Musik ohne Geschlechterschubladen – Warum ist das nicht selbstverständlich?

Was bedeutet es Musik zu machen, wenn das eigene Geschlecht nicht selbstverständlich ist? Wir haben mit drei in Wien lebenden Musiker*innen gesprochen, die ihr Geschlecht außerhalb der Schubladen »Mann« und »Frau« verstehen. Sie erzählten uns über ihre Musik, ihre Erfahrungen mit Gender und ihre Wünsche an die österreichische Musikszene.

Der Titel des ersten Tracks von Kerosin95 »Außen hart, innen flauschig« ist Programm: »Es kann ja nicht sein, dass man nur noch lieben, weichen Hip-Hop macht. Ich will auf jeden Fall auch hart sein dürfen, ich will wütend sein dürfen. Und ich will zach sein dürfen.« Kerosin95 ist zwar das jüngste, aber nicht das erste und einzige Projekt von Kathrin Kolleritsch. Doch Kerosin95 ist für Kathrin persönlicher: »Ich habe nach einem Ventil gesucht, meine ganzen Gedanken und Ideen und Gefühle auszudrücken. Das ging schon die letzten Jahre so, aber ich habe kein Ventil dafür gefunden. Und Kerosin ist dann das Passende gewesen am Schluss. Da kommt jetzt alles, was sich die letzten Jahre aufgestaut hat, über die Texte heraus.«

Doch gleichzeitig ist da stets auch eine gehörige Portion Humor zu spüren. Wenn Kerosin im Video zu »Außen hart, innen flauschig« im dottergelben Onesie durch die Wiener Straßen tanzt, sich vor Schildern und Bananen in Pose wirft und kopfüber am Kinderspielplatz rappt, dann kann man nicht umhin, mitzugrinsen. Das wird durch den unglaublichen Flow von Beats und Texten nur unterstützt. Das geht durchs Ohr in Hirn und Beine.

Zwei Tracks von Kerosin95 sind bisher veröffentlicht worden, ein dritter findet sich als Live-Mittschnitt. Im Herbst 2020 soll das erste Album folgen. Ein stressiges Jahr bisher für Kathrin, noch bevor das Nachdenken über Gender hinzukommt: »Ich bin seit einem halben Jahr in einer sehr intensiven Findungsphase, und die wird wahrscheinlich noch mein Leben lang dauern. Ob non-binary für mich eine Bezeichnung ist, weiß ich noch nicht. Nur weil dieser Artikel über non-binary Artists ist, möchte ich mir da auch keinen Stempel aufdrücken. Ich weiß auf jeden Fall, dass ich mich nicht als Cis-Frau definiere, oder generell als Frau. Eher im Bereich genderfluid oder genderqueer.«

Themen in den Raum stellen

Sowohl Zosia als auch Kathrin schätzen den Freiraum der Figuren Kerosin und Mala Herba. Kathrin etwa spricht ganz bewusst immer von Kathrin und Kerosin als getrennte Personen, »weil ich es lustig finde, damit zu spielen und ich Leuten ganz bewusst nicht sagen will, wie viel jetzt Kathrin und wie viel Kerosin ist – je nach Tagesverfassung. Ich weiß es halt auch selbst nicht immer. Bei mir ist das alles sehr fließend, spielerisch und frei. Außerdem ist es eine schöne Möglichkeit sich mehr auszudrücken, neue Sachen auszuprobieren und bei sich selbst zu checken. Es ist lustig, wie man sich selbst durch verschiedene Arten von ›Gender-Performance‹ kennenlernen kann und auf Sachen wie verinnerlichte Stereotype oder Sexismen draufkommt.«

Für Zosia ist Mala Herba hingegen eine ernstere Figur: »Manchmal übertreibe ich es ganz bewusst, etwa mit dramatischem, leichenartigem Make-up und indem ich mich ganz düster und hexenartig gebe. Es ist dann 99 % ernst und vielleicht 1 % ironisch. Aber das siehst du nicht auf der Bühne. Dort ist das alles sehr ernst und direkt.«

Falls es bei Tony Renaissance einen aktiven Rollentausch gibt, dann wirkt er subtiler, fließender: »Wenn ich mein Projekt nach außen trage, verändert sich natürlich einiges, da ich vor einer Crowd sofort als alles Mögliche gelesen werde. Auf jemanden, der auf einer Bühne steht, werden automatisch bestimmte Konzepte projiziert. Damit kann ich aber auch spielen und mit meiner Präsenz alleine schon gewisse Themen in den Raum stellen.«

