Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Juni 2021

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Christopher Glanzl
© Christopher Glanzl

Fritzi Ernst – »Keine Termine«

Fritzi Ernst © Frederike Wetzels
© Frederike Wetzels

Nachdem Daniela Reis bereits im Vorjahr gemeinsam mit ihrem Ehemann »Ente« Schulz unter dem Namen Ducks on Drugs ein Albums namens »Stabil labil« veröffentlichte, zieht nun mit Fritzi Ernst das zweite Ex-Mitglied der Kult-Kombo Schnipo Schranke nach: Nach dem Split begann Ernst eine Ausbildung zur Klavierbauerin, die sie nach doch längerer Pause wieder zur Musik zurückführte. Aufgenommen mit Zitrone Ted Gaier ist das starke Solo-Debüt »Keine Termine« doch eher eine Reminiszenz an alte Zeiten als etwa Reis’ Elektroclash: Minimalistische Arrangements, hauptsächlich mit schrägem Klavier, die den Texten viel Raum geben. Diese sind über einen längeren Zeitraum entstanden und gehen sogar noch in die Schnipo-Zeit zurück, sie sind natürlich ein bisschen Dada, ein bisschen Depri, zeichnen sich aber vor allem durch das richtige Gespür für den etwas anderen Hit aus. Beispiel aus dem Titel-Song, der klar auf die Pandemie anspielt: »Alle wollen was erleben / Ich könnt’ mich übergeben.« Endlich sagt’s mal jemand!

»Keine Termine« von Fritzi Ernst erscheint am 11. Juni 2021 via Bitte Freimachen Records. Keine Österreich-Termine aktuell.

Peter Muffin Trio – »Stuttgart 21«

Peter Muffin Trio © Marcus Schreiter
© Marcus Schreiter

Der Muffin Peter, den viele auch noch bzw. sogar vor allem als Julian Knoth von den Noise-Punk Legenden Die Nerven kennen, hat ja eigentlich erst vor kurzem seine »Dose Scheisse« veröffentlicht, lässt aber gleich wieder etwas vom Stapel: Zum Trio (mit Bruder Philipp von Karies und Cali d’Orville von Zirkel) gewachsen, entsteht auf dem elf-Song-starken Album eine weirde Mischung aus Lo-Fi, Garage und Noise-Rock, mit ächzendem Geschrammel, das gleichzeitig Old und New School, räudig und dabei hochkomplex daherkommt. Die Texte sind ungewöhnlich unvage, richtig persönlich, könnte man meinen, ohne Scheuklappen der Verletzlichkeit, sozusagen. Zwar hat man in Köln mit Nicolas Epe (zuletzt: The Screenshots) aufgenommen, dennoch ist »Stuttgart 21« eine Platte, die perfekt zur Stadt im Titel passt und sozusagen das Konzentrat dessen ist, was hier in den letzten fünf bis zehn Jahren passiert ist. Dessen, was Stuttgart zur Hauptstadt auf der Karte deutscher Rockmusik gemacht hat: Verdammt gute und intelligente Punkmusik.

»Stuttgart 21« von Peter Muffin Trio erscheint am 25. Juni 2021 via Glitterhouse. Keine Daten zu einer Österreich-Tour aktuell bekannt.

Kalle – »Ey!«

© Kalle / Bakraufarfita
© Kalle / Bakraufarfita

Die Berliner Pop-Punk-Rocker Kalle haben’s raus und auf ihrem Debütalbum gleich den ultimativen Tipp für alle Newcomer: »Der zweite Song muss unbedingt ein Hit sein! / Sonst hört euch doch auf Spotify kein Schwein« oder »Content, Content, Content / Wir brauchen Content! Hauptsache Content! Was, ist scheißegal«. Und ja, zumindest ersteres haben die vier mit dem gleichnamigen Banger für die Punk-Party im Jugendtreff definitiv in die Tat umgesetzt. Männer ebensolcher sind sie ohnehin: Beim mittlerweile an dieser Stelle obligatorischen Label Bakraufarfita haben sich Kalle nämlich gleich mit einem gewidmeten Song erfolgreich beworben. »Ein letzter Traum (ein Plattendeal bei Bakraufarfita)« findet sich schlussendlich nicht auf »Ey!«, dafür aber gleich zwölf rasante Stücke, die mit Leidenschaft in die Tonrillen getrommelt, gezupft und geschrien werden. Textlich geht’s neben der »Karriere« als Punkmucker – natürlich – um alte weiße Männer, Sexismus, Leitkultur und alles andere, was diese Welt zu einem Unort macht. »Ey!« macht sie zumindest ein Stück weit besser.

