Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im März 2021

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Stefan Mussil
© Stefan Mussil

PeterLicht – »Beton und Ibuprofen«

PeterLicht © Christian Knieps

Das Schmerzmittel Ibuprofen ist in den letzten Monaten zum vielleicht meistbesungenen nicht rezeptpflichtigen Medikament geworden, quasi das Tilidin des ehrlichen Mannes. Oder des kleinen, so klingt es zumindest, wenn man es verniedlicht, so wie Indie-Pop-Titan PeterLicht es im zumindest halben Titelsong (»Ibuprofen«) seines mittlerweile siebten Studioalbums süßlich säußelt: »Nimm doch noch ’n Ibuprofenchen / Dann wird’s dir wieder gut«. Süßlich ist auch eine gute Beschreibung für »Beton und Ibuprofen«, den Nachfolger des recht erfolgreichen »Wenn wir alle anders sind«, findet sich darauf doch für PeterLicht typischer sanfter Indiepop, so federleicht und unendlich freundlich, wie nur der Bachmann-Publikumspreis-Träger sein kann. An manchen Stellen kracht’s aber ganz schön gehörig, da wird sogar verzerrt (»Freunde«), das Tanzbein, das manch einer schon ganz am Anfang der Nullerjahre zu PeterLicht geschwungen hat, wackelt aber gehörig bei der Videoauskopplung »… e-scooter deine Liebe«, einem Synthie-Hit mit Stottern. »Sei ein Schritt schneller als die Depression«, heißt es da. Und gute Ablenkung hierfür ist »Beton und Ibuprofen« allemal.

»Beton und Ibuprofen« von PeterLicht erscheint am 5. März 2021 bei Tapete Records.

Ernst Molden & Der Nino aus Wien – »Zirkus«

© Stephan Mussil
Der Nino aus Wien und Ernst Molden © Stephan Mussil

Es ist einer der großen Ungerechtigkeiten des heimischen Popgeschehens der letzten Jahre und sagt eigentlich auch richtig viel über jenes aus: Der größte Charterfolg von zwei der wohl prägendsten Songwriter der Nuller- und Zehnerjahre war ein Coveralbum. »Unser Österreich« hieß es, ein bedeutendes Dokument der Gegenwart und Vergangenheit des sogenannten Austropop. Dass sich mit Ernst Molden und Der Nino aus Wien, um die ging es nämlich, jetzt wieder zwei der vielleicht Output-intensivsten Musiker Österreichs zusammentun, darf ja schon an sich als großartig wahrgenommen werden. Was die beiden auf ihrem neuen gemeinsamen Album »Zirkus« veranstalten, darf ebenfalls ins oberste Regal eingeordnet werden. Es ist ein Konzeptalbum über Artisten, Clowns und eben den Zirkus, das auch als Soundtrack für den 2021 erscheinenden Kinofilm »Ein Clown. Ein Leben« von Harald Aue dienen wird – eine Nominierung für den Deutschen Dokumentarfilm-Musikpreis ist schon eingetütet. Erstmals sind gemeinsam geschriebene Stücke auf Platte gepresst, man merkt den getrennt verfassten Liedern auch immer den Urheber an – Molden mit direkterer Poesie, Mandl mit Bewusstseinsstrom –, und auch zwei neuaufgenommene Klassiker finden sich unter den zwölf ausgewählten: »I siech was finstas«, Ernst Moldens Versuch an Will Oldhams »I See a Darkness« sowie »Es geht immer ums Vollenden« ergänzen die neuen Stücke, von denen insbesondere »Da Kenig« seinen Weg in die Annalen finden wird.

»Zirkus« von Ernst Molden & Der Nino aus Wien erscheint am 12. März 2021 bei Medienmanufaktur. Termine: 6. März, Wien, Rabenhof — 9. April, Kottingbrunn, Kulturszene23. April, Wien, Rabenhof — 6. Mai, Amstetten, Johann-Pölz-Halle — 7. Mai, Melk, Tischlerei19. Mai, Linz, Posthof — 5. Juni, Wien, Theater im Park — 24. Juni, Hall, Burgsommer — 28. Juli, Maria Anzbach, Goldener Löwe — 4. August, Wien, Theater am Spittelberg.

Schreng Schreng & La La – »Projekt 82«

Schreng Schreng & La La © Schreng Schreng & La La

»Wenn selbst wir zwei Glücksbärchis mit Galle spucken / Ist das das Ende der Fahnenstange«, schreit es das eigentlich altersmilde – im besten Sinne natürlich! – Düsseldorfer Akustik-Punk-Duo Schreng Schreng & La La in »Alukappenspacken«, der ersten Single aus ihrem insgesamt schon dritten Album »Projekt 82«, in den Äther. Und das Stück ist auch eine Ausnahme, wird hier tatsächlich zur Elektrischen gegriffen. Das Erfolgsrezept ist eigentlich ja ein ganz ein anderes: Der unverkennbare Jörkk Mechenbier am Mikrofonständer, sozusagen die Spitze der Nahrungskette im deutschen Punk – Love A, Trixsi und gern gesehener Feature-Gast – sowie sein Kumpel Lasse Paulus an der Wanderklampfe sind das deutsche Pendant zur Punker-goes-Acoustic-Welle der späten Nullerjahre (nix gegen Chuck Ragan, ey!), das mit den zu Recht kapitalismuskritischen Alben »Berlusconi« (2011) und »Echtholzstandby« (2016) bei Kritik und Publikum reüssiert hat. Auf dem dritten Album wird das Private zum Politikum – wenn es ans persönliche Eingemachte geht, geht es auch immer ums Außerpersönliche. Besonders aufregend: Jedes der beiden Bandmitglieder hat seinen Teil alleine im Studio eingespielt – die Texte wurden an einem Abend geschrieben und auch gleich eingesungen. Stark!

