Was haben Conchita Wurst und Andreas Gabalier gemeinsam? Politische Polarisierung. Stefan Sonntagbauer hat eine kleine Streifschrift dazu verfasst.
Auch in der Politik hat der Opportunismus der Strategen und Werber dem ideologischen Bekenntnis längst den Rang abgelaufen. Die von Wurst und Gabalier vertretenen Positionen erscheinen also gerade in ihrer grenzenlosen Elastizität keineswegs mehr als ernsthafte Anliegen. Indem sie entweder von Anfang an zur Nichtigkeit entschärft sind oder je nach Bedarf wieder zurückgenommen werden, geben sie ihren wahren Status preis.
Immer alles so sagen, dass es jeder verstehen kann
Dabei zeitigt auch die Hinrichtung der einzelnen Positionen auf die gängigen medialen Formatierungen deren Perversion. Das Aufkommen des Netzes als neues Leitmedium und die damit einhergehenden Umstrukturierungen der Medienlandschaft haben die politische Auseinandersetzung in Österreich bekanntlich längst auf die Ebene des Boulevards sinken lassen. Haider und Petzner machten einst die Reality-Soap obsolet, Grasser und seine Gang die Society-Formate, Werner Faymann hält es dagegen bekanntlich bis heute mit der Muppet-Show. Dementsprechend sind auch Stars des Boulevards bei ihrer Kolonisierung keineswegs zu einer seriösen Debatte gelangt – wäre ja auch zu schön gewesen.
So werden auf der rechten Seite die wertkonservativen Positionen Gabaliers gerade in ihrer quotenaffinen Ausführung vollends unmöglich. Das Festhalten am klassischen Familienmodell samt der dazugehörigen Rollenverteilung beispielsweise könnte ja vorerst durchaus als Absage an eine neoliberale Ideologie verstanden werden, die uns mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln die Mobilisierung aller verfügbaren Kräfte für den Markt schmackhaft machen will. Sicherlich eine streitbare Antwort, die aber immerhin noch der richtigen Frage gelten würde.
Gabaliers sexistische Rülpser sind dann im Endeffekt aber leider doch immer nur sexistische Rülpser, die gleichsam jeden, der der Auflösung der alten sozialen Organisationsprinzipien als potentielle Hemmnis für eine auf permanente Expansion und Universalisierung zielende Wirtschaft etwas reservierter gegenübersteht, gnadenlos mit ihrem Bierzeltmief verstinken. Nach Gabaliers Amadeus-Rede hatte man ja als Manderl, das in derener verkommenen Welt noch auf Weiberl steht, durchaus allen Grund, sich gehörig was zu schämen.
Ein ähnliches, wenn auch weit subtileres Problem ergab sich dann auch auf der anderen Seite, nachdem Conchita Wurst sich erfolgreich zur Freiheitskämpferin hochstilisiert und so zu everybodys darling gemacht hatte. Gerade so kam es nun nämlich nicht zu einer Öffnung des Diskurses, sondern vielmehr zu einer wesentlichen Stärkung einer seiner heikelsten Begrenzung. Ganz im Sinne Michel Foucaults, der nicht den Körper als Gefängnis der Seele, sondern umgekehrt die Seele als Kerker des Körpers beschrieben hat, ist die Figur Conchita Wurst keineswegs vorrangig als Protagonistin der Befreiung einer als authentisch gedachten Innerlichkeit zu begreifen. Die zentrale Operation zielt hier sicherlich nicht so sehr auf die freie Entfaltung des Individuums gegen gesellschaftliche Zwänge, als vielmehr auf dessen Unterwerfung im Zuge seiner ganzheitlichen Neu-Definition als einzigartige Marke. Wurst tritt uns so als die perfekte Verkörperung der Zumutungen der Postmoderne entgegen, in der gesellschaftlicher Zwang und individuelle Freiheit paradoxerweise immer mehr in eins fallen.
Was so aber durch ihr Erscheinen initiiert wurde, ist weniger die Öffnung der Debatte über Andersliebende, sondern vor allem die Verklärung aktueller Verhältnisse. Damit konnten wir liberalen, superaufgeklärten und womöglich auch noch perfekt entnazifizierten Österreicher endlich wieder mal selbstgefällig im eigenen Saft schmoren. Die Bösen, das waren da auf einmal wieder die anderen, allen voran die Russkis! Aber auch das war uns in dem Moment wurscht! – Wir großen Töchtersöhne wussten ja in dem Moment, wir und unsere einzigartigen Werte sind unstoppable!
Festzustellen, dass trotz allem Jubel um unsere Conchita auch hierzulande unter der Oberfläche doch viel weniger Friede, Freude und Schweinebraten und viel mehr Orientierungslosigkeit, Angst und Aggression im Angesicht einer an allen Ecken und Enden aus dem Ruder laufenden Gegenwart dahinschmurgeln, als uns das lieb und bewusst ist, war so natürlich bald völlig tabu. Zumindest, solange man nicht in den dringenden Verdacht kommen wollte, ein Neonazi, ein russischer Spion oder, schlimmer noch, ein Fan von Andreas Gabalier zu sein.
Ein Vorschlag zur Güte: mehr Musik, weniger Quatsch mit Soße
Bei näherer Betrachtung wird aus den beiden vermeintlichen Antagonisten Gabalier und Wurst also ein Duo Infernale, das mit schamloser Hingabe der Zerstörung des Diskurses zuarbeitet, um ihre Message zu verbreiten, die im Wesentlichen dann doch immer ein und dieselbe ist: Like mich – Lieb mich – Kauf mich! Das Schlimmste ist aber keineswegs, dass hier die verschiedenen Positionen rein auf ihren Marktwert reduziert werden und so die Debatte sukzessive ausgehöhlt wird. Das wirklich Üble an der ganzen Sache ist, dass uns das ganze scheinheilige Schmierentheater vergessen lässt, wie unheimlich mittelmäßig die Musik dieser ungleichen Zwillinge ist und wie viele großartige Künstler und Künstlerinnen uns daneben vielmehr mit ihrem Schaffen als mit schnödem Marketing begeistern könnten, wenn wir ihnen die nötige Aufmerksamkeit widmen würden. Und genau darum sollte es im Endeffekt ja auch gehen.
Also, bitte: mehr Musik, weniger Bullshit und freilich auf der anderen Seite: mehr Diskurs, weniger Quatsch mit Soße. Das wäre doch mal wirklich was, aber echt!
Stefan Sonntagbauer, 1987 in Wels geboren und aufgewachsen, schreibt, macht Musik und schreibt im Holzbaum Verlag Bücher, zuletzt "Containeräffchen". 2009 war er einer der Finalisten des FM4 Literaturwettbewerbs Wortlaut.