Mit einer Streichholzschachtel um die Welt

Bei Wolfgang Kos lernten seit den frühen 70ern österreichische Popkultur-Gestalter ihr Handwerk. Mittlerweile arbeitet er für das Wien Museum an der Fortsetzung des Journalismus mit den Mitteln aufregender Ausstellungskonzepte.

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Eigentlich würde sich die Arbeit als Museumsdirektor nicht großartig von der Tätigkeit des Journalisten unterscheiden, sagt Wolfgang Kos, seit 2002 Chef des Wien-Museums in seinem mit Materialien überquellenden Büro, in einer kurzen Pause nach einer Experten-Führung und wiederum kurz vor einer weiteren Eröffnung samt Rede. Zumindest nicht von seiner Arbeit davor, bei der Ö3-„Musicbox” oder Ö1-„Diagonal”. Und wie immer nimmt Kos ein Bild zur Hand (im Wortsinn, weil auch seine Gestik zeichnet) um zu illustrieren, um in diesem Fall die volksbildnerhafte Vermittlung herauszustreichen, die seinen beiden Professionen (der ehemaligen ebenso wie der jetzigen) gemein ist. Anhand von Neil Youngs „After The Goldrush“ etwa, sagt er dann mit seiner sanft und bestimmt akzentuierenden Neugierigmacher-Stimme, könne man die gesamte Geschichte der Ökologie-Bewegung erzählen. Ein kleiner, greifbarer Ausgangspunkt, der schlussendlich, mit ein paar gefinkelten dramaturgischen Bögen, ein besseres Verständnis des größeren Horizonts nach sich ziehen soll. Das machst du als Radiogestalter ebenso wie als Museums-Verantwortlicher, sagt Kos, der Brückenbauer.

Ich kann mich erinnern, sage ich, weil‘s mir assoziativ einfällt, dass du uns in einer Redaktionssitzung einmal anhand einer zufällig herumliegenden Streichholzschachtel erklärt hast, wie man damit eine Sendung zum Thema Waldsterben beginnen könnte, und das in einem improvisierten Expose fortgeführt hast. Und ich habe dieses Beispiel immer noch vorm geistigen Auge, wenn ich ein größeres Projekt angehe.

„Echt?“, sagt Kos und kichert: „Daran kann ich mich gar nicht erinnern.“

Einmal den Ideenstreuer, bitte

Das ist ein typischer Kos: Die ihm gegenüber ausgesprochene Referenz ein bisschen wegdrücken, zwischen Beschämt- und Gerührtheit, aber im Wissen um die Bedeutung seines Einflusses. Das ist er gewohnt, weil er die Referenzen gewohnt ist; weil er, der Musicbox-Präger und Diagonal-Miterfinder der Über-Vater und Lehrer einer ganzen Generation heutiger Kunst- und Popkultur-Gestaltungsmächtiger ist; und weil er, der Redner, Autor, Ideenstreuer und begnadete Kommunikator immer noch ein zentrales Bindeglied zwischen den Welten ist, zwischen Pop- und Hochkultur, im ganzen Land, vor allem aber in der Stadt.

Im Wien Museum, dessen Ausstellungen, Schauen und Aktionen genau diesen Spagat jedes Mal aufs Neue bewältigen, hat Wolfgang Kos, als gelernter Historiker und Experte für Alltagsgeschichte, ein ideales Betätigungsfeld aufgetan. „Die Stadt, die niemals war“, „Gastarbajteri“, „Ganz unten: Die Entdeckung des Elends“, „Die Sinalco-Epoche“, „Zauber der Ferne: Imaginäre Reisen im 19. Jahrhundert“ bis zur aktuellen Schau „Kampf um die Stadt“ waren und sind Ausstellungen, die den Blick auf Aktuelles und Vergangenes tatsächlich neu justiert und geschärft haben, anstatt sich in der gefälligen, ornamentischen Präsentation von scheinbarer historischer Wahrheit zu begnügen (wie das vielen anderen Museen als pragmatisches Leitbild dient). Kos, der Neugierige, der immer auch noch um die nächste Ecke schauen will, könnte das gar nicht. Er muss schürfen und er muss das Gefundene vermitteln. Und da er die Fähigkeit besitzt auch Unangenehmes in durchaus süffigem Rahmen zu präsentieren, sehen sich das dann auch alle an. Meine Eltern genauso wie die Jungen, wie der Nino aus Wien, der nach seinem Besuch von „Kampf um die Stadt“ gleich ein Lied („Cafe Electric”) schreibt.

