Nach außen hin glamourös, prestigeträchtig und der Traumberuf vieler, hat die Theaterbranche auch eine wenig diskutierte Schattenseite aus Übergriffen, schlechten Arbeitsbedingungen, hierarchischem Machtmissbrauch und Täter*innenschutz. Mit genau dem richtigen Maß an Wut, Humor und Feingefühl greift das Kollektiv Institut für Medien, Politik und Theater in ihrem Stück »Nestbeschmutzung« die systematischen Probleme der Branche auf und an. Dabei reklamiert es mehr Schutz und Gerechtigkeit für Betroffene.
Ein regnerischer Donnerstagabend und ein ernstes Thema, das sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche zieht, trotzdem könnte die Stimmung bei der Premiere von »Nestbeschmutzung« im Kosmos Theater nicht besser sein. Der Publikumsraum ist komplett voll – manche sitzen sogar am Boden –, es wird viel geplaudert und gelacht. Das Stück beginnt mit drei Darsteller*innen, die in knallig farbigen Anzügen und glitzernden Schuhen in Fötus-Haltung nach den eigenen Füßen greifend auf der Bühne liegen und weinen. Die erste Anspielung auf ein Machtgefälle kommt direkt, als sich zwei der Babys in Tiere verwandeln, eines davon blökend und das andere brüllend – wie Löwe und Lamm oder ein Wolf unter Schafen. Auch der oft toxische Zusammenhalt und die Exklusivität der Theaterbranche wird dem Publikum gleich zu Beginn sinnbildlich vor Augen geführt, als die Darsteller*innen sektenartig mit weißen Masken im Gesicht, in ein großes Tuch gehüllt geloben, an die »Unsterblichkeit des Theaters« zu glauben, während sie in einem grellen Lichtkegel um eine rote Truhe stehen, aus deren Inneren es verheißungsvoll leuchtet.
»Zu mir war er immer lieb«
Der »Kult« löst sich auf als plötzlich laut »Absolutely Everybody« von Vanessa Amorosi erötnt und die Party – das jährliche »Klassentreffen«, bei dem sich die Prominenz der Theaterbranche versammelt – beginnt. Schauspieler*innen kondolieren einander zu nicht-gewonnenen Preisen, geben oberflächliche TV-Interviews und tauschen sich aus über schlechte Arbeitsbedingungen und problematische Vorgesetzte, die trotz aller Anschuldigungen nicht suspendiert werden. Im Verlauf der Party werden die Gesprächsthemen immer ernster – und trotz aller Schwere wird dank der satirischen Zwischentöne des Stücks viel gelacht. Aussagen wie »Die Gerüchte sind krass aber zu mir war er immer lieb« oder »Ich schäm‘ mich ein bissi, aber ich hab mich trotzdem beworben« amüsieren einerseits und zeigen andererseits gemeinsam mit Erzählungen von ungewollten Zungenküssen und anschließend erfolgreichen Karrieren die festgefahrene Praxis, dass man Machtmissbrauch in Kauf nehmen oder die Arbeit am Theater hinter sich lassen muss.
»Ohne Loyalität geht es einfach nicht«
Ein großer Teil des Stücks zeigt die de facto Unmöglichkeit, sich als Schauspieler*in nach einem Übergriff zu wehren: wir begleiten eine Person, deren Intendanz ihr nach viel Schikane und Kritik ungefragt in den Schritt fasst. Bei einem Einzelgespräch mit der Intendanz fällt der Satz: »Bei der Premiere warst du super, also muss es irgendwie geholfen haben.« Weder der Betriebsrat noch die Anlaufstelle der Branche noch die Rechtsberatung noch die Polizei helfen weiter: Die Person ist entweder zu emotional oder nicht emotional genug, erinnert sich zu schlecht an das Ereignis oder so gut, dass alles nur Kalkül ist, und ist entweder ein Einzelfall oder führt eine Schmierkampagne gegen die Intendanz. Eine Journalistin, der sich die Person anvertraut, warnt sie auch, dass jegliche Art des Vorgehens negative Konsequenzen für die Person haben wird – egal ob anonym oder mit Klarnamen. Die Bottom Line? Das Haus darf auf keinen Fall beschädigt werden. Also wird die Rolle neu besetzt und eine halbherzige Stellungnahme geschrieben, weil »ohne Loyalität geht es einfach nicht«.
»Auf den Dreck aufmerksam machen ist schlimmer, als ihn zu verursachen«
Ein weiteres großes Thema in »Nestbeschmutzung« ist die Dankbarkeit, die man in der Theaterbranche gefälligst zu spüren hat. Eine Schauspielerin macht ihren Weg durch das Publikum Richtung Bühne, um einen Preis entgegenzunehmen und – wie man es von den Oscars und Co. kennt – bedankt sie sich zuerst bei ihrer Familie, die immer so unterstützend war, und anschließend bei ihrer Theaterfamilie. Der Dank an Kostüm, Bühne, Technik, Assistenz und Hospitanz mit einem Strahlen in ihren Augen, aber kaum spricht sie von der Regie, vergeht ihr das Lächeln. Was folgt ist eine unglaublich kathartische Dankesrede über mieses Gehalt, den Gender-Pay-Gap, künstlich erzeugten Konkurrenzkampf, den Male Gaze, Panikattacken und Depressionen sowie vieles mehr. Das stößt auch im Publikum auf viel wissendes Lachen und Zuspruch. Der verliehene Preis liegt weggeworfen am anderen Ende der Bühne und trotzdem ist das ernüchternde Fazit, dass es schlimmer ist, auf den Dreck in der Branche aufmerksam zu machen, als ihn zu verursachen. Den kompletten Ausstieg aus diesen Dynamiken können sich nämlich nur diejenigen leisten, die nicht auf sie angewiesen sind.
Der Kampf gegen die Hydra
Das Kollektiv Institut für Medien, Politik und Theater vergleicht den Kampf gegen die widrigen Umstände in der Theaterbranche sehr treffend mit dem Kampf gegen die Hydra, einem Monster, dem sofort zwei Köpfe nachwachsen, wenn man ihr einen abhackt. Obwohl dieser Kampf vergebens scheint, verlässt man das Stück weder deprimiert noch mit einem Gefühl der Machtlosigkeit, sondern amüsiert und empowert: Egal wie schwer es sein mag die Hydra zu töten, »absolutely everybody breathes and everybody bleeds«. Das Stück zeigt die toxischen Strukturen des Machtmissbrauchs in der Kulturbranche schlau und unterhaltsam auf, ohne diese zu verharmlosen, und löst – komplett ohne pathetische Mitleidsbekundungen – Betroffenheit aber auch Tatendrang im Publikum aus. Egal, ob man mit der Branche vertraut ist oder nicht, »Nestbeschmutzung« bietet ein kurzweiliges und informatives Theatererlebnis und ist ein Vorzeigebeispiel für Recherchetheater, das sich seinen Themen nicht nur mit künstlerischer sondern auch inhaltlicher Verantwortung widmet.
»Nestbeschmutzung« ist noch am bis 20. April 2024 im Kosmos Theater zu sehen. Am 10. April gibt es vor der Vorstellung ein Einführungsgespräch und am 11. April gibt es im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch mit dem Team der Produktion und Dr. Maria Windhager (Rechtsanwältin und Expertin für Medienrecht).