Boulevardmedien strapazieren Grenzen oder überschreiten sie sogar. Der Blog Kobuk sammelt seit einiger Zeit genau solche Verfehlungen. Höchste Zeit, zwei Protagonisten zu einem Streitgespräch zu laden.
Helge, liest du News?
Fahrnberger: News als Produkt ist mir schon länger nicht mehr untergekommen. Die Geschichten von Kurt Kuch aber jedes Mal, auch durch den sozialen Filter. Wobei die Frage ist, ob man solche Aufdeckungen nicht eher einem Kurt Kuch oder einem Florian Klenk zuschreibt, statt den Magazinen.
Ainetter: Die Tatsache, dass Aufdeckergeschichten funktionieren, freut mich jedesmal. Übrigens habe ich die Mittwochabend-Kolportage unter anderem deshalb gestoppt. Mich hat es unheimlich genervt, wenn Kuchs Exklusivgeschichten Donnerstags in den Gratiszeitungen erschienen sind. Was für einen Grund hab ich dann noch News zu kaufen?
Investigativ-Journalismus lebt ja oft vom Skandal. Zahlt es sich aus, an einem Thema dranzubleiben?
Ainetter: Die Herausforderung ist, Themen auch nach Wochen noch neue Wendungen abgewinnen zu können. Seien wir mal ehrlich: Die 100. Geschichte über „Hypo Alpe Adria“ interessiert keinen mehr. Dass Gusenbauer dort für eine halbe Stunde Vortrag 18.000 Euro bekommen hat, schon.
Bricht diese personenbezogene Skandalisierung nicht systemische Probleme auf persönliche Verfehlungen herunter?
Ainetter: So lang die Geschichte stimmt, sehe ich da überhaupt kein Problem. Das gehört sicher auch zum Formalismus von Boulevard: Wenn ich eine Geschichte personalisiere, wird sie einfach 100x mehr gelesen.
Fahrnberger: Aber sie muss halt stimmen. Und das tun die Geschichten nicht immer.
Kobuk entsteht im Zuge von Seminaren auf der Publizistik. Seit 2010 beobachten jeweils 20 Studierende die österreichische Medienlandschaft. Was sagen die zu News?
Fahrnberger: Selbst Publizistikstudierende lesen weitgehend keine Kaufzeitungen mehr. Ein News-Thema kommt dann vor, wenn wir einen externen Hinweis darauf bekommen. Mal ehrlich: Wie viele Leute Anfang 20 lesen News? Das heißt, dass die Häufigkeit der Kobuk-Artikel über Gratiszeitungen erstmal mehr über die Studierenden als über die Zeitungen aussagen. Obwohl beispielsweise Österreich einem die Kritik natürlich leicht macht.
Was macht denn mehr Spaß: Üblichen Verdächtigen oder vermeintlichen Musterschülern eins reinzuwürgen?
Fahrnberger: Auch bei uns gibt es eine Boulevardisierung. Natürlich ist es weniger prickelnd Wolfgang Fellner den 30. Interessenskonflikt zwischen einer Anzeige und einem Artikel nachzuweisen als einem Florian Klenk einen sachlichen Fehler.
Ainetter: Hat schon mal ein Politiker bei Kobuk interveniert?
Fahrnberger: Uns stecken natürlich auch Menschen Dinge, die uns für Agenda-Setting missbrauchen wollen. Aber es sind grundsätzlich alle eingeladen. Man darf uns auch böse Dinge über Konkurrenten schicken. Wir trauen uns zu das zu bewerten.
Es gab letztens Gerüchte über einen Wirtschaftsredakteur bei News, der Geschenke angenommen haben soll. Wie geht man mit sowas als Chefredakteur um?
Ainetter: Ich habe sehr intensiv mit dem Kollegen gesprochen, und ich halte die Hand für ihn ins Feuer. Das Problem ist ja vor allem, dass die Grenze so fließend ist. Man erfährt halt Geschichten oftmals, weil man irgendwo mit unterwegs ist.
Was darf ein Journalist da, und was nicht?
Ainetter: Ich bin für restriktive Regeln und hab auch schon Geschenkkörbe zurückgeschickt. Aber manche Pressesprecher kennt man halt schon ewig. Ein uralter Bekannter vom ORF lässt sich von mir nicht mehr zum Essen einladen. Das ist übertrieben.
Fahrnberger: Letztlich ist die Grenze nicht in Euro messbar und hängt vom Kontext ab. Da kann Transparenz helfen: Ein Reisejournalist darf sich durchaus auf eine Reise einladen lassen, muss es aber schreiben. Dieser Disclaimer ist auch guter Hinweis auf unmoralisches Verhalten: Wenn es mir peinlich ist, die Einladung zuzugeben, war sie vermutlich auch nicht in Ordnung. Wobei man auch sagen muss: Das viel wichtigere Thema ist das Verschwimmen von Redaktion und Anzeige.
Und das Eintauschen von Anzeigen gegen Artikel.
Ainetter: Die Anzeigenkunden wissen natürlich, dass Medien Geld brauchen. Manche Gratiszeitung hat da schlecht vorgelegt und eine Spirale nach unten in Gang gesetzt. Es kommt von den Kunden a oft: „Warum macht ihr das denn nicht? Die anderen machen das doch auch.“
Fahrnberger: Wie geht News damit um? Und zwar nicht im Politik/Wirtschaftsteil, sondern im Reise- oder Lifestyle-Teil? Da wird’s ja spannend.
Ainetter: Politik und Wirtschaft sind natürlich No-Gos, damit macht man sich alle Glaubwürdigkeit kaputt. Wir versuchen es anderswo zumindest immer sauber zu deklarieren.
Fahrnberger: Hängt die redaktionelle Präsenz einer Marke bei euch mit ihren Inseraten zusammen?
Ainetter: Die Wünsche der Anzeigenabteilung sind notwendigerweise konträr zu denen der Redaktion. Man muss aber sehr vorsichtig sein. Der Leser durchschaut das, und auf Dauer verliert man jede Glaubwürdigkeit.
Fahrnberger: Das weiß ich nicht. Österreich macht in einer Woche drei Geschichten über die Mediamarkt-Eröffnung in Stadlau. Und in jeder Ausgabe dazu ein großes Inserat. Die Zeitung gibt es trotzdem noch.
Ist auch das Verkaufen von redaktionellem Umfang verwerflich? Selbst wenn die Richtung nicht vorgegeben ist?
Fahrnberger: Wenn es ohne diesen Werbekunden keinen Grund gäbe, vier Seiten über ein Thema zu machen, dann gibt es mit diesem Werbekunden wahrscheinlich auch keinen.
Ist das Schaffen von Umfeld nicht etwas anderes als das Kaufen von Umfeld?
Fahrnberger: Wenn du in deiner Zeitung einen Zusatzteil machst, weil du glaubst, dass das Leute interessiert und du diese an Werbekunden verkaufen kannst, ist das normales Verlagsgeschäft. Etwas anderes ist es, wenn jemand mit Budget zu dir und du sagst: Interessiert zwar keinen, aber wir saugen uns etwas aus den Fingern. Es geht um die Reihenfolge.
Ainetter: Solange die redaktionelle Freiheit gegeben ist, habe ich da persönlich kein Bauchweh. Ich bin froh, dass wir uns den teuren, investigativen Journalismus leisten können. Aber man muss ihn auch irgendwie finanzieren.
Seite 3: Über Persönlichkeitsrechte, Charlotte Roche und Gefängnisbesuche bei Josef Fritzl.