Zwar nicht heimlich, aber doch recht still hat der ORF Ende November seine neue digitale Plattform Topos gestartet. Unter topos.orf.at finden sich Beiträge aus Kunst, Kultur, Religion und Wissenschaft in einem bunten Medienmix aus Text, Bild, Video und Ton. Gerald Heidegger ist Chef dieses neuen Angebots. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was uns auf der Plattform erwartet, wen er ansprechen will und welchen Platz er für Topos in der österreichischen Medienlandschaft sieht.
Magst du einen Pitch für Topos machen? Warum sollten unsere Leser*innen auf topos.orf.at schauen? Was bringt ihnen das?
Gerald Heidegger: Auf Topos zu schauen lohnt sich, weil man genau das dort entdeckt, womit man nicht gerechnet hat und das einen begeistert. Ich halte es für eine Plattform für Entdeckungen, für genau das, was ich nicht auf dem Schirm hatte. Es ist manchmal fancy, manchmal ernst, manchmal abgründig.
Vielleicht ein unbequemes Wort: Zielgruppe. Für wen ist Topos?
Nein! Ein schönes Wort. Alle! Ich finde, Topos ist für alle. Dadurch, dass wir sagen, wir sind neu und anders, richten wir uns schon dezidiert an ein jüngeres Publikum, aber wir wollen ganz verschiedene Identities rund um Topos haben. Die sollen alle ihre Insel auf der Plattform finden. Vielleicht haben sie nicht mit allem etwas zu tun, aber sie entdecken immer was. Das Ziel ist es, niederschwellig gute Qualität zu schaffen und so mehr Leute zu erreichen. Wenn man heute Ö1 hört, kann man großartige Sachen niederschwellig entdecken. Ich glaube, bei uns ist die Essenz ähnlich, mit ausgestreckter Hand.
Was genau ist die Rolle von Popkultur bei Topos?
Popkultur heißt für mich einmal Öffnung, heißt einen breiteren und die Eintrittsbarrieren senkenden Zugang zu Themen. Leichtfüßiger zu sein und auch die Leute mit hereinzuholen, die wir nicht notwendigerweise haben. Popkultur heißt für mich auch, die Disziplingrenzen runterreißen. Auf Topos dürfen wir ja nichts als Kultur, Wissenschaft oder Religion kategorisieren. Aber in Wahrheit ist das gut, weil wir damit nicht mehr schubladisieren. Viele Dinge spielen sich nicht entweder in der Wissenschaft oder in der Kultur oder in der Religion ab. Für mich ist Popkultur ein Scharnier, um Vorhänge runterzureißen, anders auf unsere Umwelt zu schauen und herauszufinden, wie eine atomisierte Gesellschaft wieder zusammenfinden kann.
Wie siehst du die Rolle von Topos in der österreichischen Kulturmedien-Landschaft?
Ich möchte schon das Signal aussenden, mit Topos auch für andere Medien offen zu sein. Wir wollen Topos insgesamt als Produkt für einen österreichischen Medienstandort sehen. Als öffentlich-rechtliches Medium zahlen wir in so ein Projekt ja mehr ein als wir rauskriegen. Einerseits ist das eine Investition in unsere eigene Veränderung und andererseits, um ein genuin österreichisches Medium zu etablieren, das nicht in einer breiteren Landschaft wie Funk und Co untergeht.
Weil du gerade Funk erwähnt hast: Wo siehst du da Unterschiede und Überschneidungen zu Topos?
Man kann sicher sehr viel lernen von Funk, gerade bei neuen Video-Erzählformaten und Serienformaten. Ich sehe den wesentlichen Unterschied darin, dass wir nicht so viel an Produktionsprojekten auslagern, sondern das Know-how eher im Haus halten wollen. Wir arbeiten auch mit Produktionsfirmen zusammen, halten aber von der Produktion mehr in der eigenen Hand. Die neuen Erkenntnisse aus Topos gehen dann auch direkt wieder ins Haus zurück. Funk hat als Marke den Auftrag, sich ganz woanders hineinzubewegen. Funk ist außerdem sicher noch viel mehr auf ein junges Zielpublikum zugeschnitten als Topos.
