Nicos Jahresendlisten 2025

Alle Jahre wieder blickt unsere Redaktion auf die popkulturellen Highlights der letzten zwölf Monate zurück. Mit streng subjektivem Blick. Was Nico Rottenbücher aus 2025 besonders in Erinnerung bleiben wird, könnt ihr hier nachlesen.

© Privat

Ungefähr drei Millionen Schritte, über Hundert Kugeln Eis, unendlich Bildschirmzeit – was ein Jahr! Während diesen Schritten, Eiskugeln oder Stunden vorm Screen habe ich wohl die meiste Zeit Musik gehört. Außerdem verbringe ich die restliche Zeit damit, meinen Liebsten ungefragt Songs oder Alben zu empfehlen. Beim Auswählen der Kategorien war es deshalb eine naturgemäße Fügung die Top 10 meiner Lieblingsalben und die Top 5 meiner Lieblingslyrics zu listen. Außerdem lohnt sich ein Blick in die »Auch nicht schlecht«-Sparte für Odysseen und weitere Absurditäten, an die ich öfter denke als notwendig.

Top 10 Alben des Jahres

10. Lena & Linus »Wir verglühen«

Lena & Linus sind auf Albumlänge zu hören und der Indie-Softboy in mir freut sich etwas mehr, als er zumeist zugeben möchte. Geprägt von einer gewissen Traurigkeit kreiert das Duo Songs über Beziehungen (»Clairo auf der Couch«), das Zulassen vom Vermissen (»Mein Dad«) oder der Geborgenheit sich nicht allein zu fühlen (»Fenster zum Hof«). Zum Abschluss singen L&L am Titeltrack »Wir verglühen« über Kindheitserinnerungen: »Papa parkt und trägt mich rein, dass ich nicht schlaf hat er gesehen / Und Mama schreibt mich wieder krank, wenn ich zu traurig bin«. Manchmal braucht man eben ein kitschiges »Die Zeit verfliegt und wir verglühen«.

9. Fatoni, Edgar Wasser, Juse Ju »Bawrs«

Auf »Bawrs« bündeln Juse Ju, Edgar Wasser und Fatoni ihre Vibes in gemeinsamen Songs und demonstrieren doppeldeutig sowie mit einfallsreichen Wortspielen, warum der Begriff Untergrund schon lange nur mehr Gimmick ist und wie sich ihr jeweiliger »Bullshit Freestyle« anhört. Textzeilen wie »Irgendwann sterb’ ich am Herzinfakt, so wie ein echter Mann / Doch bis dahin zahl ich meine Miete mit Sprechgesang, als wär ich Westside Gunn« bringen mir meine – zwischenzeitlich abgeflachte – Deutschrap-Liebe zurück. In den überzeichneten Lyrics werden allerdings leider auch immer wieder sexistische Worte benutzt, was dem Album insgesamt einen komischen Beigeschmack gibt.

8. Nenda »Krrra«

Nendas Erstlingsalbum ist eines, das es in sich hat – aufregende Flows, das Austesten der Genregrenzen gezeigt in Songs über Trauma, Rassismus oder Liebe. Der Titeltrack begibt sich in einen Gegenangriff auf diejenigen, die rassistische Diskurse anheizen. Als Krampus macht sich Nenda auf den Weg mächtig aufzuräumen: »So groß aufpluaschtan macht denen dann Angscht / Wenn du was du hergibsch a zurückverlangsch«. Der charmante Mix aus Tirolerisch und Englisch funktioniert ausgezeichnet. Neben den zwei Indieausflügen »Stellar« und »Runaway« sticht der Song »Mountain Goat« hervor. Hierauf macht Nenda das Hin und Her zwischen Wien und Tirol und die rassistischen Erfahrungen im ländlichen Gebiet zum Thema. Eher erzählende Strophen münden in einem überdrehten Refrain, der der komplexen Beziehung zur eigenen Identität Ausdruck verleiht.

7. Men I Trust »Equus Asinus«

Die Lofi-Indieband Men I Trust verwöhnt die Fans dieses Jahr, neben »Equus Asinus« kommt kurz danach auch noch »Equus Caballus« heraus. Zwei zeitgleich entstandene Alben mit unterschiedlichen Energien. Auf dem ersten dieser Releases wagt sich das Trio in für sie neuere Gefilde. Statt einem strengen Beharren auf Indieursprünge hören wir hier Folksongs mit düsteren Countryelementen. FM4 bezeichnet einige Songs passenderweise als »an verstaubte Filmsoundtracks« erinnernd. Mein persönlicher Favorit des Albums »The Landkeeper« hat einen Klang, der sich so französisch anhört, dass die kanadische Herkunft kaum verleugnet werden kann. Mit der sanftesten Stimme singt Emmanuelle Proulx: »I found myself, at home away from home / This soil, both far and known / The sun intones as life and death goes on / The ground I thread around«.

6. Blond »Ich träum doch nur von Liebe«

Das live powervollste deutschsprachige Trio ist zurück mit voller Nonchalance und raffiniertem Witz. Johann singt einen ironischen Song darüber das männliche »Bare Minimum« zu sein, die Klitoris bekommt ihren großen Auftritt in »Ich wär so gern gelenkiger«. Zwei Lieder spielen mit den Zeiten des Überkonsums und steigenden Preisen: »Girl Boss feat. Alice Go (Dream Wife)« führt Pinkwashing ad absurdum, auf »SB-Kassen Lover« bekommen wir eine Kampfsong für alle stabilen Ladendieb*innen. Mit lauten Gitarren und überironischen Elementen machen Blond klar, wieso sie eine der wichtigsten Bands Deutschlands sind. Viel Kritik wird überspitzt angebracht und dadurch noch treffender: Sie halten Finger in Wunden und sind dabei bekanntlich lustig wie wenig andere.

