Peter van der Unterwelt – der Mann, den man im Keller trifft
Seit mehr als 20 Jahren schleicht Peter Ryborz aka Peter van der Unterwelt nach Einbruch der Dunkelheit durch Wiens Keller, erkundet Tunnel und verlassene Räume. Außerdem veranstaltet er Führungen durch den Untergrund. Ganz einfach ist das nicht, denn die Hausverwaltung ist nicht immer auf seiner Seite.
von Susanne Garber, Elisabeth Hofer„Runter!“ ruft Peter in die kleine Runde, die sich an einem kalten, nebligen Winterabend vor dem Stephansdom getroffen hat. „Runter!“ antwortet die Runde im Chor und leert die Schnapsgläser, die Peter zuvor gefüllt hat. „Kanalrattenschnaps“ nennt er das Gesöff. Es soll die Teilnehmer seiner Untergrund-Tour davor beschützen, vom Ungeziefer in den Tiefen der Wiener Keller angenagt zu werden. Na, wenns hilft…
Der Schatz down under
Der Guide selbst hat seine langen Haare zusammengebunden, ein buntes Tuch ist um den Hals geschlungen, ein anderes Tuch trägt er auf dem Kopf. „Unterwelt.at“ steht darauf. Über die Jahre ist die Kopfbedeckung zu Peters Markenzeichen geworden, denn der 55-Jährige veranstaltet nicht nur wöchentliche Keller-Führungen, sondern ist auch Gründer und Obmann des Vereins zur Pflege der Wiener Unterwelt. Unter seinem echten Namen, Peter Ryborz, kennt man ihn kaum. Seit Jahren firmiert er unter einer Art Künstlernamen: Peter van der Unterwelt. „Unter dieser Stadt verbirg sich ein Schatz“, ist er überzeugt. „Aber keiner weiß das.“
1000 und eine Kanalanekdote
Mit der kleinen Gruppe an Menschen, die an der Führung teilnehmen, schlägt er so unauffällig wie es ihm eben möglich ist, den Weg in eine weniger bevölkerte Gasse des Ersten Bezirks ein. Dort öffnet er unter enormer Kraftanstrengung ein Kanalgitter. Dunkelheit und eine Treppe, die unendlich in die Tiefe zu führen scheint, werden sichtbar. Hinabsteigen darf man nicht, denn abhängig von der Wetterlage droht in den schmalen Gängen der Kanalisation Lebensgefahr. Um die Jahrhundertwende wären sie dennoch immer wieder von Menschen bewohnt worden, die mit dem Herausfischen von Gegenständen aus den Abwässern ihren Lebensunterhalt verdienten, weiß Peter. Auch die Kriminellen der Stadt hätten den Kanal ausgenutzt. Eine Bande wäre beispielsweise kurzerhand per Schlauchboot über die Kanalisation geflüchtet, nachdem sie einen Juwelier ausgeraubt hatte. Peter kennt gefühlte 1000 Anekdoten über die Wiener Kanalisation – und noch mehr über Keller, denen er den Hauptteil seiner Reise in den Untergrund widmet.
Expedition Unterwelt
Bis zu vier Stockwerke geht es unter einem Teil der Häuser in der Inneren Stadt ins Erdreich hinunter. Die meisten Räume stehen leer. Da und dort findet man ein längst vermodertes Möbelstück in einer Eck oder hängt ein museumsreifer Tennisschläger an der Wand. An einigen Orten haben Bauarbeiter ihre Spuren hinterlassen. Einst wurden diese Keller als Lagerräume genutzt und zur Zeit der Türkenbelagerung ausgebaut, erzählt Peter. Während des Zweiten Weltkriegs hätten die Nazis schließlich ein raffiniertes Tunnelnetzwerk geschaffen. Über manchen Türen, zeigt Peter der Gruppe, sind noch Reste von Phosphorstreifen erhalten. Sobald sie nur kurz mit Licht in Berührung gekommen waren, spendeten sie bei einem Bombenangriff und möglichem Stromausfall genug Helligkeit, um sich im Luftschutzkeller orientieren zu können. Ein Großteil der Luftschutzbunker wäre über unterirdische Gänge an die Wiener Kirchen angeschlossen gewesen. Nach Kriegsende wurden die Eingänge zu diesen Tunneln aber kontinuierlich zugemauert oder mit Eisentüren versehen. „Die Schlösser konnte man früher einfach mit einem Kleiderhaken knacken“ sagt Peter lächelnd. Jetzt gehe das nicht mehr – zu seinem großem Leidwesen, denn Expeditionen in unbekannte Gänge und Keller sind die große Leidenschaft des gebürtigen Deutschen. Und immer wieder entdeckt er neue Räume oder stellt fest, dass es unter seinen Füßen noch weiter nach unten geht.