»Projekt 82« von Schreng Schreng & La La erscheint am 26. März 2021 bei Rookie Records.

Piefke – »Probleme«

Piefke © Bakraufarfita Records

Der an dieser Stelle fast schon obligatorische Release von Bakraufarfita Records – wie kann dieses Label bitte seit Monaten Hitalbum um Hitalbum veröffentlichen, ey? – kommt dieses Mal von den Leipziger Punkern Piefke, die im ersten Lockdown den Nachfolger zu ihrem im Jahr 2019 erschienen und sehr gut rezipierten ersten Album »Menschenmühle« aufgenommen haben. Die Zutaten sind genretechnisch gemischt und passen wie die Fäuste auf die Augen der Rechten: Superschneller – 13 Stücke in 27 Minuten – und rauer Deutschpunk, schwindelerregende Gitarren, Texte zum Mitschreien, schlaue Themen wie Krieg, Gentrifizierung, Rassismus, Repression und Artverwandtes. In Höchstgeschwindigkeit geht’s quasi in jedem Song um alles. Man erinnert sich an betrunkenen Pogo, wütend und gleichzeitig sarkastisch, bissig. Schnell müssen auch die Fans dieses schönen Stücks Musik sein, das Album erscheint physisch in einer limitierten Auflage von 500 Stück. Wenn’s nicht so kapitalistisch wäre, müsste man fast sagen: Wertanlage!


»Probleme« von Piefke erscheint am 26. März 2021 via Bakraufarfita Records.

Meijar – »Meijar«

Meijar © Meijar

Die Hyperventilierenden werden es bestimmt schon festgehalten haben: Grunge ist sowas von wieder da – im Indie-Mainstream (sie nennen es »Slacker-Pop«) ebenso wie im für gewöhnlich etwas stilsichereren Underground: Aus diesem kommen auch die Dresdner Meijar, die erst vor rund einem Jahr ihr Bühnendebüt feierten – schlechter Zeitpunkt irgendwie – und nun ihren ersten Tonträger vorlegen. Roher Post-Grunge trifft auf wütend-brachialen Post-Hardcore, manchmal auch ein bisschen Emo. Die dazu passenden introspektiven und emotional ambivalenten Texte, die fies aus den Lippen gepresst werden, treffen auf Momente der Stille und Einsicht. Die in Eigenregie produzierten acht Stücke ätzen sich auf knapp 30 Minuten in die Gehirnhaut und erzeugen sowohl Gefühle von Beklemmung als auch der epiphanischen Befreiung von der Last des Selbst. Genau so, wie es sich für gute Gitarrenmusik gehört. Auftrag erfüllt!

»Meijar« von Meijar erscheint am 26. März 2021 bei Lala Schallplatten.

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

Peter Muffin – »Dose Scheisse«

(VÖ: 5. Februar 2021)

Nachtrag vom Februar, der nicht vorenthalten werden soll: Die-Nerven-Basser Julian Knoth hat nach acht Jahren wieder unter seinem Pseudonym Peter Muffin im Alleingang veröffentlicht und bietet erneut Lo-Fi-Trash der höchsten Güteklasse: Hits für das Benchmarking der eigenen Homerecordings, mit verrückten Popsongs wie »Die Menschen müssen netter zueinander sein & eig. weniger Fleisch essen« wird genickt, mit Twitter-Star Ilona Hartmann gibt’s auch ein Feature mit besonderer Aufmerksamkeit. Sollte gehabt sein.

Alle Infos gibt’s auf Bandcamp.

Schrottgrenze – »Château Schrottgrenze«

(VÖ: 12. März 2021)

Anlässlich des 15. Geburtstags des Album gewordenen Geniestreichs »Château Schrottgrenze« – unter anderem bekannt geworden durch den wunderbaren Hit für die Ewigkeit namens »Am gleichen Meer« – gibt es einen netten Re-Release auf ansehnlicher Picture Disc. Mit »Zu Staub« gibt es auch ein Stück erstmals auf Platte, das es nicht auf den originalen Release geschafft hat. Ganz anders als das opulente zuletzt erschiene Schrottgrenze-Album »Alles zerpflücken« zeigt diese Rückschau zurückhaltenden Gitarrenpop, der wesentlich zur Entwicklung eines Genres beigetragen hat.

Grauzone – »Grauzone (40 Years Anniversary Edition)«

(VÖ: 26. März 2021)

Wer noch nie »Ich möchte ein Eisbär sein / Im kalten Polar« auf den so genannten 80er-Partys in den Studierendenlokalen dieser Welt gerufen hat, werfe den ersten Knut! Während die Schweizer Gruppe (bzw. ihre einzelnen Bestandteile) nach deren Debüt, das nun anlässlich seines runden Geburtstages wiederveröffentlicht wird, in Richtung Techno und Avantgarde schielte, bleibt das Album frühes Meisterwerk eines Genres, das später als Neue Deutsche Welle verunglimpft wurde.

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