Was haben Emails und Zeitungen gemeinsam? Beiden wurde vielfach der Tod vorausgesagt. Zumindest die Mails sind vital und erfreuen sich prächtiger Gesundheit. Tausende Medien schicken ihren Lesern auf diesem Weg morgendliche Newsletter, um Reichweite aufzubauen.
Weil mittlerweile so viele „Morning Briefings“ die Runde machen, erleiden die meisten das Schicksal einer Spam – „deleted“, gelöscht, ohne überhaupt geöffnet worden zu sein. Ungelesen, weil beliebig und austauschbar.
Das Magazin OZY zeigt, wie Online-Kommunikation funktioniert.
In den USA hat sich OZYs „The Presidential Daily Brief“ (PDB) innerhalb von wenigen Monaten zur Pflichtlektüre entwickelt. Eine Million Menschen wollen täglich „like the President“ informiert werden und haben PDB abonniert. Barack Obama soll den Tag oft mit dieser Lektüre beginnen, ebenso sein Vorvorgänger Bill Clinton und Microsoft-Gründer Bill Gates.
Ein Erfolgsrezept des OZY-Newsletters sind die brillant und liebevoll formulierten Texte. Mir persönlich verderben Rechtschreib-, Grammatikfehler und inhaltliche Böcke (etwa Regierungsmitglieder, die sich über Nacht in Oppositionspolitiker verwandeln) die gute Laune. Deshalb war ich leider gezwungen, das „Stilblüten-Briefing“ eines österreichischen Printproduktes abzubestellen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Für OZY gestalten regelmäßig bekannte „Guest Curators“ die PDBs. Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler und Showgrößen schreiben, was sie für die wichtigsten News des Tages halten und welche Persönlichkeiten sie schätzen oder verachten.
Prominente OZY-Gastautoren sind (alphabetisch gereiht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
TONY BLAIR, 62, von 1997 bis 2007 Premierminister Großbritanniens. Als „Story of the Day“ wählte er einen Report des US-Magazins „Foreign Policy“ über Syrien. In seinem „Presidential Daily Brief“ erzählte er von der Front: „As a Middle East envoy, I spend a huge amount of time in the region. There are rarely clear and simple right or wrong answers – only difficult decisions. But that does not mean inaction is the answer.“
JEB BUSH, 62, ehemaliger Gouverneur von Florida und republikanischer Präsidentschaftsbewerber. Das wichtigste OZY-Thema war für ihn das mangelhafte amerikanische Bildungssystem. Beim PISA-Test belegten US-Schüler in Mathematik nur den 26. Platz unter insgesamt 65 Staaten.
BILL GATES, 59, mit einem geschätzten Vermögen von 72,7 Milliarden Dollar der reichste Mensch der Welt. „Good news you may have missed“, schrieb er in seinem „Presidential Daily Brief“. „We’re making progress against some of the world’s deadliest diseases, and more children are surviving than ever before, with positive change ranging from better treatment for tuberculosis to turning the tide against AIDS.“
ARIANNA HUFFINGTON, 65, Gründerin der Online-Zeitung „The Huffington Post“ und ungekrönte Königin der Blogger. Ihren PDB widmete sie unter anderem Hillary Clinton, Präsidentschaftsanwärterin der Demokraten: „I don’t think Clinton was ever inevitable.“
JIM MESSINA, 45, Obamas engster Berater, Organisator der Wiederwahl 2012 und der wohl erste Politstratege, der mit Social Media Wahlkampf führte. Für OZY beschäftigte er sich mit dem wichtigsten Thema der Erde: „As a Montanan, watching the effects to climate change in places like Glacier National Park hits very close to home. The data is clear: Climate change is one of the most pressing issues our planet faces today. Last year’s average temperature – to get geeky about it – was the warmest since 1891, when we started keeping track.“
JANET NAPOLITANO, 57, ehemalige Gouverneurin des Bundesstaates Arizona und viereinhalb Jahre lang Ministerin für Innere Sicherheit im Kabinett Obama. Besorgt äußerte sie sich im „Presidential Daily Brief“ über den Islamischen Staat: „Given the number of Europeans and Americans who have joined the Islamic State and adopted its violent tactics, and who have the freedom to travel to and from the region, the United States cannot assume it is immune from this threat.“
CONDOLEEZZA RICE, 60, von 2005 bis 2009 US-Außenministerin und die erste afroamerikanische Frau in diesem Amt. Heute unterrichtet sie an der Eliteuni Stanford Wirtschaftspolitik. Ihren „Presidential Daily Brief“ startete sie, standesgemäß, mit einem außenpolitischen Thema: „A sad look into the reality of Vladimir Putin and his views on leading Russia in the 21st century.“
MARIA SHRIVER, 59, US-Journalistin, Bestsellerautorin, Emmy-Gewinnerin, Ex-Frau Arnold Schwarzeneggers. Ihr Top-Thema: gleichgeschlechtliche Ehe, die seit Juni überall in den USA möglich ist. „I applaud everyone’s right to speak, live and honor their authentic selves. As I’ve said before, it’s wonderful that American society is becoming more inclusive in how it defines marriage. I agree with President Obama that ,when all Americans are treated as equal, we are all more free.’“
Der nächste Präsidentenbriefschreiber ist der CEO von einem der mächtigsten Unternehmen der Welt. Aber das soll eine Überraschung bleiben.
AD PERSONAM
Wolfgang Ainetter (hier auf Twitter) war Ressort-Leiter bei der Bild Zeitung, Chefredakteur der Gratis-Zeitung Heute und zuletzt Chefredakteur bei News – als längstdienender Chefredakteur nach dem Gründer. Diesen Sommer über bloggt Ainetter für The Gap über seine Hospitanz bei OZY im Silicon Valley.
WEITERLESEN:br />Erster Teil des Blogs – Die Bewerbung und die Vorgeschichte
Tag 4 Welcome To The Stone Age
Tag 5 Larry Page, Marissa Mayer und der Telefonzellenfabrikant
Tag 6 Anforderungsprofil für Silicon-Valley-Journalisten
Tag 7 Kann man mit Online-Journalismus Geld verdienen, Mister OZY?
Tag 8 Fingernägel, Nasenrotz und andere Erfolgsgeheimnisse
Tag 9 Friseure sind die besseren Schreiber
Tag 10 Nachts im Silicon Valley
Tag 11 The same procedure as every day and every week.
Tag 12 OZY = Apple = CNN = eBay = Google = Time Warner = White House