Nahezu unhinterfragt wird der Wiener Aktionismus als Einflussquelle so mancher künstlerischer Arbeit genannt. Peter Gorsen, Kenner und Wegbegleiter der Hauptakteure des Wiener Aktionismus, hat eine Textsammlung erstellt, die sich als Erklärung und ebenso als Geschichte des Aktionismus lesen lässt.
Ausgehend von den vier gestaltenden Persönlichkeiten des Wiener Aktionismus Günter Brus, Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler und Otto Mühl erfährt man von konkreten Aktionen, entscheidenden Momenten, Reaktionen und Einflüssen. Die Textsammlung geht nicht nach einem chronologischen Muster vor. So erweist sich eine Begriffs- und Theorie-Erläuterung in der zweiten Hälfte des reich bebilderten Textbandes als hilfreich. Allerdings gilt es zu beachten, dass Theorie und Begrifflichkeiten stark von der Interpretation des Autors geprägt sind. Der Wiener Aktionismus wird nicht nur als künstlerische Antwort auf politische und gesellschaftliche Erstarrung, sondern auch in seinem kunsthistorischen Kontext als Antwort auf die Werkkrisen der vorangegangenen Strömungen erläutert und um theoretische und philosophische Überlegungen angereichert. Die Aktionisten entgrenzten die autonome Werkkunst und führten sie in die Lebenspraxis über. Der Tabubruch ist essentiell. Gorsen ergänzt um persönliche Facetten der Künstler, wenn er etwa das Weltbild Schwarzkoglers anhand dessen Lektüre erklärt. Engagiert beschreibt der Autor auch einige Einflussbereiche des Aktionismus wie Fotografie, Film und Literatur. Einmal meint er, dass Rezeption und Produktion im Aktionismus kaum noch entwirrbar seien. Gorsens „Interpretationen und Einlassungen“, wie es im Untertitel heißt, scheinen aber gerade auf dieser Ebene gut gelungen. Die unterschiedlichen Textsorten, darunter Vorträge, Zeitungsartikel und wissenschaftliche Artikel Gorsens, geben ein gutes Kompendium eines Zeitzeugen ab. Am Ende der Textsammlung findet sich schließlich noch das Faksimile eines Briefes von Otto Mühl an den Autor.