwischen deutschem und österreichischem Boulevard?
Ainetter: Gefühlsmäßig ist Boulevardjournalismus in Österreich viel schlampiger. Es gibt hierzulande immer noch Praktiken, die in Deutschland undenkbar wären. Zum Beispiel das Symbolfoto: Ein „Mordopfer“ abbilden und ganz klein an der Seite vermerken, dass es sich gar nicht um das Opfer handelt.
Fahrnberger: Leider ist der Österreicher an diese schlampige Art von Journalismus gewöhnt.Wenn wir auf Kobuk Symbolfotos kritisieren, ist das Feedback oft: „Es steht doch eh irgendwo.“ Der Österreicher kennt es nicht anders. Es ist so eingerissen.
Was hast du in deiner Zeit in Deutschland gelernt, aber vielleicht auch verlernt?
Ainetter: Ich hatte verlernt mit dem Beziehungsgeflecht und Interventionen umzugehen. In Deutschland würde sich kaum ein Politiker trauen direkt zu Hörer zu greifen. In Österreich passiert das ständig. Als das erste Mal ein Sprecher mit Anzeigenstornierung gedroht hat, war ich kurz entsetzt. Dann hab ich gelacht und gesagt, dass ich das bitte schriftlich will. Dann hätte ich eine geile Geschichte.
Fahrnberger: Da haben sich die österreichischen Medien die Suppe aber auch selber eingebrockt. Früher haben auch Chefredakteure und Herausgeber versucht Politiker zu erpressen.
Ainetter: Grundsätzlich sind Interventionen nur so stark, wie man sie zulässt. Wenn man da einmal nachgibt, wird es immer unverschämter und dreister.
Boulevardisiert die österreichische Medienlandschaft?
Fahrnberger: Medien sind überall – neben dem finanziellen – auch dem Druck der Aufmerksamkeitsökonomie ausgesetzt. Das Ergebnis sieht man dann am Cover. Wenn zum Beispiel das Thema Diabetes mit einer nackten Frau visualisiert wird oder der Spiegel zum x-ten Mal mit Hitler covert.
Geht es wirklich nur über Sex und Hitler?
Ainetter: Hitler funktioniert in Österreich deutlich schlechter als in Deutschland. Und seien wir ehrlich: Sex verkauft auch nicht mehr einfach so. Sex-Cover ohne Geschichte dahinter sind heute ziemliche Flops. Wir verzichten auf die Nackten.
Was heißt funktioniert konkret in Zahlen? Was ist da die Schwankungsbreite?
Ainetter: Genaue Zahlen darf ich nicht nennen. Aber es sind ungefähr 20% der verkauften Auflage, die variieren. Das ist wahnsinnig viel.
Was geht denn sonst noch gut?
Ainetter: Gesundheitsthemen sind eine der wenigen Konstanten. Und es gibt halt Geschichten, die immer funktionieren. Man nehme unser Cover „Die Bonzen vom Gemeindebau“.
Fahrnberger: Klar. Weil sie den Neidkomplex bedient. Sie zielt auf die untere Schublade ab. „Bonze“ ist heftig.
Ainetter: Über die Wortwahl kann man streiten. Das Thema Wohnen ist aber groß, auch ohne den Neidkomplex. Das erfolgreichste Cover meiner Amtszeit war übrigens „Plötzlich arm. Wie die Krise den Mittelstand erfasst“. Man muss nicht jede Woche schreien, auch wenn es natürlich ab und zu hilft.
Wenn wir gerade bei Covern sind: „Das Kind der Eis-Lady“ ist massiv kritisiert worden, auch von Kollegen. Tut das weh, oder prallt die Kritik völlig ab?
Ainetter: In dem Fall schon. Das ist auch das Cover, auf das ich am wenigsten stolz bin. Ich hab das damals gar nicht so schlimm gesehen. Aber ich würde diese Geschichte nicht nochmal als Cover machen. In dem Fall ist die gerechte Strafe übrigens auf den Fuß gefolgt: Die Ausgabe hat sich irrsinnig schlecht verkauft.
Fahrnberger: Gibt es eigentlich News-Cover ohne Rufzeichen?
Ainetter: Ja, sicher. Aber die Challenge beim News ist natürlich, vorne im Politik- und Wirtschaftsteil seriös und investigativ die Themen vorzugeben und hinten boulevardesk zu sein. Daran kommen wir nicht vorbei.
Seite 2: Über Reiseeinladungen, das Verkaufen von Redaktion – und warum es mehr Spaß macht Florian Klenk (Falter) etwas nachzuweisen als Wolfgang Fellner (Österreich).