5. Power Plush »Love Language«

Die Musik von Power Plush gleicht einer warmen Umarmung. Dieses Jahr schenken sie uns ihr zweites Album »Love Language« voller Ausprägungen der Liebe und den Wirrungen dahinter. Auf einem Match-made-in-Heaven-Feature mit Shelter Boy ist auch verschwendete Zeit wertvoll, »Crush« handelt von queer awakenings, »Date Me Once« zeigt die Unsicherheit einer Kennenlernphase. Die Plushies nehmen auf »Love Language« ihre bisher bekannte Basis, ein musikalischer Ort für Sicherheit zu sein, und schaffen diesen auf ganze eigene Art und Weise neu. Die Songs auf diesem heiß erwarteten Release zeichnen sich durch eine intensive Schaffensphase aus und dadurch, dass eine kleine Band sich nicht nur stilistisch, sondern auch auf ihren jeweiligen Instrumenten weiterentwickelt.

4. Yukno »Gute Nachtmusik«

Was macht Indiepop mit elektronischer Tanzmusik? Die Antwort ist: ein wunderbares neues Yukno-Album! Zwischendurch hört sich das Album an, als wäre man spätnachts in einem Club gelandet (»Am Ende vom Feed«), ein anderes Mal, als hätte man das Prachtexemplar eines Indiesongs, der sich mit dem Verstreichen der perfekten Momente beschäftigt, ergattert (»Die Sekunden«). Textlich schwanken die Brüder zwischen Aneinanderreihungen der Moderne (»In einer Postdemokratie auf der Clubtoilette zieh’n«) und dem Wohlgefühl, das in dieser kalten Moderne oft zu kurz kommt (»Ich brauch’ nur eine kleine Nachtmusik / Jemand dem ich heut’ noch in den Armen lieg’«). Das Duo schafft auf zwölf Songs das Versprechen des Titels einzulösen – egal welcher Interpretationslinie man da folgt: »Gute Nachtmusik« kann durch eine durchtanzte Nacht tragen, beim Alleinsein Wärme spenden oder auch das Helle in allem Dunkel hervorheben.

3. Luis Ake »Ehrenvoll, Luis Ake«

Luis Ake, Kunstfigur und Künstler, wird noch immer zu oft nur als die Figur, die er mimt, wahrgenommen. Viel zu selten reden wir über die Kunst dahinter. Auf Liebesliedern wie »Zu viel Erwartet« und »Living in Wien« erzeugt er große Gefühle mit Elektropop. Das Album dauert nur knapp über zwanzig Minuten und hat hochkarätige Features. In »Seismograph« harmoniert Luis Akes Stimme eindrucksvoll mit dem Duo Tränen, wohingegen sie beim Abschluss »Schlag im Notfall die Scheibe ein« markant mit dem Gast Faber kontrastiert wird. Ein derart kurzes Album hört man schnell. Wenn man nicht aufpasst, entgleitet es. Die Kompaktheit dieses nuancierten Popalbums schickt uns jedoch in den ewigen Loop. Fabers Stimme ist die letzte, die man hört – sie ist ein Reset. Nach dem Ende des letzten Songs, muss man direkt wieder von vorne beginnen.

2. Wet Leg »Moisturizer«

Die Fallhöhe bei einem Album voller kitschiger Lovesongs ist hoch, doch Wet Leg meistert diese Herausforderung spielerisch. Die Band liefert Lieder, die einen bekannten Archetyp benutzen und diesen so erfrischend wie queer neu beleben. »Hello, 999 / What’s your emergency? / Well, the thing is / I I I I I I’m in love« aus dem Opener »CPR« zeigt den träumerischen Ausnahmezustand der Songs. Doch Wet Leg kann nicht nur süß, sondern auch ordentlich sauer. Auf Songs wie »Catch These Fists« oder »Mangetout« fliegen auch mal Beschimpfungen und metaphorische Fäuste gegen nervige Männer im Club oder Leute, die einem das Licht nehmen. Ein spätes Highlight ist einer der wenigen ruhigeren Songs »11:21«, wo Zeilen wie »It’s not like the moon forgets to shine when I’m not with you / But it feels like it just might« die alles überstrahlende Verliebtheit des Albums auf den Punkt bringen. »Moisturizer« von Wet Leg ist eines der Alben des Jahres, egal ob verliebt oder nicht.

1. Pauls Jets »Morgen sind wir Fantasy«

 »Alles stürzt ein« heißt es auf »Pompeji«. Vielleicht trifft mich dieses Album so sehr, weil es Gen-Z-Träume so ungeschönt verwirklicht. Live müssen alle Instrumente in einen Koffer passen, auf den Songs geht es um die Müdigkeit gegenüber des dauerhaften Medienkonsums, das Vermissen von Gefühlen und Menschen. Doch auch das Zu-viel-Fühlen kommt nicht zu kurz. Das Dima-Braune-Feature »Smash« durchlebt im Jugendwort eine durchzechte Nacht. Das Album hört sich an, wie eines von jungen Menschen, die gleichzeitig schon alles erlebt haben – eine Generation der Erschöpfung. Die Überdrehtheit einiger Lieder wird durch die Resignation auf der anderen Seite auf eine Art konterkariert, sodass schwer zu beschreiben ist, wieso »Morgen sind wir Fantasy« so speziell ist. Vielleicht ist es die hedonistische Leichtsinnigkeit von jemandem, der schon aufgegeben hat. Vielleicht ist es ein delusional Optimismus, um sich an etwas festhalten zu können.

Auf der nächsten Seite: Die Top 5 Lyrics des Jahres.

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