Versteckspiel im Dunkeln
Bei seinen Führungen lässt er sich außerdem gelegentlich zu besonderen Späßen verlocken. So organisierte er etwa für eine Tour an der hauptsächlich Managern teilnahmen, kurzerhand einen Schauspieler, der sich reglos ins Abwasser legte. Peter lies die Herren möglichst lange in dem Glauben, sie hätten einen Toten gefunden. Ab diesem Zeitpunkt buchte die Firma häufiger eine „Tour mit Totem“ für ihre Kunden. Auch bei seinen Kellertouren verschwindet er hin und wieder in einem der Kellerlabyrinthe und lässt die nicht ganz unerheblich verunsicherte Gruppe einige Minuten lang darüber beraten, was nun zu tun sei und wie sie alleine wieder an die Oberfläche finden könne.
Alle seine Erfahrungen und Nachforschungen hat Peter van der Unterwelt festgehalten. Er ist (Co-)Autor verschiedener Bücher über Wiens Untergrund, außerdem Hobby-Maler und Dichter. Seiner großen Liebe, der Unterwelt, hat er sogar einen Songtext gewidmet.
Auf Kriegsfuß mit der Stadt
Bis vor knapp 20 Jahren arbeitete Peter als technischer Zeichner. Dann wurde er mit dem Ausbau der Kellerräume unter der Hofburg betraut und eine bislang nicht gekannte Faszination für den Untergrund erfasst ihn. Wenig später begann er, Fackeltouren durch Wiens Untergrund zu veranstalten. „Am Anfang kamen jede Woche 30 Leute und dann auf einmal 300“, erzählt Peter. Und dann… drehte die Stadt Wien ihm den Hahn zu. Es kam zu einem Gerichtsprozess, sagt Peter, den er mangels Budget verlor. Seitdem sind Peter seine Fackelzüge verboten. Die Stadt veranstaltet mit den Dritter Mann Kanaltouren nun seit einigen Jahren ihre eigene Untergrundführungen. Klagen, Rechtstreits, das alles kennt Peter van der Unterwelt zur Genüge. Und das, obwohl die Stadt ihre erstaunliche Unterwelt seiner Meinung nach kaum nutzt. „Waonst in Wean wea sein wüst, muaßt tot sein“, zitiert er Helmut Qualtinger.
Einbruchsseminar für Anfänger?
Auch mit den Hausbewohnern gibt es immer wieder Schwierigkeiten. Nachdem die Touren unter anderem in die Keller von Privathäusern führen, sind Peters Führungen zwar vielerorts geduldet, ganz einfach ist die Angelegenheit aber nicht, da einige Hausbewohner misstrauisch werden. Die Gruppen, die er mit in den Keller nimmt, bittet Peter daher, geräuschlos und möglichst schnell durch die Innenhöfe zu kommen. An seinem Schlüsselbund baumeln unzählige Hausschlüsse, die er geschenkt bekommen hat. „Es sind Vertrauensbeweise“, sagt er. Trotzdem passiert es immer wieder, dass Mieter ihn ansprechen. „Einige haben schon geglaubt, ich mache ein Seminar für Einbrecher“, erzählt Peter. Für den Notfall trägt er einen Ausweis bei sich und klärt misstrauische Personen über die Tätigkeit seines Vereins auf. Meist ist sei es leichter, die Mieter zu beruhigen, als die Hausverwaltung einzuschalten, meint Peter van der Unterwelt. Die wäre in vielen Fällen natürlich daran interessiert, hausfremde Personen fernzuhalten. Dann muss Peter van der Unterwelt losziehen und neue Keller suchen, die er bei seinen nächtlichen Führungen herzeigen kann.
Alle Informationen zu Peters Untergrundführungen findet man auf www.unterwelt.at. Für Interessierte bietet zudem der Film „A Life for the Underground“ einen Einblick.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Multimedia-Ateliers am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FH Wien der WKW entstanden.