Was bedeutet es Musik zu machen, wenn das eigene Geschlecht nicht selbstverständlich ist? Wir haben mit drei in Wien lebenden Musiker*innen gesprochen, die ihr Geschlecht außerhalb der Schubladen »Mann« und »Frau« verstehen. Sie erzählten uns über ihre Musik, ihre Erfahrungen mit Gender und ihre Wünsche an die österreichische Musikszene.
Als Teil einer queeren Community fühlt sich Kathrin dabei mal stärker, mal weniger stark: »In meinem Umfeld gibt es schon sehr viele queere Personen, es ist aber nicht immer nur eine queere Bubble. Aber ich fühle mich dort schon sehr wohl. Das tritt zum Beispiel bei Konzerten oder Veranstaltungen zum Vorschein, je nachdem, von wem das organisiert ist. Da ist dann manchmal ein sehr ›bubbliges‹ Gefühl, was voll schön sein kann, weil das auch für mich ein sicherer Hafen ist. Das sind Orte, wo tendenziell halt weniger Scheiße passieren kann und weniger depperte Kommentare fallen. Das ist sonst leider nun mal Alltag für Musiker*innen.«
Hands-on-Aktivismus
Auch bei Zosia schwankt das Verhältnis zur queeren Szene: »In Wien fühle ich mich in der queeren Community nicht so verankert. Manchmal fühle ich mich fast von ihr abgewiesen. Ich glaube meine Musik trifft nicht den Geschmack der queeren Szene in Wien. Vier Jahre lang habe ich in Kopenhagen gelebt, bevor ich hierhergezogen bin. Von der ersten Woche an war ich dort in radikale, queere Politik involviert. Bald hatte ich diese Crew von queeren Leuten um mich. Wir haben zusammen Aktivismus gemacht, aber sind auch zusammen tanzen gegangen. In meinen drei Jahren in Wien habe ich bislang wenige Leute gefunden, die sowohl queer sind als auch die gleichen musikalischen Interessen haben.«
Zosia kritisiert an der queeren Community aber vor allem, welche Leute von ihr finanziell unterstützt werden: »Ich glaube viele von den großen Popstars eignen sich Elemente der queeren Community an. Das bringt dann aber immer nur kulturelles und finanzielles Kapital für diese Stars selbst. Das geht nicht zurück in die Community. Trotzdem spielen sie dann auf queeren Partys die gleichen drei Popstars in der Schleife. Leute wie ich oder andere queere Artists, die hervorragende Musik machen, müssen jeden Monat darum kämpfen, Miete oder Versicherungen zu zahlen. Das Problem ist, wohin dein Geld als KonsumentIn von Kultur geht. Deswegen müssen nicht alle Leute plötzlich Darkwave-Techno hören. Auch im Pop gibt es hervorragende queere Musiker*innen.«
Für Kathrin ist die Aneignung von queeren Räumen durch den Mainstream ein zweischneidiges Schwert: »Wenn queere Räume einfach bezeichnen, wie man miteinander umgeht und wie man aufeinander schaut – wenn das in den Mainstream mitgenommen wird, dann ist das ja nur wünschenswert und wäre voll utopisch. Aber wenn ein queerer Mainstream heißt, dass Coca-Cola Regenbogenflaschen verkauft, oder H&M queere Siebenjährige Nähen lässt, dann … no offence – nein, schon offence!« Was sich Kathrin für die breitere Musikszene wünscht lässt sich im Wort Selbstverständlichkeit zusammenfassen: »Was als selbstverständlich gilt und was nicht. Es ist anstrengend, wenn mir selbstverständlich eine Geschlechtsidentität zugeschrieben wird, nur weil man mich sieht. Das kann ich aber auch niemandem übelnehmen, denn so ist unsere Gesellschaft halt aufgebaut. Dann muss ich die Verantwortung eben selbst übernehmen und etwas sagen. Aber ich will einfach, dass das selbstverständlich wird und einfach nicht thematisiert werden muss. Niemand kann alleine irgendwelche gesellschaftlichen Normen ändern. Aber ich kann für mich selber schauen, wie ich mit Menschen umgehe und was ich mit meinem Umfeld tue und wie ich Normen in meinem Kopf verändere. Alle anderen müssen sich das selber klären. Man fängt halt mit sich selbst an und schaut was man in seinem Umfeld für Sachen verändern kann. Und wenn das ganz viele Leute machen, dann geht vielleicht was weiter.«
»Wir waren schon immer hier«
Tony hingegen findet es lustig, »dass die ›Integration‹ von Queerness in den Mainstream oft als etwas so Neues dargestellt wird, als ob Queerness ein Konzept wäre, dass gerade erst entdeckt wurde und jetzt gerade langsam in den Mainstream übergeht. Queerness ist eine Lebensrealität, und queere Menschen existieren überall und seit es Menschen gibt. Vor allem in Kunst und Kultur und auch in politischen Debatten und Veränderungen der Gesellschaft waren queere Leute schon immer Vorreiter*innen, Pionier*innen und Visionär*innen. Ihre Geschichte wurde nur oft verdrängt, von cis-hetero patriarchalen Gesellschaftsstrukturen auszulöschen versucht und als anders und abseits heteronormativer Geschichte dargestellt.«
»Gender ist wie ein Farb- spektrum, für manche ist ihre Identität auf eine Farbe fixiert, oder komplett außerhalb.«
— Tony Renaissance
Non-binary Musiker*innen sieht Tony als integralen Teil der Gesellschaft. Nur manche »checken halt nicht, dass wir schon immer hier waren und nicht nur ein vorübergehendes Phänomen sind.«
Mala Herba, Kerosin95 und Tony Renaissance machen Musik, hervorragende Musik. Musik, die bewegt, Musik, die sich etwas traut. Eigentlich sollte dieser Artikel sich nur damit beschäftigen müssen. Dass die drei mit den Schubladen »Mann« und »Frau« nicht klarkommen, sollte eigentlich etwas Selbstverständliches sein. Doch solange manche das eben nicht checken, liegt es an uns allen, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung dafür, wie wir mit anderen Menschen und mit unserem Umfeld umgehen. Verantwortung dafür, wie wir unser Geld ausgeben und wen wir unterstützen. Verantwortung dafür, ob wir die gelebte Realität von anderen Menschen ignorieren, sie aus Ignoranz verletzen und ihr Leben erschweren oder ein Minimum an Aufwand betreiben um ihnen dieselbe Selbstverständlichkeit zuteilwerden zu lassen, die so viele von uns als gegeben hinnehmen.
Die Fotos von Kerosin95 sind im Rahmen einer Fotostrecke österreichischer Acts im diesjährigen Line-up des Waves Vienna entstanden. Bis vor kurzem war Mala Herba auf »No Forgiveness«-Tour, die aktuellen Songs sind auf Bandcamp nachzuhören. Neuigkeiten zu Tony Renaissance und den kommenden The-Future-Vienna-Veranstaltungen finden sich am besten hier und hier.