Was sind heuer die Pläne für Topos?
Der Plan ist einmal, Topos zu konsolidieren. Wir sind mit Topos rasch rausgegangen, weil wir vor allen Mediengesetz-Debatten das genehmigte Produkt in der Landschaft haben wollten. Jetzt ist die Konsolidierung, Verbesserung und Absicherung von Topos wichtig. Und dann muss man schauen, dass wir so was wie eine unverwechselbare Handschrift kriegen. Wir haben bei Topos noch nicht festgelegt, was genau wir sind, sondern wir sind noch ein bisschen kunterbunt. Und vielleicht wollen wir das auch bleiben. Dass in einem ORF-Produkt das Nutzungsverhalten ein bisschen eine Abenteuerreise ist, halte ich für keinen Nachteil.
Eine etwas spekulative Frage: Falls für den ORF die Einschränkungen für Online-Inhalte fallen sollten, wohin könnte diese Reise dann gehen?
Topos hat für uns im Moment eine passende Genehmigung. Ich fände wichtig, dass wir auch auf Drittplattformen sein können. Für uns als ORF insgesamt ist natürlich wichtig, ein Mediengesetz zu haben, das mit der Medienwirklichkeit zu tun hat. Wir hinken in allem der Realität hinterher. Aber grundsätzlich ist mein Wunsch, dass wir die guten, großen Geschichten im Land identifizieren und konstruktiv darüber berichten. Ich habe in Österreich manchmal das Gefühl, die Medien sind übel gelaunt. Es muss in der ganzen Szene ein anderer Mut her. Es braucht mehr gut gelaunte Medien.
Wie geht ihr mit den Herausforderungen einer digitalen Medienlandschaft um?
Als ORF müssen wir die Gesellschaft davon überzeugen, dass wir schon lange die Entwicklung dieses Landes begleiten. Es ist heute nicht mehr selbstverständlich, dass Leute für Abonnements oder Content zahlen. Neben den Drittplattformen brauchen wir als österreichische Gesellschaft dann aber auch offene Angebote, um die Leute in der österreichischen Medienlandschaft zu halten. Ich glaube, in der jetzigen Mediendebatte wird das viel zu wenig gesehen, weil das noch immer eine Medienüberlebensdebatte aus den 90ern ist.
Du hast in der Vergangenheit von Topos als etwas gesprochen, das Gesellschafts- und Empathiebildung bringen kann. Wie genau meinst du das?
Wenn Medien in einer Gesellschaft nicht Empathie erzeugen, dann haben sie ihre Grundfunktion aufgegeben. Auf Topos hast du die Chance, deine Insel zu finden und von dort dann auf die Nachbarinseln zu schauen. Topos sagt nicht: »Habt’s euch alle lieb.« Aber es sagt: »Live your identity und schau mal rüber zu anderen Identities und rede mit denen.« Das ist, glaube ich, der Sinn von Medien. Unser Anspruch als öffentlich-rechtliche Plattform ist schon, der Kitt in einer Gesellschaft zu sein. Nicht das Schmalz, aber der Kitt. Nur Medien können es schaffen, dass diese vereinzelten Inseln wieder mehr in Kontakt kommen. Deshalb heißt es auch Topos. Ich finde mein Thema am richtigen Ort. Aber ich komme auch an Orte, mit denen ich nicht gerechnet habe.
Die Serie »Straussmania« auf Topos beleuchtet, warum das Biedermeier nicht ganz so bieder war, das Erzählformat »Die doppelte Frau« gibt einen Einblick ins Österreich der 40er und »Archive des Schreibens« präsentiert kontinuierlich neue österreichische Autor*innen. All das und mehr zu finden auf topos.orf.at.