Polly Jean klagt an

Vor fünf Jahren rüttelte PJ Harvey auf "Let England Shake" noch ihre englische Heimat mit politischem Folk-Rock wach. Nun widmet sie sich auf ihrem neuen Werk "The Hope Six Demolition Project" der Weltbühne.

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Vor fünf Jahren rüttelte PJ Harvey auf "Let England Shake" noch ihre englische Heimat mit politischem Folk-Rock wach. Nun widmet sie sich auf ihrem neuen Werk "The Hope Six Demolition Project" der Weltbühne. Der Titel ihres vorliegenden neunten Albums bezieht sich auf den "Hope VI"-Plan: Im Rahmen dessen sollten ab Anfang der 90er in zahlreichen Gemeinden der USA viele Sozialbauten in den sogenannten "Projects" renoviert werden, um Menschen mit besserem Einkommen anzulocken und somit einer Armutsghettoisierung entgegenzuwirken. Eh klar, dass dank dieses Plans auch das ein oder andere Gebäude einem Abriss (Deutsch für "demolition") zum Opfer fiel.

PJ als politische Folk-Rockerin

Polly Jean Harvey beginnt ihr Album auf einer fröhlichen Note und singt im eingängigen Sing-along-Refrain des Openers "The Community Of Hope" mehrfach: "They’re gonna put a Walmart here". Ein Walmart in den Projects – das klingt erst mal nett, ist aber offensichtlich Kapitalismus-Kritik.Man liegt nicht unbedingt falsch, wenn man "The Hope Six Demolition Project" als durchdachte Fortsetzung von "Let England Shake" sieht. Beide Alben zeigen Harvey als politisch engagierte Texterin, die vom Krieg singt und sich den Frieden wünscht. Auch musikalisch gibt es Parallelen: Ob es nun der mehrstimmige Gesang mit Mick Harvey ist, das herausragende Saxofonspiel oder ob es einfach die Songs an sich sind – Harvey hat mit 46 Jahren ihren Stil als politische Folk-Rockerin gefunden, als Texterin von Protestliedern über Homeland Security, Denkmäler zum Vietnamkrieg oder den Kapitalismus direkt ("Dollar, Dollar"). Polly Jean, quit living on American dreams.

Allgemeingültige Kritik

Harveys Kriegskritik gipfelt im wohl besten Song des Albums, der Single "The Wheel": Beginnend mit einem ausufernden, von Handclaps und Saxofon getragenen Intro, schafft es der Song, seine tiefgreifende Message in wenigen Zeilen zu vermitteln: "Hey little children, don’t disappear / I heard it was 28.000". Die Zahl im Refrain spielt auf keinen konkreten Krieg an – auch wenn das Musikvideo zu "The Wheel" im Kosovo spielt. Die Zahl der 28.000 verschwundenen Kinder fungiert eher als eine symbolische Projektionsfläche, auf die der Hörer eigene Erfahrungen übertragen kann. Die schlichte Auslegung des Textes auf den Kosovo-Krieg würde dem Song nicht gerecht, schwingt doch im Subtext eine allgemeingültige Kritik mit: Das im Titel referenzierte "Wheel" der Kriegsindustrie dreht sich stetig weiter – anstatt einzuschreiten schaut die Öffentlichkeit zu. Die Folge sind Kriege, verschwundene Kinder und, ja, auch Flüchtlinge. PJ Harvey war und ist stets am Puls der Zeit.

Mit "The Hope Six Demolition Project" ist ihr ein würdiger Nachfolger zu dem großartigen "Let England Shake" gelungen: eine Ode an den Frieden, ein Klagelied auf die USA und (deren) Kriege – vor allem aber ein notwendiges Album für unsere Zeit, mit einer zeitlosen Friedensbotschaft.

"The Hope Six Demolition Project" erscheint am 15. April bei Island Records. PJ Harvey gastiert im Rahmen des Harvest Of Art Festivals am 8. Juli in der Marx Halle in Wien.

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