Post-Patriotismus im Westerwald

Ende April machte das Festival "Ich bin ein Berliner" aus Kreuzberg auf seiner Tour Halt im Westerwald. In der Dorfkneipe "Die Gass" in Höhr-Grenzhausen stießen die schrill-anarchischen Musikshows der Künstler Rummelsnuff und Jemek Jemowit auf ein irritiertes Ortspublikum. Ein Abend Berliner Avandgarde in der rheinischen Provinz.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

„Buh! Schwuchtel!“, ruft ein braunbärtiger Mann mit Lederjacke nach dem ersten Livekonzert des Abends dem Künstler nach, der durch den grauen Vorhang hinter die Bühne schleicht. Der angesprochene Jemek Jemowit hat soeben seine von stampfenden Techno-Bässen und Domina-Gestus strotzende Liveshow beendet. Er sagt: „Die Reaktion war das Beste beim Konzert heute“.

Zwei Stunden zuvor. Der Putz blättert von den farblosen Wänden der Häuser rund um die Ortskneipe „Die Gass“ in Höhr-Grenzhausen. Nebenan die Reinigung, gegenüber die Fachhandlung eines Heizungshersteller. Links daneben eine Pizzeria. Eine Kellnerin steht auf der menschenleeren Veranda und trommelt mit den Fingern beider Hände auf das hölzerne Geländer. Sie schaut links und rechts, verharrt kurz, zupft dann gedankenverloren den Ausschnitt zurecht, so, als ob ihr heiß wäre. Doch es ist kalt. Vor den Häusern stehen Mülltonnen parallel zu den Gartenzäunen abholbereit auf dem Trottoir. Im Türeingang der „Gass“ steckt jemand den Kopf hinaus und wieder hinein. Dorfidylle. Nichts lässt darauf schließen, dass heute das Musikfestival „Ich bin ein Berliner“ hier halt macht, gegründet 2009 im Kreuzberger Szeneclub SO36. Die Ereignislosigkeit im Ortskern der Westerwälder Kleinstadt könnte nicht weiter weg sein vom pulsierenden Treiben Berlins.

Einfach, kurz und knackig

„Ich mag Proleten, die sich gehen lassen“, sagt Jemek Jemowit und zieht an seiner Marlboro. Der 25-jährige Deutsch-Pole sieht in seinem bunt gescheckten Hawaiihemd und grauen Zweiteiler aus wie ein Zuhälter aus einem amerikanischen B-Movie. Die Musik des Berliners schwebt irgendwo zwischen Techno, Rockabilly und New Wave, er selbst nennt es „post-patriotische polnische Heimatmusik“. „Post-patriotisch setzt sich zusammen aus anti- und neo-patriotisch“, erklärt er. Die Lyrics sind einfach, kurz und knackig. Jemowit will kein politisches Statement abgeben, sondern „Worte in den Raum schmeißen“. Den Rest muss sich der Zuhörer denken.

Als der RBB einen Beitrag über ihn drehte, fühlte sich eine Redakteurin – mutmaßlich wegen seines Flat-Top-Haarschnitts und dem militaristischen Bühnengestus – an Rechtsradikalismus erinnert. Sie konnte das aber nicht begründen. „Es ist auch zu einfach, es in die rechte Ecke zu stellen, nur weil ich offensive Musik mache und mit Androgynie und Sadomasochismus kokettiere,“ meint Jemowit. In Höhr-Grenzhausen scheint man darauf Rücksicht zu nehmen. Sein Bühnenprogramm wird nicht in die „rechte“ Ecke gestellt, sondern in die „homosexuelle“.

Der Konzertraum mit der Bühne ist circa 20 Meter lang und 30 breit, die ockerfarben gestrichenen Wände sind in rötliches Licht getaucht. Misstrauische Blicke begegnen demjenigen, der hier offenbar kein Stammgast ist. Dann demonstratives Wegschauen. Unbekanntes ist selten hier. Doch als Underground-Künstler ohne Booking-Agentur nimmt man für eine sichere Festgage heutzutage halt alles an, was kommt. Der Gründer von „Ich bin ein Berliner“, Andreas Schwarz, war einst Geschäftsführer des „Bunker“, einem der angesagtesten Clubs Deutschlands der 90er Jahre. Heute kündigt er Bands in der „Gass“ an.

Guten Abend

23 Uhr. Mittlerweile hat ein DJ mit rotem Lippenstift, Lidstrichen und silberner Brosche am weißen Jackett das Pult am Bühnenrand betreten. Es läuft „Silent Shout“ der schwedischen Band The Knife.

Grüppchen aus drei bis fünf Leuten bilden sich im hinteren Teil des Raums. Jugendliche vermischen sich mit fünfzigjährigen Alt-Rockern, von denen man glaubt, dass sie ihre ausgeblichenen Hard-Rock-T-Shirts seit den 80er Jahren tragen. Ein Mittvierziger mit wirren schwarzen Haaren begrüßt einen Bekannten mit lautem Grölen und boxt ihn in die Schulter. Das ist der Umgang hier. Guten Abend auch.


