"Ist ja geil! – gilt im Studio nicht mehr"

Nach dem Flop von "Love Junkies" und dem geplatzen Deal mit dem Label Mercury hat sich die Band Naked Lunch ein eigenes Studio aufgebaut. Streit vorprogrammiert. Ein Interview.

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Seit Eurer letzten Platte „Love Junkies“ sind fünf lange Jahre vergangen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Herwig Zamernik: Nach der Veröffentlichung von „Love Junkies“ haben wir ausgiebig getourt. Dann hat es noch eine Weile gebraucht, bis das Album endgültig gefloppt und der Deal mit unserem damaligen Label Mercury geplatzt ist – und wir das auch verdaut haben. Wir haben aber unentwegt weitergemacht: Ich habe mein Studio aufgebaut, wo wir sehr rasch mit der Arbeit für das neue Album begonnen haben. Bis das Album fertig war, hat es ungefähr eineinhalb Jahre gedauert. Dann ist es noch einmal fast eineinhalb Jahre in der Schublade gelegen.

Haben sich durch das eigene Studio die Arbeitsweisen verändert?

Oliver Welter: Die Unabhängigkeit durch das eigene Studio brachte eine grundlegende Veränderung der Produktionsweise. Früher hat im Studio immer die Uhr getickt und wir haben die eingeprobten Songs so schnell wie möglich runtergeklopft. Diesmal hatten wir nur den nackten Song, Stimme und Harmonie. Dann wurde ausprobiert und ausgelotet. Was man jetzt hört, ist das Ergebnis eines sehr mühseligen Prozesses, weil es zum Teil vier, fünf Versionen eines Songs bedurft hat, bis wir zu einem für uns befriedigenden Ergebnis gekommen sind.

Gab es da Streitereien innerhalb der Band?

Herwig Zamernik: Ohne Ende.

Oliver Welter: Es war ein harter Kampf. Jeder musste um jeden Zentimeter kämpfen. Bei jedem Lied. Ein Argument, wie es früher vielleicht einmal eines war, wie „ist ja geil“, hat nicht mehr gegolten.

Wenn Kategorien wie „geil“ oder „klingt gut“ nicht mehr gezählt haben, wo ist dann die Latte für einen Song gelegen?

Herwig Zamernik: Das hat sich immer wieder verschoben. Es hat wenige Konstanten gegeben. Nachdem die Stimmung während der ganzen Produktion immer weiter nach unten gegangen ist, hat sich das Korrektiv auch immer verschoben. Man hat sich von Song zu Song, von Tag zu Tag nicht darauf verlassen können, dass die Entscheidungen genau so wieder getroffen werden.

Oliver Welter: Die Arbeit an der Platte war ein ständiges Hinterfragen. Im Endeffekt war ein entscheidendes Element trotz allem aber dann doch immer wieder die Überzeugung: Ist einfach geil.

Seit dem neuen Album zählt ihr euren Produzenten Olaf Opal zu den fixen Bandmitgliedern: Welche Rolle hat er bei Naked Lunch?

Herwig Zamernik: Es ist nicht so, dass Olaf jetzt mit uns auf Tour fährt oder so. Er war aber der einzige außer uns vieren, der sich wie ein Bandmitglied verhalten hat und mit all seinen Geräten runter nach Klagenfurt gekommen ist und gesagt hat: Machen wir weiter.

Oliver Welter: Im klassischen Sinne ist der Produzent ja das letzte Korrektiv. Bei dieser Platte haben wir das für uns jedoch komplett ad absurdum geführt. Olaf kam in unterschiedlichen Stadien immer wieder. Manchmal waren die Songs zu neunzig Prozent fertig, bevor er sie überhaupt gehört hat. Bei andern war er derjenige, der alles angetrieben hat. Im Endeffekt hat er als vollwertiges Mitglied mit uns entschieden.

Angeblich gab es zahlreiche Reibereien. Die Stimmung soll zusehends den Bach runter gegangen sein …

Herwig Zamernik: Die Stimmung während den Aufnahmen war von Anfang an schlecht. Es hat natürlich kurze Hochs gegeben. Aber der Sog nach unten ist immer stärker geworden.

