Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Mai 2018

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Jonas Albrecht

Swutscher – »Wilde deutsche Prärie«

Swutscher
© Jonas Albrecht

Beim Saufen kommen die Leute zusammen. Das Beisl als Sehnsuchtsort des gemeinen Bürohengstes, der Absturz als epiphanische Erlösung aus dem Alltag. Sehnsucht und Kneipe ist auch die Menagerie, in der sich die Hamburger Rock’n’Roller Swutscher fast schon sumpfig suhlen. Ebenjener Swamp Rock, Garagenrock, Chanson, Surf-Country und fast alles Artverwandte bilden das Gerüst für das rauschend-fabulöse Debüt »Wilde deutsche Prärie«, das in zehn mal drei Minuten Kirmes um die Welt jagt und rasant zur Ekstase lädt. Wie auf der schon für einiges Bahö sorgenden Vorab-Kassette laden klimperndes Klavier, jagende Gitarren und getränkter Gesang zu Geschichten über die Exzesse des Nachtlebens, ein bisschen Kritik und noch viel mehr Feiereien ein. Da bleiben weder Augen noch Gaumen trocken. In Referenzen gedacht, klingen Swutscher nach Isolation Berlin in besser – mit Label-Kollegen Tobi Bamborschke gibt’s auch ein Feature –, nach Ja, Panik vor der Desillusion, nach trunkenen – aber noch nicht ganz so ausgereiften – Element of Crime. Und viel bessere Vergleiche kann’s ja gar nicht geben. Top-Tipp!

»Wilde deutsche Prärie« von Swutscher erscheint am 25.5.2018 via Staatsakt. Leider keine Österreich-Termine.

 

Les Trucs – »Jardin du Bœuf«

Les Trucs
© Johanna Bieber

Dass das grandiose Label Zeitstrafe in jeder Zeit und sowieso immer alles richtig macht, wird als bekannt vorausgesetzt. Auch der nächste große Schlag gegen die gewöhnlichen Gewohnheiten des Geschmacks der Austauschbaren setzt einige Wirkungsträger. Das Frankfurter Duo Les Trucs, das selbsternannte 2-Mensch-Ding Orchester, das sich 2008 als Band gründete und in nun in ein interdisziplinäres Kunstwerk aus Performance, Theater und Video mündete, setzt da gnadenlos an. Und auch sie rufen mit der dritten Langspielplatte nach »Schönen Gruß vom Getriebe« (2009) und »Musical« (2012) und einigen Theatermusiken wie zuletzt »Der Fleischgarten« zur Schlacht auf. Um die Deutungshoheit über den menschlichen Körpers als musikalisches Happening. »Jardin de Bœuf« ist ein Konzeptalbum über Fleisch und Organe, die den Körper verlassen. Dazu schaffen sie die Figur eines Chirurgen, die jegliche Körperlichkeiten neu definiert, abschneidet und verklebt. Avantgardistische Elektronik und die Ausreizung dessen, was Pop sein könnte, untermalen die dystopischen Gedanken mit der notwendigen, himmelschreienden und umso widersprüchlichen Demut.

»Jardin du Bœuf« von Les Trucs erscheint am 4.5.2018 via Zeitstrafe. Keine Österreich-Termine.

 

Auf – »Getimed«

Auf - Getimet
@ Klangbad

Hype des Monats. Angeblich soll die Gruppe Auf den deutschen Gitarrenrock retten. Nach dem ganz cool benannten EP-Debüt »CD« legt die schwer googlebare Berliner Gruppe ihr Langspiel-Erstwerk vor. Natürlich sind das alles keine echten Debüts, immerhin ist Mastermind, Gitarrenvirtuosin und Sängerin Anne Rolfs bereits seit 25 Jahren prägendes Mitglied der Noise-Szene der Hauptstadt und trug sich mit Wuhling in die Geschichtsbücher des deutschen Rocks ein und führte sie sogar bis zu Steve Albini und Touch and Go Records. Wie weit es für Auf geht, ist unterdessen noch ungeklärt, die melodisch-kraftvolle Klanglandschaft mit treibendem Schlagzeug – Drummer Matthias Brendl trommelte etwa zuletzt für Peaches – und riffigem, freiem Gitarrenspiel ist zwar überzeugend, wirkt mitunter aber wie »in guten alten Zeiten«, etwas altbacken, auch der klassisch-distanziert-coole Gesang kann da wenig retten. Natürlich ist »Getimed« ein gutes Album, ob es den deutschen Gitarrenrock retten kann und ob jener überhaupt zu retten ist und ob er überhaupt gerettet werden muss, ist dagegen sehr offen. Die Tendenz geht dahin, dass man ihn nicht retten muss. Wovor auch.

»Getimed« von Auf erscheint am 4.5.2018 via Klangbad. Keine Österreich-Termine.

