Sex and the Lugner City: Hallo!

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal erzählt er von Gesichtsblindheit und Hallo-Mangel.

© Yehudit Richter

Ein kräftiges Hallo schadet nie. Im Gegenteil. Es verleiht eine freundliche und selbstbewusste Aura, selbst wenn man eine Person gar nicht so gut kennt. Außerdem bilde ich mir ein, dass man mit jedem Gruß ein kleines Nest der Menschlichkeit baut, das uns in eisigen Zeiten ein wenig zu wärmen vermag. Wer wird nicht gerne wahrgenommen? Die ganze Welt ist Hallo-Territory, so meine langjährige Überzeugung. Doch im Alltag geht manchen ein Hallo nicht so leicht über die Lippen. Zum Beispiel meinem Nachbarn. Egal, wie laut ich ihn grüße, zurück kommt nur lärmende Stille.

Diese Situation ist aus einem besonderen Grund pikant. Vor einigen Jahren bat er mich nämlich, ihm mein ungenutztes Kellerabteil zu überlassen, weil er Platz für sein angeblich florierendes Online-Business brauchte. In einem Anflug von Großzügigkeit trat ich ihm meine sechs Quadratmeter Stellfläche gerne ab. Insgeheim erwartete ich, dass wir uns von da an auf einer soliden Grüßbasis befinden würden. Aber nichts da. Im Laufe der letzten Jahre hat er Schulden in der Höhe von mehr als hundert Hallos bei mir angehäuft. Als ich ihm vor Kurzem am Postkasten begegnete, grüßte er mal wieder nicht zurück. Ich konnte nicht umhin, mich zu wundern: War ich als verlässliche Grüßmaus eigentlich der Trottel vom Dienst?

Gesichtsblindheit ist real

Diese Frage ist natürlich nicht so einfach zu beantworten. Der Weg zum erfolgreichen Austausch von Hallos kann ein weiter sein. Unbedingte Voraussetzung ist dabei vor allem eines: sich gegenseitig wiederzuerkennen. Hier beginnen schon die Schwierigkeiten. Denn Gesichter sind längst nicht so verschieden, wie viele glauben. Im geschäftigen Treiben einer Großstadt gerinnen sie oft zu circa. Weil sie mittlerweile so häufig vorkommen, kann man sich selbst an originellen Charakteristika wie Curtain Bangs oder Oberlippenbärtchen nicht mehr festhalten. Einander wiederzuerkennen ist praktisch zur Glückssache geworden.

Das wissen vor allem Menschen, die wie ich an Gesichtsblindheit leiden. Gleich-verschieden-Urteile fallen uns Betroffenen schwer, vor allem wenn wir in der U-Bahn oder einer Bar wieder mal von einem beigen Tellergesicht angesprochen werden. Gesichtsblinde haben dann nur zwei Möglichkeiten: entweder vorzutäuschen, dass sie die unbekannte Person erkennen, oder sich charmant und ein bisschen quirky als gesichtsblind zu outen.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass mich die Kombination aus begeistertem Hallo-Sagen und Gesichtsblindheit in meinem Alltag häufig vor Probleme stellt. Mein Nachbar hingegen war ja sogar einmal in der Lage, mein Gesicht mit einem Kellerabteil zu verbinden. Von Gesichtsblindheit konnte bei ihm also keine Rede sein. Ist er also einfach ein schlechter Mensch?

So weit würde ich nicht gehen. Denn jedes erfolgreiche Hallo verlangt nach einem Follow-up. Hat sich die zarte Knospe eines Grußes nämlich erst einmal geöffnet, kommt man um den Vornamen meistens nicht herum. Hier offenbaren sich zwei meiner größten Schwächen. Erstens kann ich mir Vornamen nicht so gut merken. Jede zufällige Begegnung empfinde ich deshalb ein bisschen wie eine Quizfrage, deren Antwort mir auf der Zunge liegt. Zweitens kann ich mir manche Schwächen nicht so gut eingestehen, weshalb ich meistens alles auf eine Karte setze und jenen Vornamen laut ausspreche, den ich für am wahrscheinlichsten halte. Das ist dann nicht immer schön. Wenig ist unangenehmer als herauszufinden, dass jemand eigentlich Julian heißt, nachdem du ihn monatelang äußerst souverän Matthias genannt hast. Aber Christoph, Anna, Kathi, Lukas? Österreichische Vornamen – einfach ein Rack reizlose Oberteile in einem Vorstadt-H&M. Wohlgemerkt: Das sage ich als jemand, der Josef heißt.

Vom Kontext ganz zu schweigen. Woher kenne ich diese Person? Was empfinde ich ihr gegenüber? Hat sie mich schon einmal nackt gesehen? Grüßen wirft so viele Fragen auf! Sollte ich überhaupt so vielen Menschen ein – in dieser Stadt so kostbares – Hallo schenken? Ich musste an einen Freund denken, der immer alle grüßt. Allerdings ist er auch praktischer Arzt. Ohne E-Card-System hätte selbst er keine Chance, Tausende Patient*innen auseinanderzuhalten. Bei näherer Betrachtung ist ein angemessener Gruß ohne Zugang zu den Daten der Sozialversicherung also nicht nur unmöglich, sondern höchstwahrscheinlich auch ungesund.

Say My Name!

So in etwa meine Gedanken, als ich unlängst wieder vor dem Postkasten stand. Plötzlich räusperte sich jemand hinter mir – mein Nachbar. »Kann ich mal?«, fragte er, als wären wir uns noch nie begegnet. »Na sicher«, antwortete ich menschenfreundlich, aber doch cool. »Wir sind doch auch nur zwei Gesichtsblinde mit einem Online-Business, die sich nach etwas Wärme in ihrem Alltag sehnen.« Doch er sah mich nur verwundert an. »Ich glaube, Sie müssen mich verwechseln«, antwortete er, während er seine Post unter den Arm klemmte und sein Fach wieder verschloss.

Vielleicht hatte ich ihn tatsächlich verwechselt, kam es mir. Trotzdem war da so eine wohlige Stimmung zwischen uns. In diesem Moment schwor ich mir, weiterhin ein Grüßotto zu bleiben und der Welt meine Hallos zuteilwerden zu lassen. Es kostet schließlich nichts! Im Gegensatz zu sechs Quadratmetern Stellfläche. Wer zur Hölle nutzt eigentlich meinen Keller?

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Erinnerungen haben keine Häuser«. Termine und weitere Details unter www.knosef.at. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at zu erreichen, auf X (vormals Twitter) unter @knosef4lyfe.

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