Wie haben diese Rahmenbedingungen das Album geprägt?

Oliver Welter: Dieses Album spiegelt, glaube ich, mehr denn je in der Geschichte von Naked Lunch die Befindlichkeiten der einzelnen Bandmitglieder wider. Wären die Rahmenbedingungen und das, was uns widerfahren ist durch schmerzhafte Verluste, durch existenzielle Ängste – nur ein Beispiel: Unser Keyboarder Stefan und ich waren wohnungslos – und all dieser Haufen Scheiße, der sich da über uns getürmt hat, nicht gewesen, wäre es ein anderes Album geworden.

War die Musik in dieser Phase etwas, an dem ihr euch festhalten konntet?

Oliver Welter: Ohne dass das jetzt einen therapeutischen Charakter hat: Ja. Es war das Gemeinsame. Wenn es etwas Gutes gab, dann war es die gemeinsame Kasernierung – ohne die Augen zu verschließen vor dem, was draußen passiert. Das Motto war: Lasst uns zusammen an dem Ding arbeiten. Und auch wenn es mir nicht gut geht und wenn es dir nicht gut geht, egal: Wir bündeln unsere Kräfte und es kann etwas entstehen.


Musikalisch gibt es auf „Songs for the Exhausted“ im Vergleich zu „Love Junkies“ und den Platten zuvor andere Akzente: Haben sich eure Einflüsse und Vorlieben geändert?

Oliver Welter: Das Spektrum hat sich schon eröffnet. Mich mit dem Leonard Cohen’schen Songwritertum intensiv zu beschäftigen, ihn wirklich zu entdecken, das war für mich persönlich sehr wichtig in dieser Phase. Aber auch Soul und Country, da vor allem der textliche Zugang. Und dann gab es natürlich Platten, die uns schon nachhaltig beeinflusst haben, weil sie uns einfach erschlagen haben mit ihrer Größe. „The Soft Bulletin“ von den Flaming Lips beispielsweise. Auf die können wir uns alle einigen. Das ist unsere Lieblingsplatte der letzten zehn Jahre.

So wie ihr vom Entstehen eurer neuen Songs erzählt, erinnert das unweigerlich an die letzten Platten von Radiohead oder The Notwist.

Oliver Welter: Die freie Arbeitsweise, die Radiohead ab „Kid A“ praktiziert haben, die hat uns schon extrem beeindruckt. Ich persönlich konnte mit Radiohead anfangs ja nicht so viel anfangen, weil sie mir zu pathetisch waren. Aber anscheinend haben die auch ihre Türen zugemacht und ausgelotet, was geht. Ausprobieren, wie dieses und jenes Gerät funktioniert: Diesen naiven Zugang, diese sehr kindliche Herangehensweise haben wir auch verfolgt.

Mitte der Neunziger seid ihr ausgezogen, um die weite Welt zu erobern. Das neue Album habt ihr letztendlich aber im „Jammertal Klagenfurt“, wie ihr es selbst bezeichnet, aufgenommen. Wie war das für euch, wieder dort zu landen?

Oliver Welter: Wir waren wie Gulliver, der sich auf Reisen begibt, die Welt erkundet – und letztlich wieder nachhause kommt. Wir haben dem Hedonismus dieser Jahre schon gefrönt. Und zwar Rock ’n’ Roll mit allem, was dazu gehört. So haben wir gelebt. Und das war okay. Die vermeintliche Rückkehr in dieses Jammertal war aber der einzige mögliche Weg, diese Platte zu machen.

Wie habt ihr während eurer Zeit beim Major Mercury, der ja eine Tochter von Universal Music ist, das Verhältnis von künstlerischem zu kommerziellem Erfolg erlebt? Habt ihr euch, hat sich das Label mehr erwartet?

