Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Patrick Richardt – »Soll die Zeit doch vergehen«
Es ist nicht immer schlecht, wenn man ein bisschen wie seine Förderer klingt, ihnen musikalisch nacheifert. Sonst wären sie ja auch nicht die Förderer geworden. Die Eitelkeit eben. Patrick Richardt hat das ganz sympathisch gelöst. Schon sein erstes Album »So wie nach Kriegen«, das wie der Nachfolger nahezu folgerichtig beim guten alten Freund Grand Hotel van Cleef erscheint, hat ihn in die Ecke Thees Uhlmanns gebracht. Das neue Werk erinnert insbesondere an dessen Solodebüt, Bierseligkeit im positivsten Sinne. Das ist – wenn man endlich sagt, klingt das immer blöd, aber: – endlich einmal auch ansteckender Gute-Laune-Gitarren-Pop, der Titel wie »Euphorie« durchaus zurecht singen darf. Klar, es gibt natürlich auch leise Töne, aber im Großen und Ganzen ist »Soll die Zeit doch vergehen« ein Album für gute Momente, für die Straßenbahnfahrt am Morgen nach dem besten ersten Date, fürs Picknick am See, für Tage, an denen alles in zuckerlrosa Nostalgie gehüllt ist. Dass Depressionen vier Jahre zwischen Alben rissen, merkt man gar nicht. Soll man vermutlich auch nicht.
»Soll die Zeit doch vergehen« von Patrick Richardt ist am 3. März 2017 bei Grand Hotel van Cleef erschienen.
Candelilla – »Camping«
Die deutscheste aller Urlaubsarten, Magic Life für Idealisten und Freigeister, die dem Traum des Zynismus’ von mobiler Niederlassung nachjagen, aber auch das Gegenteil der Sicherheiten des Heimatbegriffs als Albumtitel, gebrochener Wave-Post-Pop als Form. Das dritte Album – der Vorgänger »Heart Mutter« ist schon ganze vier Jahre alt – des musikalischen Diskurskollektivs aus München und Hamburg scheut weder große Zusammenhänge, deren Themenstellungen in ihren jeweiligen Interpretierbarkeiten den ganz Schlauen als Basis für Kopfzerbrechen dienen können und sollten, noch große musikalische Kunst. Gitarren, Flächen, Bässe und Schlagzeug atmen den kalten Rauch unzähliger, erbarmungslos blauer Neonröhren, der Gesang – deutsch und englisch, stets getrennt, nicht denglisch – treibt Stakkati von ebensolcher Unbarmherzigkeit in Gedankenzonen und setzt die elaborierte lyrische Darbietung perfekt um. Mit dieser herausragenden Textierung darf man einfach nicht anders klingen, als es Candelilla machen. »Camping« ist ein hartes Album ohne Möglichkeit, sich zu entziehen. Es zieht in Bände, macht Hörer schlauer, bleibt dabei aber unnah- und wenig angreifbar. Dieses Album braucht man.
»Camping« von Candelilla ist am 3. März 2017 bei Trocadero / Zick Zack erschienen. Die Tour der Band beginnt in Österreich – mit folgenden Stationen: 16. März, Linz, Stadtwerstatt — 17. März, Wolfsberg, Container 25 — 18. März, Wien, Venster 99.
Mutter – »Der Traum vom Anderssein«
Die sanfte Überleitung von wegen »Camping« von Candelilla auf Mutter (ehemals ja Campingsex) mag verziehen sein. Mutter verzeihen dafür gar nichts. Dürfen sie auch nicht, würde auch gar nicht zu Deutschlands vielleicht kompromisslosester Band passen. Nach dem immer noch wahnsinnig famos betitelten Vorgänger »Text und Musik« übt sich die Gruppe in der strikten Teilung. Rund um den, wie seine Band, nur mit weiteren Suchbegriffen auffindbaren Max Müller (dessen letztes Soloalbum »Die Nostalgie ist auch nicht mehr das was sie einmal war« auch schon so alt ist, dass es selbst nostalgisch klingt) teilt Mutter das neue Werk – auch dessen Titel ist gut und schön identifikationsstiftend – in zwei Teile, in zwei Seiten, in A und B. Auf dem ersten Teil tragen die von düsterem, alternativem Postrock untermalten Stücke Namen wie »Menschen werden alt und dann sterben sie«, da ist alles viel mehr Musik als Text. Die B-Seite, die für von Melodien schwärmenden Indie-Kids die besser Seite ist, zeigt bei kurzen Titeln (etwa »Glorie«, »Fremd«, »Geh«) trotz der teilweise enormen Länge der Stücke – immerhin wollen acht Titel auf 53 Minuten kommen – Zugänglicheres. Dort ist es dann ausgeglichen. Text und Musik. Am Abgrund, aber mitunter himmelhoch anregend.
»Der Traum vom Anderssein« von Mutter erscheint am 24. März 2017 bei Die Eigene Gesellschaft. Das Video stammt vom Vorgängeralbum »Text und Musik«.
