Kaffee, dann raus hier

Gefühl und Deutsch-Rap waren lange nicht wie Faust und Auge. Casper hat vor zwei Jahren die Nachdenklichkeit salonfähig gemacht. Während dieser heute nur mehr Pop machen will, rettet ausgerechnet ein junger Österreicher das junge Genre: Gerard.

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Im Weinhaus Sittl in Wien trinkt niemand Kaffee. Zumindest nicht um Acht am Abend. Gerald Hoffmann sitzt gerade an einem Ecktisch, in einem roten, ausgewaschenen Shirt und wirkt, auf die nahe Zukunft angesprochen, gelassen. »Blausicht« heißt das Album, mit dem der 26-jährige Welser nicht nur seinen Sound definiert, sondern nebenbei auch ein Genre aus der drohenden Bedeutungslosigkeit reißen wird. Im Mittelpunkt von Gerards Musik steht nämlich Gerald Hoffmann und seine Perspektive auf die Welt, seine Geschichten und seine Einsichten. Ob es für die Charts reicht, kann Gerard nicht abschätzen: »Mich nervt es eher, wenn Musiker sagen, sie schreiben nur für sich, weil es die Ambitionen bremst. Ich habe aber ehrlich gesagt keine Ahnung, wie das alles aufgenommen wird.«

Selbstdarstellung ist im HipHop wahrlich kein neues Rad. Als sich aber vor ein paar Jahren Leute wie Prinz Pi oder Casper irgendwo zwischen Conscious-Rap und Storytelling ansiedelten, dies mit einer atmosphärischen Produktion kombinierten und zu allem Überdruss auch noch Platten verkauften, war die Ratlosigkeit erst einmal groß. Umso größer war dann der Jubel, als ein passendes Namenspickerl gefunden wurde: »Emo- oder Gefühlsrap«.

Und die Unterschiede hätten nicht größer sein können: Der Hang zu Sprachbildern drängt den Sound gefährlich nahe hin zum Pathos, die Gitarre wird entstaubt und überhaupt wird erst einmal ganz viel über sich selbst nachgedacht und gespürt. Der Spott von der Straße ließ nicht lange auf sich warten. Aber spätestens, als sich der Erfolg einstellte und nach denselben Hörern gefischt wurde, musste auch im Plattenbau anerkannt werden, dass Rap jetzt ebenso Gefühl und Gitarre hat.

Schubladenspiele

Auf dem FM4-Frequency Festival in St. Pölten gibt es viele Gitarren. Auch hier wird wenig Kaffee getrunken. Benjamin Griffey sitzt im Backstagebereich und wirkt euphorisch. Kurz danach steht er auf der Hauptbühne vor ein paar tausend Besuchern. Wenn Griffey rappt, heißt er Casper und gilt mit seinem Erfolgsalbum »XOXO« als Speerspitze und Wegbereiter eines Genres, dessen Benennung er lieber anderen überlasst: »Ich finde es immer lustig, wie alle versuchen, mich bei jeder Platte in Schubladen zu stecken. Die Panik der Genrebezeichnung bei ›XOXO‹ war eklatant. Sie haben sich dann auf Emo-Rap eingeschossen. Von mir aus.“ Dass er von vielen als musikalischer Grenzgänger gesehen wird, stört ihn nicht.

»Der, der seit Jahren mit HipHop-Konventionen bricht«, heißt es in der Juice. Eine Erwartungshaltung, die den 31-Jährigen ebenso kalt lässt wie das Kommen und Gehen in seiner Fanbasis: »Das treibt an und motiviert mich. Vor allem, wenn die eine Seite die Rap-Referenzen erwartet, die andere, einen Sound, der über den Tellerrand hinausgeht und dann soll alles auch noch eine gewisse Tiefe haben.« Casper kann aber auch ein bisschen grantiger: »Ärgerlich ist der Opportunismus der Szene. Als ich vor ein bis zwei Jahren mit Röhrenjeans aufgetreten bin, war die Ablehnung groß. Nun schau dir die Rap-Szene jetzt an. Ähnliches gilt für die Musik.«

Mit seinem neuen Album »Hinterland« geht Casper wohl wieder dorthin, wo es den Rap-Puristen wehtut und scherzt mit dem Begriff »Folk-Hop«. Sich selbst steckt der Wahlberliner in eine Schublade, die seiner Größen- und Grenzordnung entspricht: »Irgendwann kam ein Bruch und ich konnte mir eingestehen, dass ich schlichtweg Pop mache. Und das ist ja eigentlich nur im deutschsprachigen Raum negativ besetzt. Natürlich dürfen mich deshalb manche Zielgruppen nicht cool finden, aber ich will in die großen Hallen und den Leuten zeigen, wie cool auch Pop sein kann.«

Farbton

Von den großen Hallen ist Gerard noch ein Stück entfernt, »Blausicht« aber wohl ebensoweit von der Pop-Kiste. Obwohl, nach »Rising Sun« und »Blur« schon sein drittes Album, bezeichnet Gerard »Blausicht« als sein Debüt: »Das eine habe ich mit 16 aufgenommen, das zählt nicht. Beim anderen war ich schon weiter, aber immer noch ziemlich verkopft. Das jetzt wird ein riesiger Schritt dorthin, wo ich hin will. Vor allem auch, weil die Produktionen auf einem anderen Level sind.« Wobei ein Level sicher nicht reicht. Das Album atmet, ist gleichzeitig weich und knackig, massig und präzise. Das Kürzel »MC« streifte er ab, wie ein Relikt aus anderen Tagen oder eine Erinnerung an einen vergangenen Sound. Gerard ist näher an Gerald Hoffmann als Gerard MC und »Blausicht« stellt das eindrucksvoll unter Beweis.

Bild(er) © Fotos: Daniel Gebhart de Koekkoek
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