Herwig Zamernik: Die Labels erwarten sich immer mehr, sonst würden sie nicht so viel Geld rausschmeißen. Das ist schwierig: Wenn man als Band aus Klagenfurt einen Indie-Deal gehabt hat und plötzlich kommt Mercury daher mit Massen an Geld, schickt dich nach New York, holt dich mit der Limousine ab und karrt dich von einem Fünf-Stern-Hotel ins andere, dann ist man sehr leicht geblendet. Und das waren wir zweifelsohne auch.

Oliver Welter: Wir waren aber trotz allem immer realistischer und haben uns im Stillen gedacht: Das kann ja wirklich nicht deren Ernst sein, dass Naked Lunch jetzt 500.000 Platten verkaufen.

Musstet ihr viele Kompromisse eingehen?

Oliver Welter: Ja, hat’s gegeben. Wir haben de facto viel zu viele Kompromisse gemacht.

Welche zum Beispiel?

Oliver Welter: Wir haben uns einreden lassen, dass Videomensch XY der Beste für uns wäre und dass wir ein Videobudget brauchen, für das du 25 gute kleine Videos drehen könntest. Wir haben den Deal mit Mercury auch deshalb verloren, weil wir irgendwann einmal einen Schlussstrich gezogen und gesagt haben: Nein, wir gehen jetzt keine Kompromisse mehr ein. Etwa als bei „Love Junkies“ wieder die Videofrage aufgetaucht ist und das Label gemeint hat, Götz George solle mitspielen – und wir gefragt haben: Seid ihr wahnsinnig, warum denn?

„Songs for the Exhausted“ ist nun bei Motor Music, also wieder bei einer Universal-Tochter, erschienen. Wie ist es denn dazu gekommen?

Herwig Zamernik: Wir hätten die Platte fast schon selber rausgebracht, weil niemand sie veröffentlichen wollte. Doch dann hat sich Gott sei Dank der Patrick Wagner (Sänger bei Surrogat, Gründer des Labels Kitty-Yo und jetzt bei Motor Music tätig, Anm.) gemeldet. Damit haben wir wirklich nicht mehr gerechnet – und schon gar nicht damit, dass uns noch einmal eine Universal-Firma unter Vertrag nimmt.

Die Platte handelt von Schmerz, Verlust, Trennung, Einsamkeit. Reflektiert das in erster Linie persönliche Erfahrungen?

Oliver Welter: Natürlich. Es ist aber nicht nur ein nach innen gerichteter Blick. Als halbwegs denkender Mensch in dieser Welt, der die Augen ein bisschen geöffnet hat und sieht, was so rund um einen passiert, bedarf es keiner eigenen Erfahrungen. Wir alle haben in den letzten Jahren so viele Menschen getroffen, die orientierungslos sind und Ängste haben, was das Morgen betrifft. Insofern ist das schon auch ein Blick nach außen. Und immer mehr Leute geben uns Recht und sagen: „Schön, dass ihr die Platte Songs für die Erschöpften genannt habt, weil mich erschöpfen die Dinge da draußen auch.“

Im Song „The Deal“ heißt es: „It’s the street we walk together / It’s the way that ends in nowhereland“ und „love is all you need.“ Steckt da ein Schimmer Hoffnung, ein Funke Romantik drinnen?

Oliver Welter: Es war nie als Romantik gedacht – obwohl die Zeile „Love is all you need“ ernst gemeint ist. Das ist ein Manifest, das wir unterschreiben können. Für mich ist dieser Song fatalistischer als alle anderen, weil er Liebe – oder besser: Beziehung – wie ein Geschäft abhandelt: Ich mach dieses, dafür machst du jenes. Und wenn diese abgemachten, unausgesprochenen Deals nicht funktionieren, dann funktioniert auch die Beziehung nicht. Aber Hoffnung gibt’s natürlich. Herwig und ich, wir haben beide kleine Kinder. Und würden wir nicht auch Hoffnung in uns tragen, dann würden wir keine Kinder in diese Welt bringen.

Und zu Thomas Webers Einschätzung zum Album „Songs For The Exhausted“ hier lang.

Holger Fleischmann über die Karrierestationen von Naked Lunch.

Naked Lunch wieder auf Tour. Nähere Infos unter www.nakedlunch.de

Bild(er) © Lukas Beck
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