»Ey!« von Kalle erscheint am 4. Juni 2021 via Bakraufarfita. Keine Österreich-Termine.

Patiri Patau – »Für immer Swoboda«

© Christopher Glanzl
© Christopher Glanzl

Ganz ehrlich: So gescholten die gute alte Popmusik auch ist, eigentlich ist sie gar nicht so schlecht: Zumindest beziehungsweise sogar vor allem, wenn sie so klingt wie von der Wiener Gruppe Patiri Patau auf deren Debüt-Album »Für immer Swoboda«. Dort findet sich nämlich durchgehend ziemlich hypnotischer Jangle Pop – jetzt eher im Sinne der 60er als im Sinne der 80er –, getrieben von einer Zwölfsaitigen, die mit fetten Lettern ihren akustischen Stempel aufdrückt: Gar sommerlich klingen die meisten der zwölf Stücke dadurch, quasi wie ein warmer Juni-Tag im Türkenschanzpark. Aber, und das ist auch so ein bisschen der Clou bei Patiri Patau, nichts ist wie es scheint, die Gruppe reißt nämlich ganz gerne die Musik-Text-Schere ganz weit auf: »In Währing ist mir so kalt / Die Menschen sind hier so alt« (aus: »Von Währing nach Kritzendorf«, einem der Kernstücke des Albums). Dass die Texte nicht immer oder sogar nur selten bierernst sind, liegt auch daran, dass sie von Kabarettist und Autor Homajon Sefat geschrieben werden und von Andreas Gaubitzer mit dem notwendigen Augenzwinkern gesungen werden. Schwieriges Wort, aber wahr: Dieses Album hat definitiv Kultpotenzial!

»Für immer Swoboda« von Patiri Patau erscheint am 18. Juni 2021 via Seidenpapier/375. Live: 19.6. Kramladen Wien, 3.7. Shakespeare Salzburg, 7.8. Chelsea Wien.

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

Buntspecht – »Spring bevor du fällst«

(VÖ: 11. Juni 2021)

Die Wiener sind aktuell die Gruppe mit dem wohl größten Wiedererkennungswert in der heimischen Pop: Nasaler Gesang und eine Melange aus Klezmer, Barden-Pop und Kammer-Punk machte Buntspecht bekannt. Kein Wunder, dass sich das Sextett auch auf Album Nummer 3 treu bleibt. Wer mehr dazu wissen will, findet dazu allerhand in der nächsten Ausgabe von thegap, sowie demnächst an Ort und Stelle.

Megaton – »Spielball«

(VÖ: 25. Juni 2021)

Punkrock aus Heidelberg (woher auch sonst?): Nach dem 2017 erschienen Debüt »einfach da!« legt das Trio Megaton nach, variiert ihr Soundkleid und fügt dem Fun-Punk der Vergangenheit ab und an auch ernstere Töne bei. Dennoch kann man weiterhin aus vollstem Leib mitgröhlen, vor allem die Refrains, die manchmal gar überlebensgroß in die Nächte geschrien werden, bohren sich in die Gehörgänge.

Palais Schaumburg – »Palais Schaumburg« (Re-Issue)

(VÖ: 11. Juni 2021)

Intellektuelle, experimentelle und teils atonale Tanzmusik mit einem gehörigen Einschlag von Dadaismus und Kindlichem: Die 1980 gegründete Gruppe veröffentlichte ein Jahr später ihr Debüt-Album, das zwar – natürlich – kein allzu großer kommerzieller Erfolg war, dennoch – und vielleicht gerade deshalb – fest zum Kanon deutscher Avantgarde-Musik gehört. Bureau B veröffentlicht zum Jubiläum eine auf 500 Stück limitierte rote Vinyl-LP. Zuschlagen!

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