Poprock, Shoegaze und »Fuck Genres!« – Waves Vienna 2025, Tag drei

Am Freitagabend birst das Waves Vienna bereits aus einigen Nähten. Wer nicht pünktlich bei den gefragten Acts ist, muss von draußen zuhören – und verpasst so einiges. Wir trösten mit Berichten.

© Alexander Galler

Tauchen

Österreich | Chelsea

Tauchen (Bild: Anastasiia Yakovenko)

Wer im Beschreibungstext von Tauchen das Wort »Deutschpop« eingebaut hat, tut der Band unrecht. Nicht, weil die Zuschreibung völlig falsch wäre oder Deutschpop jetzt per se unhörbar ist, sondern weil es auf eine falsche Fährte lockt. Wenn schon Genre, dann besser deutscher Poprock oder so. Tauchen klingen nämlich sehr viel mehr nach Wir sind Helden als nach beispielsweise Josh. Auf der Bühne liefert das live auf ein Quartett angewachsene Trio dementsprechend ein lautes, schwungvolles Set mit viel Kante ab, das zum Mittanzen förmlich zwingt – selbst die Sängerin, die zweitweise nahezu die Schwerkraft zu ignorieren scheint. Das erste Album ist für Anfang nächstes Jahr geplant – wir sind gespannt!


Ende

Österreich | Loop

Ende (Bild: Klaus Zwinger)

Eigentlich gehört die Wien-Linz-Kombination nicht an den Beginn eines Abends, sondern an den bandnamensgebenden Schluss des Spannungsbogens des zweiten Tages. Apropos (Spannungs-)Bogen: Das Loop ist viel zu voll und seine Kundenstromstrategie definitiv ausbaufähig: Fast jeder Publikumsplatz steht unter ständiger Gefahr durch Durchdrängler, Rucksäckler und Moonbaggies. B72-Headliner wäre für die Gruppe quasi ein Must-have gewesen, bisschen eine Fehleinschätzung hier. Herzukommen ist aber definitiv keine: Ende machen zwar sehr trendige Mucke, stell dir irgendwie Edwin Rosen in viel besser vor, aber sie funktioniert auch ohne Hype-Kontext bestens, nicht umsonst ist dir brandneue EP voller Songs des Jahres. (do)


Farmar

Österreich | The Loft Main Floor

Farmar (Bild: Alexander Galler)

Nach drei Jahren als Chefredakteur bin ich jetzt glaube ich endlich in der österreichischen (Indie-)Musikszene angekommen. Warum mir das gerade jetzt auffällt? Vermutlich, weil ich gefühlt ein Drittel des Publikums im gut gefüllten Main Floor vom The Loft kenne. Und kein Wunder, denn Farmar aka Mario Fartacek ist nicht nur mit seinen anderen Projekten (Mynth, Good Wilson, Bon Jour) sehr umtriebig, sondern hat auch als Produzent bei unglaublich vielen österreichischen Acts seine Finger im Spiel. Diese lange Expertise hört man auch. Hier steht einer an Reglern, Gitarre und Mikrofon der ganz genau weiß, was er will und wie er es umsetzen kann. Auf durchwegs tanzbaren elektronischen Beats layert Farmar seine atmosphärische Lifeperformance und zeigt, wie voll der Sound eines Soloacts klingen kann.


Los Acebos

Spanien | Loop

Los Acebos (Bild: Hannah Tögel)

Los Acebos bringen gitarrenlastigen Indierock mit Kings-of-Leon-Vibes auf die kleine Bühne des Loop. Die Spanier freuen sich sehr, dass sie einmal außerhalb ihrer Heimat spielen dürfen – und das merkt man ihrem leidenschaftlichen Set an. Romantik pur, könnte man auch sagen: rohe Energie und berührende Gitarrenklänge füllen die Luft. Es wird geklatscht und getanzt. Die Intimität des Auftritts sorgt sogar für Zärtlichkeiten im Publikum. Soliert wird ebenfalls eifrig – so eifrig, dass dem Gitarristen eine Saite reißt und die Band kurz nur zu dritt performt. Ich kann zwar kein Spanisch, aber das stört mich überhaupt nicht, denn die Emotion ist transportiert. (sh)


Das Radial

Luxemburg | Kramladen

Das Radial (Bild: Alexander Galler)