 

Lüül & Band – »Fremdenzimmer«

@ Mig

Mal was poppiges und gleichzeitig musikhistorisch spannendes: Lutz Graf-Ulbrich sollte man kennen. Der ehemalige Lebensgefährte einer Popikone – er lebe mit Nico, ja genau, DER Nico in Paris und New York – verdiente sich seine musikalischen Sporen bei den Berliner Hippie-Gruppen Agitation Free und Ashra und begleitete seine Partnerin auch live an der Gitarre. Zuletzt veröffentlichte Lüül mit 17 Hippies einige weltmusikalische Alben. Die Solo-Sachen unter seinem Spitznamen als Künstlernamen sind auf Deutsch gesungene Chansons mit sanften Erzählungen rund um Romantik und Artverwandtes, oft auch humoristisch getextet. Die fast schon obligate Produktion von Moses Schneider macht »Fremdenzimmer« zu einem sommerlichen Pop-Album mit großem Wohlfühlfaktor, hier und da kann man auch bei guter Laune schmunzeln. Ganz ohne, dass man zu viel nachdenken müsse. Und für einen unbeschwerten Sommer kann das durchaus für manche vielleicht das richtige sein.

»Fremdenzimmer« von Lüül & Band erscheint am 11.5.2018 via Mig. Keine Österreich-Termine.

 

Black Heino – »Fear of Black Heino« EP

Black Heino
© John Brömsler

»Heldentum und Idiotie«. Das Debütalbum von Black Heino war 2016 damals ziemlich was besonderes und sorgte auch im gesamten DACH-Raum für gute Kritiken, sogar der »Standard« machte es zum »Album der Woche«. Schnörkelloser Indie-Rock, fast schon Garage, schnell, unaufhaltsam und nie langweilig. Das sind schon einmal gute Voraussetzungen. Dass man erst zwei Jahre später wieder was von den Hamburgern aus Kreuzberg hört, überrascht zwar, macht aber trotzdem Spaß. Die vier Song-starke EP, die als auf 300 Stück limitierte 12“ beim Qualitätslabel Tapete Records erscheint – aber eh auch als Download – offeriert wieder schwarzhumorigen, meist sehr kompakt-knackigen, klassischen Indie-Gitarrenrock mit Nickzwang. Gelegentlich blinzelt die Hammond-Orgel hervor, auch vereinzelte psychedelische Quengeleien drängen sich ins Klangbild, nur um wieder von straightem Schweinerock abgelöst zu werden. Textlich geht’s teilweise durchaus sozialpolitisch zu, vor allem die so genannte Mittelklasse bekommt das Fett ihrer schmalzigen, egoistischen Pseudo-Betroffenheit ab. Davon abgesehen: Man darf ein bisschen hoffen, auf ein baldiges neues Album. Zeit wärs.

»Fear of Black Heino« von Black Heino erscheint am 25.5.2018 via Tapete Records. Keine Österreich-Termine.

 

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT

Rauchen – »Tabakbörse« EP (VÖ: 27.4.2018)

Nachtrag vom April: Wieder Zeitstrafe. Auch die Debüt-EP der sympathischen Hamburger Powerviolence-Gruppe Rauchen, die digital – über Bandcamp zu beziehen – bereits im November erschien und nun von Zeitstrafe als limitierte 12“ erscheint, ist atemlos. In zehn Minuten durch sieben Stücke. Pausenlos durch die Facetten der Konsumkritik, mit gnadenlosem Getexte gegen die Beschissenheit der Leute: «Vom Opfermythos ins Fresskoma/ Dat is Dialektik, wa?«. Wa?

 

Oidorno – »Oi! The EP 7“« (VÖ: 27.4.2018)

Nachtrag vom April: Audiolith ist ja ein bisschen in Vergessenheit geraten, das virale Eigenmarketing bleibt dennoch fast schon für immer. Auch die formidablen Links-Oi!-Punks mit dem noch besseren Namen Oidorno gönnen dem Labelchef eine Hymne: »Oiverräter«. Und auch die anderen fünf Stücke der EP – gibt’s bei Bandcamp zum Download – gehen mit straightem Punk ganz klar nach vorne, sind selbstreflektiert und wütend-tanzbar.

 

Gewürztraminer – »Sau Nice« (VÖ: 18.5.2018)

Die Wiener Gruppe Gewürztraminer hat sich in den letzten Jahren eine breite Fanbasis erspielt und begeistert mit ihrer Mischung aus schneller »Weltmusik«, Reggae, Gypsy Jazz und Balkon Pop auch ein internationales Publikum. Die letzte LP »Tanzverbot« wurde gut besprochen und auch das neue Album »Sau Nice«, das vom Achterl in Ehr’n Hanibal Scheutz produziert wurde, lädt zur freudigen Ekstase. Das ist ganz großes Kino. Vor allem live. Sehr gut!

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