George Floyds Ermordung und die darauffolgende globale BürgerInnenrechtsbewegung haben erneut gezeigt, wie mächtig Protest sein kann. Soziale Bewegungen mobilisieren Massen auf der ganzen Welt und schaffen es immer wieder, große Veränderungen zu bewirken. Dafür reicht es nicht, nur einmal auf die Straße zu gehen. Aktivismus braucht Strategie, Planung und Langfristigkeit, muss sich aber ständig wandeln. Wie gelingt das? Auf der Suche nach dem Rezept für langfristige Veränderung.
Auf die Demo am 4. Juni, auf der Anyanwu ihre vier Minuten und elf Sekunden lange Rede auf dem Wagen hält und es sich nach Revolution anfühlt, folgt eine weitere am Freitag. Danach treffen sich Anyanwu, Ngosso und Hamoudah mit einigen Vereinen, in denen sich Schwarze Menschen in Österreich organisieren. Sie sprechen über den nächsten Schritt, darüber, wer sie als Bewegung sein und was sie bewirken wollen. Gemeinsam gründen sie Black Movement Austria, ein Kollektiv, eine Plattform von Menschen mit afrikanischem Erbe, die das Ziel haben, ihre sozio-politischen und wirtschaftlichen Realitäten in Österreich zu verbessern.
Black Movement Austria möchte sich nicht nur gegen Polizeigewalt engagieren, sondern insgesamt die Lebensbedingungen von BIPOC in Österreich verändern. Dazu fordern sie beispielsweise Reformen in den Bereichen Bildung, Arbeit und Asylrecht. Aktuell arbeite man daran, diese Forderungen möglichst gut transportieren zu können. »Wir wollen vor allem Gesetze ändern, aber auch Anti-Rassismus in die Gesellschaft tragen«, sagt Hamoudah. Er möchte, dass endlich klar ist: Rassismus ist nicht nur, jemandem etwas nachzurufen oder in die Haare zu greifen. Das ist zwar natürlich auch Rassismus, aber nicht das größte Problem. Rassismus ist strukturell, institutionell. »Wir alle sind RassistInnen, in dem Sinne, dass wir in einer rassistischen Gesellschaft aufwachsen. Damit erhalten wir ein System der Ausbeutung«, sagt der 19-Jährige.
Bedrückend und bestärkend
Am 2. Juli findet die erste Demo von Black Movement Austria statt. Etwa 1.500 Menschen kommen, diesmal klappt das Programm, die Reden und die Musik. »Wir wollten mit dieser Demo zeigen, dass wir nicht nur Massen mobilisieren können, sondern dass wir auch Forderungen haben«, sagt Noomi Anyanwu, »es geht uns auch um die Lösungen.« Black Movement Austria fordert Maßnahmen gegen institutionellen Rassismus und Polizeigewalt, bessere Schulungen für BeamtInnen, eine höhere Accountability, endlich eine richtige Aufarbeitung der Fälle. Viele dieser Forderungen haben sie nicht erfunden, sie sind Jahrzehnte oder Jahrhunderte alt. Das stimmt die AktivistInnen manchmal traurig: »Wir kämpfen für dasselbe wie unsere Eltern«, sagt Anyanwu. Aber sie stehen auch auf den Schultern vieler, die vor ihnen protestiert haben, die schon vor ihrer Geburt wollten, was sie fordern. Für Hamoudah ist das bedrückend und bestärkend zugleich. Aber: »Das Momentum ist auf unserer Seite«, sagt er. Um ihre Ziele zu erreichen, möchten die AktivistInnen des Black Movement Austria weiterhin Demos organisieren, aber auch andere demokratische Mittel verwenden. »Wichtig ist uns aber, dass wir parteiunabhängig bleiben«, sagt Anyanwu.
Fridays For Future steht gerade vor ganz anderen Herausforderungen. »Die Frage, die wir uns aktuell stellen, ist: Wie finden wir in Anbetracht von Corona ein Format, das uns Aufmerksamkeit und mediale Präsenz sichert, aber möglichst wenig Risiko mit sich bringt?«, sagt Leo Zirwes. Der 18-Jährige arbeitet in der Strategiegruppe von Fridays For Future. »Wir versuchen jetzt, kleinere, mobile Aktionen zu machen, die uns trotzdem Präsenz geben«, erklärt er. Die Bewegung setzt auf Flashmobs, zehn bis 20 Leute, die plötzlich auf dem Stephansplatz auftauchen und singen – gezielte Aktionen zu besonderen Anlässen. Außerdem mehr und mehr Protestformen im Internet, vor allem international.
Wichtige Fragen neu verhandeln
»Fridays For Future wurde schon zweimal für beendet erklärt«, sagt auch Soziologe Knopp. Das erste Mal im Sommer 2019, man nahm damals an, die jungen Menschen würden die Bewegung über die Sommerferien »vergessen«. Doch die AktivistInnen kamen mit Kontakten in der Politik und neuen Forderungen zurück. Auch, als sich wegen des Coronavirus die Rahmenbedingen veränderten, fand die Bewegung neue Aktionsformen, statt zu verschwinden.
