Der zweite Roman ist stets am schwersten, aber leicht ist sowieso nichts für Weltekelpapst Heinz Strunk. Nach dem (für nicht Interessierte Überraschungs-)Erfolg des Muckerjugend-Schockers „Fleisch ist mein Gemüse“ und dem mannigfaltigen Hörspiel- und sonstigem Frühwerk lag die Latte hoch und nehmen wir es gleich vorweg: Der Heinzer wäre nicht der Strunker, wäre er nicht mit Bravour drunter durchgekrochen.
Der Schmerzens-Humorist des kleinen Mannes entwirft in „Die Zunge Europas“ mit dem Ich-Erzähler und 34-jährig früh vergreisten Gagschreiber Markus Erdmann ein Alter Ego des Autors, das mit fast schon bernhardesker Verzweiflung am Leben im Allgemeinen und an allem im Besonderen leidet. Mit stets ins Bizarre abzweigender Überpräzision seziert Erdmann die Banalität seines Alltags, sodass abseits von ziellos dahin galoppierenden, abseitigen, quatschhaften Nebenerzählungen (erinnert fast im guten Sinn an den ganz frühen Lottmann) als Plot gar nicht allzu viel übrig bleibt: Erdmann besucht seine senilen Großeltern, säuft, trifft sich mit seinem Freund und Arbeitskollegen Sven, säuft mit seiner Jugendbekanntschaft Janne, schaut fern, macht mit seiner Landzeitfreundin Schluss und plant einen Roman über seinen legendären Kaffeekoster-Onkel, genannt „die Zunge Europas“, zu schreiben.
Die erdrückende Ereignislosigkeit und vollkommene Apathie Erdmanns wird überkompensiert durch dessen hypergenaue Wahrnehmung der Details der Trostlosigkeit seiner Welt, die zu seitenlangen Gebrechens-Phantasien aufgebauscht oder Anlass von ebenso langen Hassorgien und Aufzählungen des Schreckens werden. Der Weltschmerz des Protagonisten ist vor allem ein Leiden an der Dämlichkeit ihrer (=jener der Welt) Sprache, weswegen „Die Zunge Europas“ konsequenterweise bei aller rohen Leichtigkeit ein extrem fein ziselierter Kristall an nicht-google-barer Wortmächtigkeit ist. Mit anderen Worten: Klingt zwar alles vollkommen bescheuert, ist aber mitnichten einfach hingerotzt, sondern Höchstleistung im Dienst an der Sprache (angeblich 16mal überarbeitet; man will es gerne glauben).
„Die Zunge Europas“ ist Strunker in Hochform gerade dort, wo er in der Selbstrezension des Romans wissend die vernichtende Kritik ansetzt: im Stückwerk, im Infokasten, in der geschickt unausgegoren montierten Kleinen Form (die eine oder andere Zweit- bis Drittverwertung sei verziehen). Auf einen (sowieso nur mehr in seiner eigenen Liga spielenden) Satiriker die Maßstäbe so genannter ernster Literatur anzulegen wäre zwar unangemessen, müsste Strunk aber gar nicht unbedingt schlecht wegkommen lassen, bietet die „Zunge“ der LeserInnenschaft doch auch die vielleicht berührendsten Schilderungen des Angedudeltseins während des zweiten Biers, des höhepunktlosen Ausklingens einer Lebensabschnittspartnerschaft sowie des frühmorgendlichen Verkaufsfernsehens der zeitgenössischen Literatur.
Oder wie es der sorry Entertainer vielleicht selbst sagen würde: Hauptsache ist, er hat wie immer geil abgeliefert.