"Toten Tieren haftet etwas Lebendiges an“
Künstlerin Deborah Sengl im Interview
Cornelia Breuß und Mathias Zojer
25. Jänner 2017
Deborah Sengl ist bekannt dafür, in Gemälden, Zeichnungen oder aufwändigen Skulpturen das Tier im Menschen herauszuarbeiten. Im Gespräch mit The Gap erzählt sie, was sie daran fasziniert, und ob sie auch ihre geliebten Katzen „ausstopfen“ ließe.
Am 27. Jänner startet Deborah Sengls neue Ausstellung "Heimsuchung – Hells Angels" – bekannt für ihre außergewöhnlichen Arbeiten ist die Künstlerin schon länger. Und sie weiß, wie man Aufsehen erregt: Etwa, als sie zuletzt mit 200 präparierten Ratten „Die letzten Tage der Menschheit“ nach Karl Kraus in 44 Einzelszenen inszenierte. „Wir beide beobachten von außen und dokumentieren, was wir sehen“, sagt Sengl über ihre künstlerische Verwandtschaft zu Karl Kraus. „Ich stelle eigentlich immer nur das dar, was ich erlebe, was ich in unserer Zeit, in unserer Gesellschaft sehe. Ich erfinde nichts dazu."
Einen regelrechten Shitstorm "im Namen des Herrn" musste Deborah Sengl 2013 erleben, als sie ein Huhn am Kreuz ausstellte: die Skulptur, die das Tier als Märtyrer für den Hunger der Menschheit in der modernen Lebensmittelindustrie darstellt, war überzeugten Christen ein Dorn im Auge.
Für ihre Arbeiten setzt die Künstlerin immer wieder Tierpräparate ein. Im Gespräch mit The Gap erzählt sie, was sie daran fasziniert, und ob sie auch ihre Haustiere ausstopfen würde.
Tierpräparate sind ein wichtiger Bestandteil Ihrer Arbeiten – wie ist es dazu gekommen?
Deborah Sengl: Ich war immer schon fasziniert von Tieren, bereits als Kind. Damals sagte ich allen, ich wolle Entomologin werden – also Insektenforscherin. Ich habe zum Beispiel aus Lego Insektenhotels gebaut und Käfer darin untergebracht. Zu Weihnachten und an Geburtstagen habe ich mir aus einem Spezialgeschäft, dem Winkler, präparierte Insekten gewünscht. Außerdem ist mein Vater ja auch Künstler (Peter Sengl, Anm.), wir hatten auch Tierpräparate zuhause.
Woher stammen die Tiere, die Sie für Ihre Arbeit verwenden?
Deborah Sengl: Es ist mir sehr wichtig, nur mit Tieren zu arbeiten, die artgerecht gelebt haben und nicht extra für meine Arbeit getötet wurden. Ich liebe ja Tiere. Zum Beispiel das Schwein aus meiner Arbeit „All you can lose“, das kannte ich schon, als es noch auf einem Bauernhof hier in Österreich lebte. Ich hörte es grunzen … Ich habe es selbst ausgesucht und markiert. Es lebte dann auch länger als die anderen, die für den Handel geschlachtet wurden.
Und was ist mit Tieren, die in Österreich nicht heimisch sind?
Deborah Sengl: Ich habe einmal mit einem Zebra gearbeitet, das stammte aus einem Zoo in Deutschland. Es verendete dort an Altersschwäche und kam dann zu mir.
Was fasziniert Sie an toten Tieren?
Deborah Sengl: Dass ihnen etwas Lebendiges anhaftet, selbst wenn sie tot sind. Wenn man mit Tierpräparaten arbeitet, spürt man ja, da war einmal Leben drinnen, das spielt eine große Rolle. Und durch meine Arbeit „überleben“ die Tiere ja eigentlich, sie bleiben erhalten.
Durch das Präparieren wird quasi das Lebendige im Toten bewahrt – was bewahren Sie sonst noch auf?
Deborah Sengl: Früher habe ich alles mögliche gesammelt und aufbewahrt. Es war ein Prozess, mich davon zu befreien – heute lebe ich sehr reduziert. Ich bin in Wien geboren und habe immer hier gelebt. Aber manchmal denke ich darüber nach, was würde ich mitnehmen, wenn ich weggehe? Ich bewahre nur noch das Wichtigste auf.
Wie entsteht eine Skulptur, wie zum Beispiel das Schwein auf dem Hometrainer („All you can lose“)? In welchem Zustand erhalten Sie die Präparate?
Deborah Sengl: Ich entwickle eine Idee und plane die Arbeit. Dann suche ich ein Tier, wenn nicht schon das Präparat vorhanden ist. Ein Tierpräparator bereitet dann das Tier vor, ich selbst kann nicht präparieren. Der Präparator macht auch die Zusatzelemente aus Wachs, zum Beispiel die Hände bzw. den Oberkörper des Menschen mit dem Schweinskopf auf dem Hometrainer.
Mit welchem Tier würden Sie gern einmal arbeiten?
Deborah Sengl: Ich habe keine Wunschliste. Aber vielleicht einmal mit einem Affen.
Würden Sie auch Haustiere präparieren?
Deborah Sengl: Niemals. Ich habe zwei Katzen, die ich liebe. Es käme mir nie in den Sinn, sie nach ihrem Tod präparieren zu lassen. Ich würde jedes Mal total erschrecken, wenn ich sie tot auf dem Sofa sähe. Vielleicht bewahre ich ihre Asche einmal in einer Urne auf.
Mal weg von den Tieren – was sollte die Gesellschaft bewahren?
Deborah Sengl: Es ist doch so: Man staunt jetzt schon, wie wenig sich die Menschen offenbar erinnern, was vor 70 oder 80 Jahren in Österreich los war und wie es dazu kommen konnte. Das darf man niemals vergessen. Es wäre doch sehr traurig, wenn dieses Zitat von Karl Kraus „Österreich ist das einzige Land, das durch Erfahrung dümmer wird“ tatsächlich stimmt.
Derzeit sind Werke von Deborah Sengl im Rahmen der Ausstellung „Die zweite Haut“ im Museum Sinclair-Haus (Bad Homburg, Deutschland) zu sehen. Ihre nächste Einzelausstellung in Wien zeigt die Galerie Hilger NEXT ab 26. Jänner 2017: „Heimsuchung - Hells Angels“.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Multimedia-Ateliers am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FH Wien der WKW entstanden.