Mitternacht. Das Stroboskop-Licht zuckt von der Bühnendecke herab zum Klang von Techno-Beats, die aus acht Boxen an beiden Ecken der Bühne dröhnen. Auf der Bühne zeigt Jemek Jemowit die skurrilste Show, die im Westerwald je stattgefunden hat. Das Tempo überschlägt sich. Parolenartig schreit er seine Texte ins Mikrofon und fuchtelt dabei wie eine männliche Domina in Richtung des Publikums herum, so als ob er mit den Händen Befehle erteilt. Der Beat wummert, hysterischer Elektro-Rockabilly mit sonderbaren Sounds. Feinmotorisch tippt Jemowit mit den Fingern auf seinem Drumpad.

Im Publikum starren Blicke ungläubig Richtung Bühne, andere scheinen den Liveauftritt gar nicht wahrzunehmen. Eine wohl 40-jährige Frau mit Iron-Maiden-T-Shirt wagt zögerlich so etwas wie Tanzschritte. Die Beine steif, zieht sie dabei eine Schnute, blickt sich um, und stellt die Bewegungen wieder ein. Nicht die Musik, die man hier gewohnt ist.

Strommusik fürs Volk

1.30 Uhr. Auf der Bühne singt Rummelsnuff, ein muskelbepackter Mann mit tiefer Stimme, Songs, die an propagandistische Arbeiterlieder erinnern. Er trägt eine kurze schwarze Hose und eine Matrosenmütze. Die Muskeln seiner Arme glänzen, er sieht aus wie Popeye. Drei Freundinnen mit identischen Umhängetaschen und Kameras stolpern laut kichernd über die Tanzfläche und fotografieren sich gegenseitig. Durchs Bild stolpert ein Mittvierziger mit rot gefärbtem Irokesenschnitt, dem anscheinend noch niemand gesagt hat, dass ein üppiger Bauch nicht zu einer Röhrenjeans passt.

„Ich mag die Ästhetik der Statuen aus stalinistischer Zeit“, erklärt Roger Baptist mit weicher Stimme. Er steht nach dem Konzert mit nacktem Oberkörper und schwitzend im gefliesten, von kaltem Neonlicht durchfluteten Backstage-Raum. Das, was er unter seinem Künstlernamen Rummelsnuff macht, nennt er „Strommusik fürs Volk“, und brachte es damit zu einiger Berühmtheit. 2008 wurde er für das Melt-Festival gebucht, eines der größten Indie-Musikfestivals Deutschlands. Der 45-Jährige Wahlberliner, über den die FAZ einst schrieb, er kreuze die „menschenfeindliche Härte“ von Industrial Metal mit dem „Populismus von Schlagermelodien“, spielt nun wieder auf kleineren Bühnen. Im Musikbusiness kann es schnell gehen.

Baptist lächelt, sein fleischiges, rundes Gesicht vermittelt einen warmen, zufriedenen Eindruck, er scheint die große Bühne nicht zu vermissen. „Es kommt nicht darauf an, ob man vor Publikum spielt, von dem man die hinteren Reihen nicht mehr sieht, sondern darauf, ob die Menschen Energien erzeugen. Ich will, dass das, was mich erfasst, auch andere Leute ergreift,“ sagt er. Es fällt ihm leicht, das zu sagen. Er ist heute der einzige, der in der „Gass“ ansatzweise auf Resonanz stößt. Nach seinem Auftritt applaudierten etwa zehn Leute vor der Bühne und wünschen Zugabe.

Nicht nur glotzen und stehen

3 Uhr. Die Tanzfläche ist leer. Die Thekenkraft läuft durch den Raum und sammelt leere Bierflaschen von den Tischen. Am Tresen lassen die Musiker auf Barhockern den Abend ausklingen. Sie sind die letzten Menschen in der Kneipe. „Mir ist egal, ob die Leute meine Musik verstehen. Hauptsache, ich habe Spaß und merke, dass auch die Leute Spaß haben“, sagt Brachial-Chansonist Baptist. Und schiebt hinterher: „Ich denke nicht, dass das Publikum hier gelangweilt nach Hause geht.“ Obwohl der Mann fröhlich erschöpft und zufrieden aussieht, klingt der Satz wie ein frommer Wunsch.

Der selbsternannte Postpatriot Jemowit setzt seine Beck’s-Flasche zum Trinken an. „Die Leute wollen saufen und einen sehen, der auf der Bühne rumhampelt. Es geht ihnen nicht um künstlerischen Anspruch. Das ist ok. Aber ich möchte ein Gespür für mein Publikum haben, für die Gesinnung der Leute“, sagt er und wirkt dabei nüchtern und enttäuscht. „Je älter ich werde, desto mehr will ich, dass Leute nicht nur glotzen und stehen. In Vilnius haben Leute mich umarmt und geküsst, ich habe drei Lieder doppelt gespielt, weil die Leute nicht genug bekamen.“ Wenn man ihm zuhört, wie er erzählt von Publikumsbeteiligung bei gut besuchten Konzerten an fremden Orten, möchte man ihm wünschen, dass ihn nach der Show in der „Gass“ wenigstens alle ausgebuht hätten.

www.ichbineinberlinerfestival.de

Bild(er) © Frank Johannes Robert Bartholot
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...