Kerosin95 © Patrick Münnich
Kerosin95 © Patrick Münnich

Themen in den Raum stellen, ist ein Anspruch, den alle drei zu teilen scheinen. Bei Mala Herba geht es viel um Repräsentation: »Der Stereotyp von non-binary als schlanke, androgyne, schöne, weiße, junge Person nervt mich. Du kannst non-binary sein mit großen Brüsten oder einem Bart. Mich interessiert es, dieses Bild zu erweitern. Ich möchte so viele verschiedene Körper und Erfahrungen auf den Bühnen sehen, wie möglich.«

Zosia sieht sich in einer dreifachen Rolle als Aktivist*in, Musiker*in und Forscher*in. Als Forscher*in arbeitet Zosia an einem PhD zu queerem Sound. Gleichzeitig versucht Zosia mit Mala Herba als Musiker*in beharrlich in der Wiener Clubszene Fuß zu fassen. Zuletzt versteht Zosia sich aber auch als Aktivist*in und möchte anderen queeren Personen eine Bühne schaffen. Unter dem Titel »Sounds Queer?« organisiert Zosia zusammen mit Adele Knall und Violeta Gil Workshops, Performances und Jam-Sessions. Die Absicht ist, der queeren Community mit dem DIY- Projekt etwas zurückzugeben.


»Manchmal übertreibe ich es ganz bewusst, etwa mit dramatischem, leichenartigem Make-up und indem ich mich ganz düster und hexenartig gebe. Es ist dann 99 % ernst und vielleicht 1 % ironisch.«
— Zosia Hołubowska

Auch Tony Renaissance tritt nicht nur selbst auf, sondern organisiert zusammen mit Kolleg*in Mel die Veranstaltungsreihe The Future: »Viele Menschen versuchen täglich, ihre queeren Utopien zu leben und in Kunst zu übersetzen. Wir möchten mit The Future gerne Räume öffnen, in denen über Kunst und Politik gesprochen wird, Skills ausgetauscht werden, wo durch Ausdrücke der eigenen Identität und Sexualität und den Widerstand gegen normative Strukturen Zusammenhalt entsteht. Als weiße, europäische Person, die oft auch als cis gelesen wird, bin ich aber in einer privilegierteren Position als viele andere Leute in der Community. Allein schon Personen, die ohne österreichischen Pass in Österreich leben, können es sich oft ganz einfach nicht leisten, von Utopien zu träumen, ohne dabei täglich auf harsche Realitäten zu prallen. Es braucht Hands-on-Aktivismus, täglichen Widerstand und proaktive Initiativen, um wirklich allen eine faire, zugängliche und ganz einfach positive und lebenswerte Gegenwart und Zukunft zu ermöglichen.«

https://www.facebook.com/malaherbawitch/videos/2622927664641703/

Auch Tony sieht sich als Teil einer queeren Community, möchte aber keinesfalls als Vorbild verstanden werden, sondern steht »auf derselben Ebene wie alle anderen in der Community. Wenn meine Musik und Stage-Performance Leute dazu inspiriert, selber Musik zu machen, ihre Identitäten offen und frei zu leben, neue Projekte und Initiativen zu gründen, oder sich einfach nur wohl und empowert zu fühlen, oder auch Dinge zu hinterfragen und sich ertappt zu fühlen, bin ich happy.«

Inspiration ist auch das Äußerste, das Kathrin sich als Kerosin zuschreiben möchte: »Das Wort Vorbild bringt eine Verantwortung mit sich und hat gleich immer sowas Göttliches und Erhabenes. Ich will nicht erhaben sein, ich will mich einfach mit Sachen beschäftigen und wenn anderen Leuten das taugt, dann cool, und wenn nicht, dann nicht. Aber ich finde es cool, wenn ich diese Bühne nutzen kann, wo hundert Leute zuhören, und ich sage irgendwas und es ist vielleicht ein wichtiges Thema und dann führen wir diesen Diskurs auf der Bühne weiter. Ich habe halt eine Bühne, wo die Leute zuhören und das Gehör findet. Deswegen muss man nicht gleich abgehoben auf irgendeiner Wolke schweben.«

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