Sex and the Lugner City: Love Is Bland

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal untersucht er die Parallelen zwischen Teambuilding und Datingshows.

© Yehudit Richter

Teams seien wie kleine Familien, sagte einmal ein väterlicher Arbeitskollege zu mir. Denn wer neue Leute einstelle, bilde immer auch seine eigene Familie nach. So seine systemische Argumentation, bevor er mich an seinem Finger ziehen ließ. Tatsächlich gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen Arbeitskolleg*innen und Geschwistern. Man gibt sich neckische Spitznamen, isst an Geburtstagen gemeinsam Kuchen und trifft sich in den meisten Fällen ausschließlich, weil man dazu verpflichtet ist.

Doch die meisten Chef*innen müssen es irgendwann übertreiben. Dann werden Mitarbeitende, die nichts als ihr Broterwerb verbindet, gezwungen, in ihrer Freizeit bowlen zu gehen, Glühwein zu trinken oder beim Wichteln gegenseitig ihren Geschmack zu verfehlen – allesamt Dinge, die gütige Eltern ihren Kindern niemals zumuten würden. Teambuilding heißt diese Unsitte. Die Betriebswirtschaft meint, die arbeitsteilige Produktivität zu steigern, indem man unselbstständig Beschäftigten mit aufoktroyierten Freizeitbeschäftigungen auf den Senkel geht. Am effektivsten vollziehe man dies, wenn man ein ganzes Team in ein Motel One steckt und ein paar Mal mit einem Flipchart draufhaut, so wie es mir vor Kurzem passierte. Ich konnte nicht umhin, mich zu wundern: War ein stabiles Einkommen diese ganzen Strapazen wert?

Love Is Blind

Es hängt immer davon ab, wen man fragt. Hin und wieder kommt es vor, dass sich Angestellte ihrem internalisierten Klassenhass beugen und Teambuildings etwas abgewinnen können. So wie diese eine Salzburger Kollegin. Die saß schon zu Beginn ganz vorne im Seminarraum und gierte nach dem Tennisball, um endlich loszuwerden, wer sie war und was sie sich von den kommenden zwei Workshoptagen erwartete, während ich noch versuchte, mit einem Seminarraummöbel eins zu werden, um zumindest optisch zu verschwinden. Denn es sollte – wie literally immer – eine Gruppenaufgabe folgen. Edding und Naturpapier, man kennt den Drill.

Gefühlte Stunden beobachtete ich meine Teamkolleg*innen, wie sie selbstgebastelte Schilder auf das erwähnte Flipchart klebten, und fragte mich dabei, ob ich viel schlauer oder viel dümmer war als sie. Denn am Ende würden alle alles super finden und die Flipcharts abfotografieren, aus einem mir nicht erfindlichen Grund. Wie viel Sinnvolleres hätte man mit dieser Zeit anfangen können! Zum Beispiel gemeinsam eine ganze Season der Netflix-Show »Love Is Blind« niederreißen. Danach hätte man trefflich darüber diskutieren können, ob Hannah wirklich nur zu direkt ist oder doch eine Bitch, oder ob Ashley ihrem Ehemann in spe Tyler zu früh wegen seiner drei verschwiegenen Kinder verziehen hat oder gerade rechtzeitig. So musste ich all das später im Motel One alleine nachholen. Aber der Reihe nach.

Life Is Blind

»Love Is Blind« ist eine extrem interessante Datingshow. Die datenden Paare bekommen sich nämlich erst zu Gesicht, nachdem sie sich bereits verlobt haben. Deshalb müssen sie auf die harte Tour herausfinden, dass Liebe alles andere als blind ist. Das ist sehr unterhaltsam, wenn sich jemand sein Significant Other z. B. besonders groß vorgestellt hat und es dann sehr klein ist. Weil jedoch niemand oberflächlich erscheinen und zugeben möchte, dass die Looks des oder der Verlobten nicht up-to-par sind, ergießen sich Schwalle passiver Aggression über die anderen Kandidat*innen.

Das macht den meisten überhaupt nichts aus, weil der Cast der Show fast ausschließlich aus Menschen besteht, die irgendetwas managen. Alle sind Regional Manager, Sales Manager, Yoga Instructor Manager oder Interior Decorator Manager. Als leitende Angestellte mit Personalverantwortung reproduzieren sie tagein, tagaus die Kultur des Kapitalismus. Dazu gehört unter anderem, in einer Art Gameshow die große Liebe zu suchen und unbescholtene Mitarbeiter*innen zum Teambuilding zu zwingen. Und hier schließt sich für mich der Kreis dieser Kolumne.

Life Is Bland

Nach einem harten Teambuilding-Tag möchte man einfach nur im Motel One chillen. Doch gerade als ich es mir bei »Love Is Blind«, S07E04, gemütlich gemacht hatte, klopfte es an meiner Tür. Ein Arbeitskollege wies mich darauf hin, dass sich alle noch für einen Absacker an der Bar treffen würden. Natürlich hätte ich am liebsten geantwortet: »Warum willst du mit Arbeitskolleg*innen was trinken gehen? Hast du keine Freund*innen?« Doch ich war mir bewusst: Wenn du beim Absacker mit Kolleg*innen an der Motel-One-Bar abwesend bist, wird gottlos über dich gelästert.

Deshalb schleppte ich mich in die Lobby und bestellte mir ein kleines Bier um sieben Euro. Schon von Weitem hörte ich die Salzburger Kollegin ausgelutschte, moralisch aufgeladene Talking Points skandieren. Sie esse zwar Fleisch, aber nur regional – solche Dinge. Als ich auftauchte, plötzlich alle so fake: »Ah, der Josef ist da!« Unter akutem Small-Talk-Zugzwang presste ich kurz ein paar Facts über »Love Is Blind« hervor, worauf die Salzburgerin irgendetwas Meinungsstarkes über Trash-TV sagte. Teams sind schon weirde Gebilde, dachte ich mir, während ich innerlich flüchtete und mich in ein hässliches Loungemöbel vor einem Fernseher mit flackerndem Lagerfeuer curlte. Was danach passierte, weiß ich nicht mehr. Mein Teamleiter muss gekommen sein und mich zugedeckt haben.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Erinnerungen haben keine Häuser«. Termine und weitere Details unter www.knosef.at. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at zu erreichen, auf X (vormals Twitter) unter @knosef4lyfe.

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