Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im April 2025. Mit Kochkraft durch KMA, Ernst Molden, Die Anteile, Odd Couple & mehr.

Ernst Molden – »Mei Liab«

Ganz Wien, ganz Österreich, die ganze Welt gar trauert mit Ernst Molden und allen anderen tollen Musik-Kolleg:innen um Walther Soyka – Sie werden es mitbekommen haben. Und auch auf dem neuesten Album hören wir den Großmeister der Wiener Knöpferlharmonika, wir dürfen es auch als Liebesgeständnis an ihn interpretieren. Wie allgemein »Mei Liab« sich jenem Gefühl widmet, das seit Generationen Menschen dazu anstiftet, der Liebe Abermillionen Lieder zu schreiben. Mei Liab ist also tatsächlich nur echt ohne Beistrich, als besitzanzeigendes Fürwort, nicht als wienerischer Ausdruck der kleinen Schwester von »scheiße« zu lesen. Mit im Studio waren die Neuen Wiener Concert Schrammeln, bei denen Molden seit dem Tod von Willi Resetarits singt, die sich ebenso wie Molden dem behutsamen Archivieren und Neuinterpretieren und Breitermachen der Altwiener Volksmusik verschrieben haben. Gemeinsam gibt es neben Klassikern wie dem »Liad iwas Losziagn« oder »Es Lem« neue Stücke, die in ihrer zarten Instrumentierung wenig Raum für Ekstase nach Außen bietet, dafür eher für die stillen Momente: für das Wegpusten einer Wimper, dem Streichen durch Haare, der Umarmung nach einem schlechtem Tag.
»Mei Liab« von Ernst Molden erscheint am 4.4.2025 via Bader Molden Records. Live Termine: 14.4. & 4.5. Stadtsaal, Wien. 25.3. Posthof, Linz. Hier kaufen.
Die Anteile – »Pelzwerk«

Berlin, IDM, EBM, Post-Punk, DAF, Electroclash, NNDW. Die recht neue Gruppe Die Anteile hat so ziemlich alles, was man braucht, um 2025 ziemlich cool zu sein. Und – was in dem Zusammenhang die Spreu vom Weizen trennt, das Kraut fett macht, die Kirsche auf der Sahnetorte ist –: Die können das auch umsetzen. Auf ihrem Debüt-Album, das überraschenderweise bei Tapete Records erscheint, die sich zuletzt ja vor allem mit Re-Releases einen noch größeren Namen gemacht haben, zeigt das Duo auf seinen zehn Stücken eine ziemliche Blaupause dessen, was die oben letztgenannte Abkürzung ausmacht, es ist: Neue Neue Deutsche Welle, also recht Achtziger, recht goschert, recht dunkler Keller für recht helle Bühnen. Sehr interessant macht die Gruppe darüber hinaus die Vielfalt an Themen, an literarischen Figuren – etwa Nazi-Erben und Zirkusdirektoren –, und eben an verschiedenen Genre-Anleihen, die zwar ab und an kopiert wirken, aber schon auch immer nach Die Anteile klingen. Kostenloser Claim für den Verkaufsstand: In Die Anteile können Sie investieren!
»Pelzwerk« von Die Anteile erscheint am 25.4.2025 via Tapete Records. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Kochkraft durch KMA – »Hardcore never dies das«

Eine These, weniger gewagt als ein Kopfsprung vom 7-Meter-Brett: Die in Duisburg probende Gruppe Kochkraft durch KMA steht unmittelbar vor dem großen Durchbruch. Dafür spricht nicht nur der Wechsel zum Indie-Major Grand Hotel van Cleef – die beiden Vorgänger »Endlich Läuse« (2018) und »Alle Kinder sind tot« (2022) erschienen noch auf Kick the Flame bzw. Uncle M – und die Superszenerelevanz mit dem Geschlechtergerechtigkeits-Festival »Cock am Ring«, sondern vor allem, dass auch das dritte Album mehr Qualitätsgütesiegel verdient als ein durchschnittliches Bio-Produkt: Krachender, wütender, sloganesker Indie-Punk, mehr NDW als die NDW – und vor allem die NNDW –, dessen zwangsläufige Konsequenz fünfstellige monatliche Streamingzahlen, Star-Features (etwa mit The Toten Crackhuren im Kofferraum, mit denen Kochkraft durch KMA stiltechnisch nicht blutsverwandt, aber zumindest verschwägert sind) und echte, längere Headliner-Touren durch den ganzen deutschsprachigen Raum sind. Also, wer noch in den Hype-Train einsteigen will: Kaufen Sie sich dieses tolle Album! Aber Vorsicht: Sie werden nicht mehr aussteigen können!
»Hardcore never dies das« von Kochkraft durch KMA erscheint am 11.4.2025 via Grand Hotel van Cleef. Live Termine: 1.11. Graz, Music-House, 3.11. Wien, B72. Hier kaufen.
Odd Couple – »Rush-Hour des Lebens«