Das liegt auch an beflügelnden Momenten und interner Kultur. Gemeinsam vor der OMV stehen und wütend gegen das Gebäude rufen, auf der Demo mitsingen können, die Sprüche auswendig können, sich auf den Auftritt des Musikers Der traurige Gärtner freuen, der auf fast jedem Streik spielt.
Alle Bewegungen brauchen eine Form der Organisierung. Wie diese aussieht, kann aber sehr unterschiedlich sein. Manche Bewegungen sind quasi-autoritär organisiert, andere versuchen, möglichst ohne Hierarchien auszukommen. »Wir stehen gerade vor der Herausforderung, dass wir relativ schnell zu einer sehr großen Bewegung geworden sind«, sagt die 20-jährige Anna Blomenberg. Auch sie engagiert sich bei Fridays For Future. Für sie ist zentral, dass eine Bewegung möglichst alle integriert und alle sich einbringen können. Es sei sehr wichtig, darauf zu achten, dass es allen in der Bewegung gut geht. Sie selbst nimmt sich immer wieder Auszeiten. »Das ist ein Marathon, kein Sprint«, sagt sie, »das Thema ist einfach viel zu wichtig, um aufzuhören.
Soziale Bewegungen, so Soziologe Knopp stehen immer wieder vor neuen Aushandlungsprozessen: »Es gibt Phasen der Stabilisierung, aber die wichtigen Fragen werden immer wieder neu verhandelt.« Welche Formen eine Bewegung annimmt, ist kaum vorherzusagen, doch immer wieder bringen soziale Bewegungen Organisationen hervor. So folgte die Gründung der ersten Umweltschutzorganisationen auf die Proteste gegen das Atomkraftwerk in Zwentendorf 1979. Richtig Fahrt nahm die erste Umweltbewegung nach den Protesten um die Hainburger Au auf.
Alexander Egit, heute Geschäftsführer von Greenpeace, ist einer jener Studierenden, die 1984 die Hainburger Au besetzten. Bei minus 20 Grad harrten sie in der Au aus und verhinderten letztlich 1984 den Bau des Kraftwerks. Heute ist Hainburg ein Nationalpark. Egit trat in die damals junge Organisation Global 2000 ein und baute sie mit auf. Die beiden österreichischen Umweltorganisationen waren von Anfang an stark vernetzt, nach einigen Jahren wechselte Egit zu Greenpeace. »Es ging uns darum, sich gegen ein mächtiges System, das ohne Widerstand die Natur zerstört, aufzulehnen«, sagt Egit. Dass das jetzt wieder passiert, freue ihn.
Doch was soziale Bewegungen tatsächlich bewirken, das lässt sich wissenschaftlich nur schlecht beschreiben. Das liegt daran, dass sehr viele verschiedene Faktoren soziale Entwicklungen beeinflussen. »Wir können gewisse Einflüsse rekonstruieren, aber nicht vorhersagen«, sagt Philipp Knopp. Black Movement Austria hat es jedenfalls geschafft, dass struktureller institutioneller Rassismus in der ZIB erwähnt wird, hat ihn zumindest für eine Zeit lang zum Thema gemacht. »Das soll so bleiben«, betont Black Movement Austria. »Vielleicht lohnt es sich erst in 30, 40 Jahren«, sagt Mugtaba Hamoudah, »aber es lohnt sich.«
Für Momente wie den folgenden lohne es sich aber auch schon jetzt, findet Hamoudah. Irgendwann während der ersten großen Demo läuft er vom Ende an die Spitze der Demonstration, vorbei an Tausenden Menschen und sieht, wie seine Mutter das Frontbanner mitträgt. »Wir sind am richtigen Weg, wir nehmen uns den Raum, den wir brauchen. Ich war richtig überwältigt«, sagt er. Auf der Bühne stehen eine Freundin von ihm und ihre Schwester, nebeneinander mit erhobener Faust. Derweil läuft »Freedom« von Beyoncé, das Lied des Abends. »Ich dachte so: Oh mein Gott, wenn unsere Vorfahren, die kolonialisiert und ausgebeutet wurden, für irgendetwas gebetet haben, dann für diesen Moment.«
Black Movement Austria ist auf Facebook und Twitter sowie unter @blackmovementaustria auf Instagram zu finden. Termine für die nächsten Demos stehen noch nicht, diese und weitere Infos werden aber über diesen Kanal bekanntgegeben. Der offizielle Instagram-Handle von Fridays For Future in Österreich heißt @fridaysforfuture.at. Demonstrationen und Aktionen finden in etwa wöchentlich statt, im August ist eine internationale Aktion zum Amazonas geplant.
Die Autorin dieses Textes ist in der Klimabewegung aktiv und kennt deshalb einige der ProtagonistInnen in diesem Zusammenhang.