Neben den vielen, vor allem heimischen Bands, die man immer schon gesehen haben wollte, bietet das wie immer hervorragende digitale Begleitkompendium eine gute Einschätzung, was empfehlenswert wäre. Wenn an Stellen dann Buzzwords wie Dark Wave und Neue Deutsche Welle stehen: Sold! Die Luxemburger von Das Radial sind bemalt (mit fast buddhistischer Chuzpe), beanzugt, laut und theatralisch, aber vor allem konsum- und technologiekritisch (Smartphones als »Selbstschussgerät«, ein Traum!). Der Sound im Kramladen ist superklar, das Klangbild reduziert, krachend, bisschen wie Augn, auch die Bonaparte-Historie ist hörbar, bisschen cyberne Goldene Zitronen, bisschen HGich.T, so in dem Dreh. Da ist stellenweise überraschend viel Neunziger-Hip-Hop dabei, dann wieder Clashpop, durchaus dancy – eindrucksvoll auf der Bühne vorexerziert. Natürlich ist das Special Interest, aber vor allem auch speziell interessant. (do)


Jo the Man the Music

Österreich | Rhiz

Jo the Man the Music (Bild: Theresa Galavics)

Irgendwer scheint Jo the Man the Music mit Nachdruck vor dem Showcase-Festival-Publikum gewarnt zu haben. Unfair! Sind wir doch eigentlich ganz lieb. Findet Jo auch, wie sie mehrfach betont. Und auf ihr Set hat es sich jedenfalls nicht negativ ausgewirkt. Denn trotz des frühen Stadiums des Projekts (die erste EP kommt nächstes Jahr) hört sich das alles schon äußerst solide an. Man merkt, dass sie in letzter Zeit viel im Studio war. Die Songs sitzen, die Performance ist souverän. Die Publikumsinteraktion zwischen den Nummern wirkt manchmal noch etwas wacklig, aber auf eine sympathische Art. Sympathisch ist überhaupt das Stichwort, das mir hier passend erscheint. Unaufgeregter Indiepop, der glatt, aber nicht konturlos ist, mit äußerst lyrischen Texten, die einiges an Hintergründigkeit aufweisen.


Kids Don’t Smoke

Österreich | Coco

Kids Don’t Smoke (Bild: Alexander Galler)

Jan, der Sänger von Kids Don’t Smoke betritt die Bühne in einer Wollmütze. Könnte ihm ein bisserl heiß werden, denn die zahlreich mitgebrachten Freund*innen der Band heizen im Coco ordentlich ein. Nach ein paar Startschwierigkeiten und Aussetzern bei den Lyrics (könnte dem Publikum egaler nicht sein) sind alle aufgewärmt. Auf ausgelassene Party Stimmung folgt die gefühlvolle Ballade »Lottery«. Da werden die Feuerzeuge gezückt – logo – und die Leute fangen zum Mitwinken an. »Headlights« ist gewünscht, der Song, mit dem Kids Don’t Smoke auf FM4 durchstarteten. »Aber wir haben keine Songs mehr?« »Okay, Okay …« gibt Jan bei – und das Publikum springt herum. (sh)


Paulinko

Deutschland | The Loft Main Floor

Paulinko (Bild: Klaus Zwinger)

Das deutsche Trio gibt Flashbacks: Einerseits an das letztjährige Waves Vienna, wo gefühlt jede vierte Band deutschsprachigen Retropop mit weiblichem Gesang in seiner Bio stehen hatte, andererseits natürlich an die Achtziger selbst. Natürlich sind Paulinko dabei Post-Everything, Post-NDW, Post-Millenial, aber die Vorbilder sind evident. Das Funkloch im Loft Main Floor (super Location!) lässt dabei die Aufmerksamkeit in Richtung der Texte auf der Bühne statt jenen auf den Phones wandern, die dem musikalischen Sujet korrekterweise mehr als entsprechen: Songs about love, loss and desperation, dezente Fuck-Yous in Richtung Toxicity, AfD und bräsiger Bratzigkeit männlicher Verhaltensweisen (»Ich gebe dir mein Herz / damit du fühlen kannst«) Jawollo! (do)


Alles Exhausted

Österreich | Lucia

Alles Exhausted (Bild: Klaus Zwinger)

Für Alles Exhausted trifft man sich im Lucia, der bislang größten und luftigsten Venue meines Abends. Luftig hört sich auch die Musik an, denn hier wird Shoegaze gespielt. Das erklärt dann auch die vielen Menschen mit Hornbrille im Publikum. Es klingt etwas hallig und ich versteh die Lyrics kaum, aber das passt ja. (Cocteau Twins sind damit berühmt geworden.) »Fensterglas«, »Rauch«, »Treiben«, »Wolken« und »Himmel« verstehe ich. Keine schlechte Idee, dass sie der letzte Act für heute sind: Shoegaze lullt das Nervensystem ein wie ein beruhigendes Wiegenlied. »Ihr könnt unser Album gerne auf Kassette kaufen, oder so irgendwie hören.« Dieser Aufforderung folge ich gerne. (sh)

Das Waves Vienna 2025 fand von 1. bis 4. Oktober 2025 in diversen Wiener Gürtellokalen statt. Hier finden sich die Berichte von Tag zwei und Tag vier.

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