Die Problematik mit sprechenden Bandnamen ist keine allzu kleine: Odd Couple sind qua ihres Namens fast schon dazu verdammt, erstens, 2 Leute zu sein und, zweitens, ziemlich »odd« zu sein. Eine gewissen Weirdness wird also durchaus vorausgesetzt. Umso schöner dann natürlich, wenn Gruppen auch auf dem fünften Album ihrer Trademark verpflichtet sind und das Ganze noch so klappt wie am ersten (damals, 2015: »It’s A Pressure To Meet You«). Genretechnisch ist das natürlich schwer zu greifen, da aber Einordnungen offenbar niemals fehlen müssen, hier für Sie: Irgendwo zwischen Freak Pop, Post-Punk, Krautrock, Dada ist »Rush-Hour des Lebens« zuhause, dort zelebriert das Berliner Duo die Liebe zum Unfertigen, zum Fehler, zum Basteln, zur Improvisation, zum zeitweiligen Klamauk. Mittel, die als einzige im Spätkaputtalismus noch verfügbar scheint. Schöne Zeile dazu aus »Sonne«: »Auch wenn ich vom Leben nichts bekomme / Gibt es immer noch die Sonne.«
»Rush-Hour des Lebens« von Odd Couple erscheint am 4.4.2025 via Cloud Hills. Keine Termine in Wien. Hier kaufen.
Sexverbot – »Sexverbot«

Der neueste Fund des vielleicht coolsten Berliner Labels Bretford Records – u.a. Chuckamuck, Die Verlierer, Oska Wald oder Narkose – hat es in sich: Die Punk-Kapelle Sexverbot, alternativ gegen die Sperrmechaniken der amerikanischen Tech-Konzerne auch: S3xverbot (danke dafür, Suckerberg!), macht ziemlich klassischen 1970er-Jahre-Straßenpunk, veröffentlicht ihr Debütalbum und macht keinerlei Gefangenen: Besonders schön geht dabei die erste Single »tausendeuroschein« auf die Zwölf und protzigen Rich Kids an den Kragen, tolle Zeile »Denkt ihr wärt die Geilsten / Tausendeuroschein / Red mich nochmal klein / du dummes Schwein«. Interessant ist auch die Veröffentlichung: Im April gibt’s das Album digital und via Tape (über die Expert:innen von Mangel Records), im Juni kommt das auf dreihundert Stück limitierte Vinyl. Dringende Empfehlung: Vorbestellen, vorne dabei sein, alles kaufen, alles abfeiern. Im Video gibt’s das Demo, noch kein Video zum tatsächlichen Album.
»Sexverbot« von Sexverbot erscheint am 16.4.2025 via Bretford Records. Live Termine: 26.4. Kapu Linz. Hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
Die Radierer – »Limburger Schule«
(VÖ: 25. April 2025)
Info für all jene, die neu in der »Limburger Schule« sind: Die dort 1978 gegründete Gruppe Die Radierer gilt es eine der ersten deutschen Post-Punk-Gruppierung, ihr Hit »Angriff auf’s Schlaraffenland« von 1980 dürfte bekannt sein. Seit einigen Jahren wieder aktiv, veröffentlichen sie nun ihr siebtes Album, das ziemlich eklektisch daher kommt und neben einigen Elektroclash-Anleihen auch sehr viel Ska mit ihm Gepäck hat – Beweis dafür: Ihre Single »Washingtoner Washing Bär«. Kein Österreich-Termine, Album gibt’s hier.
Viech – »Vollmond«
(VÖ: 13. April 2025)
Die sehr gute Gruppe Viech – rund um Paul Plut, aber dieses Mal erneut erweitert – sagt der Wettbewerbsfähigkeit den Kampf an. Einerseits in Wort und Bild, aber auch vor allem, was Produktion und das Denken über ein Album betrifft. Genaueres erwartet die Lesenden der neuen Ausgabe von thegap, die sie demnächst online oder im Briefkasten finden. Die Tour führt die Band durch ganz Österreich, Graz, Wien, Salzburg, Noppen Air, Öblarn, Steyr, Innsbruck, Guntramsdorf. Album hier kaufen.
Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.