Die Regierung – »Raus«
Eine kleine Enttäuschung: Die Bemühung der Suchmaschinen nach der Kombination von Bandname und Albumtitel führt tatsächlich direkt zum Ziel. Belustigung durch »Real News Seiten« hätte für Ablenkung gesorgt. Die Entstehungsgeschichte von »Raus« spottet mit ihrem gelebten Klischee fast ein wenig der herausragenden Bedeutung von Die Regierung. Jubiläum des wegweisenden Überalbums »Supermüll«, Reunion-Tour, dann doch noch ein neues Album. Wer vor allem den genannten Debüt-Klassiker kennt, mag sich von »Raus« irritieren lassen, es setzt jedoch nur den Weg von »So allein« (1990), »So drauf« (1992) und »Unten« (1994) fort. Es ist kein Postpunk, es ist, wenn dann, Postpop. Diskurspop ist zwischen den Zeilen erkennbar, vordergründig drängen sich neben der beruhigenden Elder-Statesman-Crooner-Stimme von Tilman Rossmy vor allem dessen Texte, die in ihrer lyrischen Makellosigkeit bislang 2017 wirklich ihresgleichen suchen lassen. Schöner kann deutscher Gitarrenpop echt nicht sein. Seltsam, dass ihn alte Männer buchstabieren müssen. Die Top-Empfehlung des Monats, könnte man sagen.
»Raus« von Die Regierung erscheint am 24. März 2017 bei Staatsakt. Leider gibt es noch keine Österreich-Termine.
Kommando Elefant – »Herz und Anarchie«
Kommando Elefant waren immer eine Gruppe zum Liebhaben. Aber auch eine Gruppe für Liebhaber. Trotz wunderbarer Songs auf den frühen Alben, trotz ikonischer Hits wie »Alaska«, »Wenn ich dich sehe bleibt mein Herz stehen« oder »Wittgenstein«, war den Elefanten nicht so der ganz große Durchbruch vergönnt, der ihnen aber schon zu gönnen gewesen wäre. Tolles Songwriting, gut getextet, Identifikationspotenzial – alles war schon immer da. Vielleicht schafft es ja Stefan Redelsteiner, der sich vor kurzem der Band angenommen hat, die Wiener endlich zu dem Erfolg zu führen, den sie verdient hätten. Wer, wenn nicht er. Und wann, wenn nicht mit »Herz und Anarchie«. Der Vorgänger »Lass uns Realität« war teilweise seltsam elektronisch, ganz ungewohnt. Das neue Album kehrt zur – zumindest musikalischen – Erfolgsformel der frühen Alben zurück, das ist fein austarierter Pop, gut durchdacht, Komik und Tristesse in gutem Mischverhältnis. Hits gibt’s natürlich auch, man kennt sie schon, sie heißen »In all den abgefuckten Clubs« und »Zentrum der Nacht«. Die Voraussetzungen sind geschaffen, jetzt steht dem Durch-die-Decke-Gehen nichts mehr im Weg. Die besten Wünsche!
»Herz und Anarchie« von Kommando Elefant erscheint am 17. März 2017 bei Las Vegas Records. Am selben Tag steigt die Release-Party in der Fluc Wanne in Wien.
Außerdem erwähnenswert:
Fotos – »Kids« (VÖ: 31. März 2017)
Die auch nicht gerade leicht zu googelnden Fotos schieben nach unendlich langen sieben Jahren »Kids« in die Verkaufsregale. Mit wohlig-warmem Gefühl von Melancholie und Sehnsucht nach dem Indie-Life von früher, aufbereitet auf Synthie-Flächen voller zärtliche Träumereien, positionieren sich Fotos 2017 in ebenjenen Regeln neben Kollaborateuren: Sie klingen heute nach fröhlicheren Klez.e (Produzent: Tobias Siebert) und auch Golf, die beim vielleicht stärksten Song »Alles offen« mit dabei sind.
Van Holzen – »Anomalie« (VÖ: 3. März 2017)
Mit Madsen und Heisskalt auf Tour zu sein, ist auch nicht gerade ein Fundament, auf dem man als coole Band aufbauen sollte. Van Holzen scheren sich darum aber gar nicht. Wer ein Major-Label im Rücken hat, braucht das auch nicht. Kraft- und druckvoller 90s-Alternative-Rock – gibt’s auf Deutsch ja eh kaum – von U20ern. Das klingt erst mal seltsam, macht aber ab dem ersten Ton sofort Sinn. Potenzial für ganz oben.
Der feine Herr Soundso – »Beweisstück A« (VÖ: 24. März 2017)
Das Problem: Bekannte werden älter, spießig und damit auch meistens beschissen konservativ. Die Lösung: Mit über 30 eine Punkband gründen, in 14 Minuten fünf rasante Deutschpunk-Nummern reinschweißen und eine Debüt-EP raushauen, die sich mit den ganz Großen des Genres messen lässt. Die passenden T-Shirts gibt’s im Videoclip.