Ausbildungscamp für Popkämpfer

In seiner Radiozeit hat Kos die Musicbox-Hörer mit scheinbar harmlosen Specials verführt, durchaus schon damals mit der Vorgangsweise eines Kurators: einmal mit einer „Woche der Farbe“, 5 Tage zu Rot/Blau/Gelb/Schwarz/Grün, ganz ohne plumpe Konnotationen, mit raffinierten hakenschlagenden Assoziationen. Und der Spaß an der gelungenen Inszenierung hat sich auf die Mitarbeiter und Schüler übertragen. Stella Rollig, Thomas Mießgang oder Thomas Edlinger handhaben das in ihren Kuratoren-Jobs heute nicht anders, Fritz Ostermayer, Doris Glaser, Walter Gröbchen und viele andere tragen dieses Erbe in ihren popkulturellen Bastionen weiter und die Spuren der Weitergabe dieser Haltung wie denen von Kos‘ Lieblingsschüler Werner Geier führen weit in die diversesten Subszenen und Bereiche, deren Proponenten sich der indirekten Einflüsse wohl gar nicht mehr gewahr sind.

Haltung? Haltung. „Du musst den Betrachter spüren lassen, dass jedes Exponat nur ein Teil eines Gesamtbildes ist, das er sich mit deiner Unterstützung erarbeiten kann.“ Das klingt nach einem formalen Hinweis, ist aber eine Haltung. Die Kos-Haltung, die Volksbildung im besten Sinn zum Ziel hat, die durch Eleganz verführen will, die Inhalte durch die bestmögliche Erzählform vermitteln will.

Das trägt keine lastende Schwere mit sich herum, auch weil die Person Wolfgang Kos das mit seiner sprunghaften Präsenz und seinem ununterbrochenem Aufgreifen von neuen Ansätzen gar nicht zulässt. Jemand, der sich als Generaldilettant bezeichnet und sich durchaus dagegen sträubt, irgendwo zum Spezialisten, zum Fachtrottel zu werden, kann das: Leichtigkeit verströmen, auch in den schwerstmöglichen Themen.

Diskurse statt Zeittotschläger

Wenn das Wien Museum die hochproblematische Zwischenkriegszeit, eine Ära, an der die heutige politische Auseinandersetzung mangels echter Aufarbeitung immer noch knabbert, thematisiert, folgt keinesfalls die sonst übliche, öffentliche Totschläger-Debatte (wie zuletzt wegen der Swingerclub-Sezession) sondern echter Diskurs; Dialog mit einer großen Menge an Zuschauern.

„Es ist eben wie im Journalismus“, sagt Kos, und kommt damit wieder zum Leitmotiv zurück. „Du fragst dich zu Beginn: was ist die Story, was sind die Fragen, was könnte der Titel sein, wie erzähle ich die Geschichte, wie baue ich Spannung auf.“ Letztlich hat dieser Ansatz die Zweifel, die in Hochkulturkreisen nach seiner Bestellung (durch einen Radio-Fan, Kulturstadtrat Maillath-Pokorny) entgegengebracht wurden, im Nichts aufgelöst.

Er, der Popkultur-Papst, hat seine Verwendung von journalistischen Tricks und seine gefühlige Erzählweise mittlerweile als Standard etabliert, mitten im Mainstream der Kunst- und Zeitgeschichtevermittlung. Was Kos ein wenig über sein Hinterherhinken beim Thema „aktuelle Popkultur“ hinwegtröstet. Alles, was in den letzten Jahren relevant gewesen wäre, hätte er versäumt, jammert er – und freut sich, weil K.D. Lang einen dominanten Auftritt bei der Olympia-Eröffnungsfeier hatte: „Die hängt bei mir über dem Frühstückstisch.“ Demnächst wird auch da alles besser: Im Mai öffnet das Wien Museum für das „Popfest Wien“ seine Türen; vielleicht sogar für den Nino aus Wien.

Martin Blumenau ist streitbarer Radiomoderator und Chefkommunikator und -stratege bei FM4. Im von Wolfgang Kos geleiteten Wien Museum wird von 6.5. bis 9.5. ein Teil der ersten Ausgabe des Popfests stattfinden.

www.popfest.at

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