Götz Spielmann konnte mit »Revanche« nicht nur international einiges an Aufmerksamkeit auf sich ziehen, er brachte es damit sogar zu einer Auslands-Oscar-Nominierung. Das Familiendrama »Oktober November« ist nun sein mit Spannung erwartetes Folgewerk. The Gap hat den Regisseur zum Gespräch getroffen.
Der Sterbeprozess des Vaters nimmt einen beträchtlichen Teil des Filmes ein, was recht ungewöhnlich ist …
Zuerst einmal eine Gegenfrage: Ist es nicht merkwürdig, dass das, was da geschieht – jemand stirbt und das braucht seine Zeit, seine Angehörigen sind bei ihm und müssen damit umgehen –, dass so etwas kaum jemals gezeigt wird, obwohl es doch etwas so Alltägliches ist? Und weiter gefragt: Ist der Tod nicht auch ein großes Mysterium, das unser Intellekt nicht wirklich … fassen kann? Und ist er nicht deswegen auch – wie zum Beispiel Liebe oder Gerechtigkeit – eines der ganz großen Themen der Kunst? Und ist es da nicht verwunderlich, wie nebenbei, wie leicht im Kino gestorben wird und wie selten das wirklich erzählt wird? Dies zu zeigen ist völlig normal und selbstverständlich. Dass das soviel Fragen aufwirft zeigt eher, dass wir in einer merkwürdigen Kultur leben. Im Film hat das natürlich eine ganz wichtige erzählerische Funktion. So etwas zu erfahren ist nicht nur schrecklich und zum Verzweifeln, sondern da steckt auch ganz viel Kraft und Wahrheit drinnen. Und das kann auch, so merkwürdig es klingt, eine große und tiefe Bereicherung sein. Es ist ganz wichtig für die Geschichte, dass die zwei Schwestern diese Erfahrung gemeinsam machen. Da liegt auch eine große Versöhnung drinnen, da sie in dem Moment wahrscheinlich so intensiv einander liebende Geschwister sind, wie sie es schon lange nicht mehr waren. Es führt sie in gewisser Weise gemeinsam an ihren Ursprung zurück. Und das ist die große Hoffnung, mit der der Film endet.
Wie kann man die Wallfahrtsgruppe interpretieren, die Sonja bei ihrer Wanderung vertreibt und die die Gaststätte danach überfallsartig in Beschlag nimmt?
Die kann man glaub ich ganz verschieden interpretieren. Und das ist auch wertvoll und gut und richtig. Ich mache ja nicht deshalb Filme, weil ich meine Gedanken, Philosophien und Ideologien darin verkünden will. Erzählen ist für mich eine poetische Arbeit und der Versuch, ein Erlebnis zu schaffen. Ein Erlebnis und nicht ein Denksystem. Weil ein Erlebnis fundamental ist. Immer. Wenn wir etwas erleben, ist das fundamental. Wie wir es dann interpretieren, ist bereits sekundär. Ich will Fundamentales schaffen und nichts Sekundäres.
Nora von Waldstätten musste, um sich auf ihre Wanderszene vorzubereiten, selbst auf den Berg hinaufsteigen. Quälen Sie Ihre Schauspieler manchmal?
Nein, ich quäle sie überhaupt nicht. Nie. Ich verlange ihnen nicht mehr ab, als sie geben wollen oder können. Ein guter Schauspieler verlangt sich selbst sehr viel ab. Weil er eine Figur erfüllen will. Weil er komplex sein will. Weil er authentisch sein will. Ich begleite ihn dabei mit meinem Wissen und Können als Regisseur. Mit Schauspielern, die sich nicht selbst fordern, könnte ich gar nicht arbeiten. Das sind langweilige Schauspieler.
Lassen Sie ihren Schauspielern Freiraum in der Gestaltung der Rollen oder wollen Sie alles vorgeben?
Ich habe ein sehr präzises Ziel. Ich bin aber darin offen, wie ich es erreiche. Jeder Schauspieler kann seine Figur bereichern und damit auch irgendwie verändern. Ich versuche den Schauspielern so gerecht wie möglich zu werden und sie nicht in etwas zu zwingen, das ihnen nicht entspricht. Ja, und ich mag Schauspieler und ich liebe es, mit ihnen zu arbeiten. Ich glaube, das spüren sie auch. Diese Zuneigung und die Tatsache, dass ich sehr genau weiß, was ich da tue, sind sehr wichtig, weil es den Schauspielern Sicherheit gibt. Eine Sicherheit, in der sie erst frei werden, in der sie sich erst öffnen können.
»Oktober November« startet am 8. November in den heimischen Kinos. Seine Österreich-Premiere feiert der Film im Rahmen der Viennale, die heuer von 24. Oktober bis 6. November stattfinden wird.