Sex and the Lugner City: Dark Mode

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal interessiert ihn die dunkle Seite der Benutzeroberflächen.

© Yehudit Richter

Manchmal tut man Dinge wider besseres Wissen. Oder, wenn man ich ist, mehrere solcher Dinge auf einmal. An einem einzigen Abend ging ich beispielsweise zum wiederholten Male bowlen, obwohl ich es hasse, hatte zwei Cola Zeros nach 20 Uhr und vertrieb mir meine Schlaflosigkeit mit etwas Doomscrolling. Kriege, Katastrophen, Klima: Ist irgendetwas eigentlich nicht im Arsch? Ich fühlte, wie das Leben teurer, alles kaputt und täglich hässlicher wird. Dabei sollten mich die letzten Jahre eigentlich abgehärtet haben. Das Heraufdräuen vielfältiger Weltkrisen fühlt sich doch mittlerweile auch nicht schlimmer an als die Aussicht auf ein Wochenende mit schlechtem Wetter. Doch in diesem Sommer war es nicht so einfach, seine Ängste auf Armlänge zu halten. Die Zukunft wirkte immer mehr wie ein Vogel, der aus Versehen in dein Wohnzimmer geflogen ist und gar nicht mehr vorhat, es zu verlassen – weil es selbst den Vögeln zu heiß zum Fliegen ist bei 38 Grad.

Nach einer Dreiviertelstunde legte ich mein Handy aus der Hand. Der ermattete Screen schenkte meinen müden Augen etwas Entspannung. War er nicht das Instrument, auf dem ich pausenlos meinen eigenen Weltuntergang arrangierte? Ich konnte nicht umhin, mich zu wundern: Sollte ich an meiner Handynutzung etwas ändern?

Black Mirror

Damit meinte ich natürlich nicht meine actual Handynutzung. Ich bin kein Arzt, aber ich denke, fünf Stunden und 20 Minuten am Tag sind gut und richtig. Appelle, von seinem Handy aufzublicken, sind ziemlich 2012. Selbst die erste Staffel »Black Mirror« würde heute niemanden mehr wachrütteln. Sie wirkt mittlerweile fast wie eine Dokumentation, die halt etwas aufwendiger produziert worden ist. Doch während ich mit dem Daumen den Doom vor mir herschob, fiel mir eines auf: Die Screenshots der sarkastischsten Tweets, der traurigsten Memes und der verzweifeltsten Takes hatten eines gemeinsam: Sie wurden im Dunkelmodus erstellt. Jahrelang hatte ich mich gefragt, was das für Menschen sind, die ihr gesamtes Internet in Schwarz tauchen. Während sich Light-Mode-Leute wie ich von zu viel blauem Licht blenden ließen, verdüsterten die Dark-Mode-People ihre gesamte Weltwahrnehmung als die einsamen Saxofonspieler*innen des Internets, die sie sind. Das fand ich schon immer ein bisschen badass, irgendwie hackery, charmant edgy. Nun war auch ich so weit. Ich ging in meine I-Phone-Settings und tat den letzten Schritt. Erst auf »Anzeige & Helligkeit«, dann unter »Erscheinungsbild« einfach den blauen Haken bei »Dunkel« setzen. Vor mir lag eine völlig neue User Experience.

Finstergram und Whatsdawwn

Mir war nämlich nicht bewusst, wie stark der Schatten war, der sich auf mein digitales Leben legen würde. Dass mich X, vormals Twitter, in Schwarz noch mehr runterzog, war keine große Überraschung. (Wie lange werden wir eigentlich noch »X, vormals Twitter« schreiben?) Instagram ist sowieso nicht als Stimmungsaufheller bekannt, weil man dort immer sieht, was für tolle Dinge andere Menschen unternehmen. Als Finstergram jedoch transportierte jedes süße Welpen-Reel auf einmal auch den Subtext, dass auch dieser süße Welpe irgendwann einmal sterben wird. Whatsdawwn, vormals Whatsapp, färbte alle meine Messages in ein schlammiges, deprimierendes Olivgrün. Mein Youtube, mein Co-Star, mein Kalender, mein Onlinebanking – in Schwarz nahm ich jeden Inhalt als ernster und bedrohlicher wahr. Nach fünf Stunden und 20 Minuten legte ich mein Handy beiseite. War ich bereit für den Dunkelmodus? Immerhin sind einige meiner besten Freunde*innen Dark-Mode-People. Ich beschloss, sie in einer schlaflosen Nacht zu treffen, an der dunkelsten Ecke des Internets, schwarz gekleidet, große Tassen schwarzen Kaffees in der Hand, und fragte sie: Wie haltet ihr das aus? »Josef«, antworteten sie einhellig, »Schwarz ist doch nicht negativ.«

Schwarz ist doch nicht negativ

Zu meiner Verwunderung begründeten sie ihre Vorliebe ganz sachlich: Der Dark Mode sei akku- und somit auch umweltschonend, außerdem würden ihre Retinas weniger beansprucht. Das mache sie insgesamt sogar glücklicher, nicht das Gegenteil. In Sachen UX solle ich mir deshalb kein X für ein U vormachen. Wie deprimierend ich die Comments unter einem Kickl-Post wahrnehme, hänge doch nicht von meinen I-Phone-Settings ab. Dark-Mode-Leute hätten einfach andere ästhetische Vorlieben und kein besseres Rezept, die gegenwärtige Panik zu verdauen. Morgens blickte ich auf die noch unbelebte Straße, in der ich wohne. Das war also diese Welt, die so kaputt war. Plötzlich begriff ich: Es liegt nichts Erhabenes darin, sich von der Realität runterziehen zu lassen.

Unser individuelles Empfinden prallt hin und wieder auf die Hitzewand eines Feeds, der einem den Glauben an die Menschheit vergällt. Schlimme Dinge bleiben schlimm, egal wie badass, hackery oder edgy man sie liest. Es kommt drauf an, wie nah man sie an sich heranlässt. Als die Tiere, die wir sind, werden wir versuchen zu überleben. Das bedeutet auch, nur noch so viele Colas zu trinken, dass man noch auf den Schlafzug aufspringen kann, und nur noch bowlen zu gehen, wenn man für ein Teambuilding dazu gezwungen wird. Beides kann man lernen.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Erinnerungen haben keine Häuser«. Termine und weitere Details unter www.knosef.at. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at zu erreichen, auf X (vormals Twitter) unter @knosef4lyfe.

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