Boulevardmedien strapazieren Grenzen oder überschreiten sie sogar. Der Blog Kobuk sammelt seit einiger Zeit genau solche Verfehlungen. Höchste Zeit, zwei Protagonisten zu einem Streitgespräch zu laden.
Wie oft telefoniert der News-Chefredakteur mit seinem Medienanwalt?
Ainetter: Einmal die Woche.
Ist das österreichische Persönlichkeitsrecht stark genug?
Fahrnberger: Das ist ein Recht, das in unserem Land täglich mit Füßen getreten wird. Das schlimmste Beispiel ist für mich der sogenannte „Inzest-Opa aus dem Innviertel“. Da ist ein 80jähriger über Wochen mit Foto im Boulevard abgebildet gewesen, der sich später sogar als unschuldig herausgestellt hat. Der Leser konnte nicht einschreiten, der Staatsanwalt konnte nicht einschreiten. Meines Wissens ist keine Zeitung verurteilt worden.
Wie ließe sich so etwas verhindern?
Fahrnberger: Hier sehe ich schon rechtlichen Nachholbedarf. Zum einen die Erweiterung der Parteienstellung, so dass nicht nur Betroffene bzw. Angehörige Parteienrecht haben. Und ich bin ein großer Befürworter des Widerrufs: Wenn sich so eine Geschichte als falsch herausstellt, muss sie in derselben Größe widerrufen werden. Das bringt viel mehr als die paar Tausend Euro Geldstrafe.
Ainetter: Der 80jährige vermeintliche „Inzest-Opa“ wehrt sich aber auch dann nicht. Es wehren sich die Profis. Die Berufskläger mit den teuren Medienanwälten. Im schlimmsten Fall wird der Widerruf dann zum Instrument der Zensur.
Bringen öffentliche Widerrufe etwas?
Fahrnberger: Überlegen wir doch mal, was einem Verlag am meisten weh tut: Wenn der erste Werbekunde in einem Verkaufsgespräch sagt: Das hat uns gerade überhaupt nicht getaugt, machen wir mal Pause. Egal ob er es auf Kobuk oder sonstwo gelesen hat. Es ist ja nicht so, dass die Bild-Leser Bildblog lesen würden. Es sind die Anzeigenkunden.
Hat der Bildblog also etwas bewirkt?
Ainetter: Unheimlich viel. Es ist ein unheimlicher Multiplikator und erreicht die Meinungsmacher. Es schadet dir als Boulevardmedium einfach sehr wenn du dort jedesmal vorkommst. Als Kai Diekmann Chefredakteur der Bild wurde, war die Glaubwürdigkeit am Boden, und ihm war es unheimlich wichtig, diese zu erhöhen.
Fahrnberger: Und trotzdem passieren noch solche Geschichten wie mit Charlotte Roche, die nach dem tödlichen Unfall ihrer drei Brüder offenbar von einem Bild-Reporter erpresst wurde. Die Bild hat dann später tatsächlich eine Kampagne gegen Roche geführt.
Ainetter: Das war zum Glück vor meiner Zeit und ist absolut unentschuldbar. Trotz aller Entschuldigungen war das ein absoluter Tiefpunkt des Journalismus. Eine Katastrophe, die sicher auch innerhalb der Bild-Zeitung eine Riesen-Diskussion ausgelöst hat
Fahrnberger: Apropos Grenzüberschreitung: Würdest Du nochmal zu Fritzl ins Gefängnis gehen?
Ainetter: Sagen wir mal so: Hätte ich gewusst, dass ich jemals nach Österreich zurückkomme, hätte ich die Geschichte wahrscheinlich so nicht gemacht. Aber vor genau einer Woche ist das Verfahren gegen mich endgültig eingestellt worden. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat festgestellt, dass ich mich absolut korrekt verhalten habe.
Was war genau der Vorwurf?
Ainetter: Ich hätte mich falsch ausgewiesen. Ich bin sehr glücklich dass das zu meinen Gunsten ausgegangen ist.
Fahrnberger: Hast du bereut es getan zu haben?
Ainetter: Nein, bereut nicht. Ich würde es nur nicht nochmal machen. Auch wenn wir auf Rücksicht auf die Opfer im Grunde fast nichts der unglaublichen Dinge, die er uns erzählt hat, gebracht haben.
Fahrnberger: Die Opfer haben das wahrscheinlich trotzdem nicht lustig gefunden.
Gibt’s zum Abschluss auch Positives über Österreichs Medienlandschaft zu sagen?
Fahrnberger: Sicher. Eine Geschichte in der Qualität des Falles von Charlotte Roche kenn ich aus Österreich nicht.
Ainetter: Ich schon, aber das liegt zum Glück schon weit zurück. Es hat sich da viel getan. Vor Jahrzehnten gab es noch Fälle, wo Reporter Postkästen von Opfern aufgebrochen haben. Das wäre heute überall ein Grund für die Fristlose.
Wir danken Wolfgang Ainetter und Helge Fahrnberger sehr dafür, dass sie sich so ausführlich Zeit für uns genommen haben.
The Gap hat im Dezember übrigens schon ein langes Gespräch zum Thema Onlinejournalismus und Medienwandel mit Tom Schaffer und Günter Felbermayer geführt. Nachzulesen hier.