In einem Lager in Graz rücken Kunst und Politik ganz nahe aneinander. »Truth Is Concrete« heißt das Projekt des Steririschen Herbsts, das Fragen zur Gemeinschaft nicht nur stellt, sondern in einem gemeinsamen 24/7-Marathon-Camp erprobt.
Manche mögen beim Wort »Camp« schon die Augen verdrehen, auch nach all den widersprüchlichen Reaktionen über das Occupy-Camp auf der diesjährigen Berlin Biennale. Ist das wieder nur eine weitere Kunstveranstaltung, die versucht, sich mit Hilfe von Aktivisten von dem neoliberalen Beigeschmack der Zeitkunst zu befreien? Die versucht, ihre Krise zu entfesseln, um so wie in den 60er Jahren wieder einmal so richtig politisch zu sein – und das noch dazu im gemeinsamen Tipi-Zeltlager?
Auf der heurigen Berlin Biennale wurde das dortige Camp als Menschenzoo kritisiert, die echten Occupy-Zelte auf der weltweit größten Kunstausstellung, der Documenta 13 in Kassel, wurden einfach in den Betrieb integriert. Doch man kann Entwarnung geben: Die Macher von »Truth Is Concrete« wollen nicht bloß politisch sein, sondern auf einer konkreten Basis aufbauen und damit den richtigen Nährboden bieten. Sie scheinen dabei keinerlei utopische oder anarchistische Absichten zu haben. Na puh.
Bye bye Utopia
So hieß vor zwei Jahren eine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. Ein Architekten-Netzwerk verabschiedete sich da von den Bildern und Entwürfen einer besseren Gesellschaft. Das gleiche Team, Raumlabor Berlin, setzt nun die Arbeit in Graz für den Steirischen Herbst fort. Dabei dienen die Wünsche der Stadtbewohner, mal auch Brachflächen oder wie jetzt ein Boot-Camp für politische Kunst als Ausgangspunkt für ihr weites Experimentierfeld. Plätze werden erobert, Orte alternativ genutzt. Die Projekte sind deshalb nicht bloße architektonische Hüllen, sondern immer auch lebendige Orte.
Dabei zeigt sich bereits ein erster wesentlicher Zug von »Truth Is Concrete«. Das Festival schlägt sein Fundament als professionelles Labor in den Boden. Concrete – das heißt im Englischen manchmal eben auch Beton. Zwei Gebäude und eine Terassenfläche dazwischen werden bespielt und gestaltet. Selbst wenn man dabei innerlich immer ein bisschen Zeltnomade bleibt.
Neben dem Raumlabor wurden rund 150 internationale Aktivisten, Wissenschaftler und Künstler nach Graz eingeladen (u.a. Diedrich Diederichsen, Mariam Ghani, Oliver Marchart und Gerald Raunig). Aktuelle Debatten und Geschehnisse wie der Arabische Frühling, die Occupy-Bewegung oder Syrien sollen Tag und Nacht zum Thema gemacht werden. Soll also Kunst ein soziales oder politisches Werkzeug sein, kann sie nützlich sein? Die Frage nach dem Politischen der Kunst ist nicht neu.
In der Nachkriegszeit erprobten Künstler schon solche Strategien, das Publikum einzubinden und sie aktiv werden zu lassen. Das Musikstück des amerikanischen Komponisten John Cage »4´33“« ist beispielhaft und gilt als Vorläufer für spätere Konzepte der Aktivierung des Publikums. Für eine Zeitdauer von vier Minuten und 33 Sekunden wurde kein Ton gespielt. Das ganze Publikum des Konzertsaals wurde zu Mitwirkenden eines Musikstücks. Deren Rascheln und Husten wurde zum Klang des Stücks. Der Hörende wird zum Ausführenden.
Get down and talk together
Und solche Aktivierung via Kunst wurde immer wieder für letztlich politische Zwecke genützt. Galt es in den 60er Jahren das Publikum zu aktivieren und politisch zu mobilisieren, so geht es heute um etwas andere Inhalte. Viele Künstler, die sich mit politischen Themen beschäftigen, wollen sich ihrer politischen Aufgabe bewusst werden. Die eigene Rolle wird hinterfragt: »In einer Zeit, in der sich Künstler – ob in Kairo, an der Wall Street, in Moskau oder Athen – sehr konkret die Frage stellen, welche Rolle sie als Künstler in den (politischen) Bewegungen haben, in denen sie auch engagiert sind, muss die Frage nach deren Positionierung und Beteiligung vielleicht ganz neu behandelt werden«, meint etwa Festivalkurator Florian Malzacher.
»Ob Kunst nützlich sein kann und soll, das ist natürlich eine provokante Frage. Vielleicht ist es also mal wieder Zeit für einen Paradigmenwechsel.« Gäste, Künstler und Freunde aus Ungarn, Spanien, Syrien, Griechenland, den USA und Japan sollen in Graz dazu beitragen, den Rockzipfel dieser Veränderung zu ergreifen. Die Suche nach der Wahrheit, so schwer einem das Wort auch über die Lippen kommt, soll mit oder ohne Tipi-Zelt, mit oder ohne Tanzschuhen beginnen – quasi in einem offenen Marathon. »Truth Is Concrete« heißt die Devise. Sie soll, wie schon damals Berthold Brecht im dänischen Exil, von dem der Titel stammt, als Stirnlampe zur Wahrheit dienen.
Ein grünes Gegenstück zum Beton gibt es dann auch noch: den »Garden of biological disobedience« von Katherine Bell. Pflanzen, Pilze und Insekten wuchern in ihrer eigenen Existenz. Bell legt Mikrosysteme an, in denen sie beispielsweise den Wirkstoff Mycelium von Pilzen als natürliche Wasserfilteranlage nutzt. In Graz wird die Künstlerin einen ganzen Garten gestalten, der ebenso wie »The Camp« als Spielstätte dienen wird. Ökologische und ethische Fragestellungen werden hier durch die besondere Art der Gartengestaltung besonders thematisiert. Na, wenn damit schlussendlich nicht die Grenze zwischen Kunst und Praxis aufgehoben ist. Und das alles bei freiem Eintritt!
Steirischer Herbst
»Truth Is Concrete« – 21.–28. September 2012
Der Steirische Herbst, das Festival neuer Kunst in Graz, ist eine Plattform, die »ästhetische Positionen« der Gegenwartskunst mit »theoretischem Diskurs« zu verknüpfen sucht. Unter dem Titel »Truth Is Concrete« wird im September sieben Tage lang ein Camp als Festivalzentrum genutzt. Künstler, Aktivisten, Wissenschaftler und Interessierte sind eingeladen, vor Ort mitzuwirken. Gemeinsam sollen Fragen zu Möglichkeiten der Kunst, deren Wirkungsmacht und deren Stellenwert in aktuellen politischen Debatten untersucht und vorangetrieben werden.
In Form eines gemeinsamen Schlaf- und Lebensraums soll den Teilnehmenden die Möglichkeit gegeben werden, jederzeit Tag und Nacht dem Projekt beizuwohnen. Das umfasst etwa »The Camp« von Raumlabor Berlin, den „Garden of biological disobedience“ von Katherine Ball, die Bibliothek »Camp Library« von The Piracy Project, ein Videoarchiv, die Radiostation »Studio 24/7« von Radio Helsinki 92,6 und sogar einen Friseur als »Mobile Salon« von The HairCut Before The Party. Einen Hundespielplatz wie auf der Documenta 13 wird es nicht geben.