Niemand bleibt hier gerne

Tod, Leid und Trauer. Die Fotokünstlerin Linda Reif gibt in ihrer neuesten Bildern tiefe Einblicke über Jerusalem preis und offenbart zugleich vergangene Gräueltaten, eine abstrakte Topographie der Hölle. Stefanie Honeder berichtet darüber.

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Man könnte sich doch irgendwie fragen, wieso es ein Landstück in Jerusalem gibt, wo sozusagen Frieden herrscht, weil eben keiner hingeht. Es gibt ein Tal, das die Altstadtmauern von Jerusalem umgibt, wo gerade noch das Kino, die „Cinematheque“ der letzte einordbare Ort ist. Was dahinter liegt, ist quasi „Niemandsland“. Ein Tal diente sozusagen als Schutz vor Angriffen. Oder: Ein Tal kann als Ort funktionieren, wo Dinge passieren können, die im Stadtzentrum lieber nicht gesehen werden.

Linda Reif’s neueste Arbeit, die ich vor kurzem entdeckt habe, heißt "Valley Of Hinnom". Das Mystische hat sie an diesem Ort interessiert. Sie hat diesen Un-Ort, eine Landschaft, diese tiefe schmale Schlucht am Fuße der Altstadt-Mauer von Jerusalem fotografiert. Der abstrakte fotografische Ansatz zieht sich immer wieder durch Linda Reif’s experimentelle fotografische Arbeit.

Für diese Fotoserie hat sich abgelaufene SW-Filme verwendet, welche mehr oder weniger unscharfe schwarz-weiß Felder, Formen, Strukturen, vielleicht Vibrationen und visuelle abstrakte Landschaften zeigen. Das romantische Landschaftsfoto ist hier auf den Kopf gestellt. Es ist als ob der Tod sich selbst aus der SW Fotoserie „Valley Of Hinnom“ heraus entwickeln würde, oder als ob er gerade erst heraufbeschworen wurde und Linda Reif sich auflösende Spuren des Todesprozesses eingefangen hätte.

Einen Ort für blutige Bestrafungen, eine Topographie der Hölle und des Todes hat Linda Reif hier fotografiert. Ist es der Teufel, dem man persönlich in die Augen schaut, ein Totenschädel, oder doch bloß zwei Höhlen in Felsformationen, welche man auf einem Bild der Serie sieht.

Im "Mordtal" wurden u.a. im Heidentum der Gottheit Moloch Kinder geopfert, ergaben Linda Reif’s Recherchen. Es ist immer wieder schockierend, zu welchen Gräueltaten mancher menschliche Glaube und Überzeugungen schon immer geführt hat. Eigentlich will man es tatsächlich nicht ganz genau wissen, was sich so abgespielt hat an diesem Ort.

Ironische Ruhe

Es scheint geradezu, als ob sich in diesem Tal wirklich keiner mehr trotz Siedlungsproblemen hinbewegen möchte. Ironie herrscht hier in diesem Tal in Jerusalem, wo Jahrtausende später ein Ruhe-Platz für quasi einen persönlichen Rückzug und Stille entstanden ist, wo rundherum "Siedlungs-Krieg" herrscht. "Valley Of Hinnom" ist ein Ort, wo lieber keiner mehr hingeht.

Es ist unheimlich, was Geschichte hinterlassen kann und was auch Jahrhunderte und Jahrtausende immer noch spürbar ist. Das Ermorden und Opfern von Kindern als Kommunikationsmittel 2014 oder als heidnisches Ritual damals, scheint etwas zu beschreiben, was Erwachsene nicht aussprechen können. Irgendwo da drüben, auf der anderen Seite weit weg von "Valley Of Hinnom" steht eine graue Mauer, auf der Aide Arafah (Künstler und Aktivist), die Namen der Kinder geschrieben und verewigt hat, die während dem Massaker im Juli im Jahr 2014 in Palästina umgekommen sind.

Alles, was in einem mystischen unausgesprochenen Rahmen bleibt und keinen Weg zur bewussten Diskussion und Auseinandersetzung findet, ist jedenfalls ein entsetzlich traumatischer, der seine Spuren in der Geschichte immer wieder hinterlässt.

Mehr Arbeiten der Künstlerin Linda Reif finden sich auf: www.lindareif.com

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